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Charpentiers „Médée“ in Radebeul. Foto: Hagen König
Charpentiers „Médée“ in Radebeul. Foto: Hagen König
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Mit Barockklang zurück in die Archaik der Menschheitsgeschichte – Charpentiers „Médée“ in Radebeul

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Entdeckungen im Elbland: Manchmal lohnt es sich doch, ganz und gar unvoreingenommen an kleinere Häuser zu gehen, um dort auch mal ein Wagnis zu sichten. In diesem Fall Wagnis und Rarität gleichermaßen: Die Landesbühnen Sachsen, das Radebeuler Theater vor den Toren von Dresden, zuständig für die Bespielung eines ganzen Flächenstaats, stemmt die Oper „Médée“ von Marc-Antoine Charpentier.

Das Haus ist nicht groß und die Bühne natürlich noch kleiner. Die Zuschauerreihen sind zur Premiere nicht voll, aber ein paar Menschen drängen sich zu Vorstellungsbeginn an steinernen Wänden. Frauen mit Kopftüchern und Kindern. Bilder, die wir aus dem Alltag kennen. Von dort stammt auch das Bühnenbild, ein Warteraum wie aus dem Bundesgrenzschutz-Abschiebelager. Die Schwingtür und das Schalterfenster dürften Siebziger sein. Die Situation hingegen ist heutig. Ein Stimmengewirr aus Arabisch und Russisch, kurz vor der ersten Musik mengt sich Englisch mit ein. Menschen ohne Zuhause.

Dann aber geht es mit sattem Barockklang weit in die Archaik der Menschheitsgeschichte zurück. Flucht (und Vertreibung) gab es schon damals. Das eigens gegründete Ensemble Charpentier, bestehend aus Musikern der vor Jahresfrist per politisch deklariertem Stellenabbau zwangsfusionierten Elbland Philharmonie Sachsen, musiziert auf historischen Instrumenten.

Mehr Mann als Mensch

Die 1693 in Paris uraufgeführte Oper „Médée“ von Marc-Antoine Charpentier greift mit dem Libretto von Thomas Corneille den antiken Mythos der vermeintlichen Kindsmörderin auf. Wer „Medea“ von Christa Wolf gelesen hat, weiß, dass es wenigstens noch eine andere Lesart dieses Stoffs gibt. Hier aber geht es um Jasons Verrat, um Asyl und Intrige, um die Furcht vor einer Fremden wie eben Medea. Und um die Macht einer rasenden Mutter.

Dieses in der Neuzeit eigentlich erst wieder von William Christie und Robert Wilson populär gemachte Stück Musiktheater (sie entdeckten es unabhängig voneinander vor genau dreißig Jahren) kommt nach wie vor selten auf hiesige Bühnen. Schon deswegen ist es verdienstvoll von Radebeul, sich solch rarer Literatur zuzuwenden. Freilich hat sich das Haus mit Raritäten auch schon manchmal verhoben, der maue Premierenbesuch lässt auch diesmal Arges ahnen. Jegliche Befürchtungen allerdings stellt der lange Schlussapplaus gründlich in Frage.

Denn drei Stunden lang bewältigen das Kleinstorchester sowie das Gros des Bühnenpersonals die durchaus heftigen Anforderungen dieser Oper recht beeindruckend. Da muss man nicht einmal wissen, dass die Landesbühnen zeitgleich noch ihre Karl-May-Saison in der Felsenbühne Rathen eröffnet und obendrein eine weitere Premiere in Riesa absolviert haben. Es genügt, sich die Personalunion von Jan Michael Horstmann als Dirigent und Regisseur vor Augen zu halten. Als wäre das nicht genug, zeichnet der umtriebige Künstler, der „Médée“ bereits 2007 im nahgelegenen Freiberg wieder ausgegraben hatte, auch noch für die deutschen Übertitel und bedeutungsschwere Sprechtexte verantwortlich.

Woraus eine derartige Aufgabendichte resultiert, liegt auf der Hand. Das ist Selbstausbeutung, gepaart mit Sparzwang und maximaler Effizienz. Im hochgefahrenen Graben bewältigt Horstmann seinen Job überzeugend. Die Klangdichte seines Ensembles ist reich an Kontrasten. Auch der Zusammenhalt mit dem Bühnenpersonal funktioniert bis auf ganz wenige Schlaglöcher gut. In seiner Regie allerdings leistet er sich einige Schwachstellen. Sie gerät gewollt mahnend bedeutsam und stellt sich ganz offensichtlich von Anfang an auf die Seite Medeas. Diese Inszenierung will den Bogen ins Heute spannen und verhebt sich mitunter dabei. Der humanistische Anspruch sowie die psychologischen Feinheiten sind mehr behauptet als ehrenwert. Die Positionierung schiebt Schwarz gegen Weiß: Jason, Kreon und alle anderen Chromosom-Y-Träger sind stets „mehr Mann als Mensch“. Heißt kriegerisch, machtgeil und selbstverliebt. Manchmal aber auch kriecherisch.

Die Kraft der Frauen

Wie die wartenden Weiber vorm Vorstellungsbeginn sind auch Medea und ihre Vertraute Nérine viel stärker als all die Mannen, die sich mit Macht und Mumpitz zu behaupten versuchen. Der enorm präsenten Silke Richter gelingt dies in der Titelpartie am überzeugendsten. Der schwächelnde Jason hingegen bewegt sich auf dem anderen Ende der Skala. Selbst Paul Gukhoe Song als König Kreon agiert noch bestimmter als Peter Diebschlag in der Rolle des Jason. Denn der stößt als treuer Mann und feiger Liebhaber ebenso an seine Grenzen wie als Sänger und Mime: ungeschliffene Gestik und enger Ton in der Höhe. Silke Richter hingegen bedient ihr Stimmfach angemessen rund, meistert aber auch die Wahnsinnsausbrüche des zutiefst gedemütigten Muttertiers.

Ihr unfreiwilliger Widerpart Créuse, Königstochter und Jasons neue Flamme, wird von Miriam Sabba sehr offenherzig gegeben, gar nicht durchtrieben. Doch nützt es ihr nichts, sie wird das erste Opfer von Medeas Rachezug. Ihrem jungen, beweglichen Sopran gewinnt sie schöne, situationsgerechte Nuancen ab, was vor allem in der Sterbeszene berührt. Auch Antje Kahn als weise, zurückhaltende Nérine erzeugt Eindruck, zumal ihr noch die deutschen Sprechtexte des inszenierend dichtenden Musikchefs zukamen. Gesungen wird in einem teils abenteuerlich klingenden Französisch, insbesondere bei den asiatischen Ensemblevertretern; beim Chor konzentriert man sich besser auf die Übertitel. Musikalisch ist an den Chorpassagen kaum etwas zu deuteln, die Gruppenchoreografie von Ute Raab hingegen, die sich gestenreich auch auf einige Solistenparts erstreckt, dürfte ein Prinzip dieser Inszenierung sein, die zwar keinen Stillstand duldet, aber innerlich auch nicht viel bewegt. Horstmann hat sich damit ganz auf barockes Theater bezogen, dem er einen Brückenschlag ins unbestimmte Heute verlieh.

Ähnlich vage sind auch die Kostüme von Berit Mohr mit reichlich gesteppter Uniformität, nur die Fremden aus Kolchis sind mit kräftigen Spuren naturbelassen gewandet. Stimmig ist auch das Einheitsbühnenbild von Stefan Wiel, das aus dem Natursteinambiente die Palasttreppe hervorfahren lässt und mit mehreren Schiebetüren weitere Aktionsräume schafft. Das sorgt für rasche Verwandlungen und hält Schritt mit der inspirierend vorgetragenen Musik.

Charpentiers „Médée“ ist in dieser Version ein Fluchtstück, das einen Ausflug nach Radebeul durchaus lohnt.

Termine: 18., 19. Mai, 3. Juni 2014

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