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Martina Filjak, Heinrich Schiff und das Festivalorchester bei ihrem Auftritt im Konzerthaus Berlin. Foto Young Euro Classic / Kai Bienert
Martina Filjak, Heinrich Schiff und das Festivalorchester bei ihrem Auftritt im Konzerthaus Berlin. Foto Young Euro Classic / Kai Bienert
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Mit neuen regionalen Akzenten: das 11. Festival Young Euro Classic in Berlin

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Politiker haben nicht das letzte Wort, oft aber die Musik. So Frank-Walter Steinmeier in seiner Einleitung als Pate eines Konzerts „Schalom Berlin. Musikalische Begegnung Israel – Deutschland“. Was kann die Musik politisch-gesellschaftlich leisten? Diese Frage wurde beim diesjährigen Festival Young Euro Classic immer wieder gestellt.

Musik kann eine nationale Identität bewahren, wie Richard David Precht am Beispiel Armeniens hervorhob. Sie kann aber auch mithelfen, dass sich 49 junge Musiker aus allen Ländern Ex-Jugoslawiens trotz aller politischen Gegensätze gemeinsam mit deutschen Kollegen zu einem Festivalorchester Südosteuropa vereinen und nach einer achttägigen Arbeitsphase im Berliner Konzerthaus neue Werke aus der Region sowie von Ludwig van Beethoven spielen. Musik schafft dann eine höhere Identität als bloß die nationale. „Aus Fremden wurden Freunde“, meinte ein mitwirkender Cellist.

Die meistgespielte Komposition der 16 Orchesterkonzerte war die vom Vorjahr übernommene nachdenkliche Festivalhymne „Abendstraßen“ von Manfred Trojahn, die stets zu Beginn erklang. Das jeweilige Orchester gab damit seine Visitenkarte ab. Beim Festivalorchester Südosteuropa und dem RIAS-Jugendorchester spielten sämtliche Streicher, solistische Streicher dagegen bei „Shalom Berlin“ sowie beim Bundesjugendorchester (hier durch extreme Verlangsamung besonders eindrucksvoll). Bläser des Schleswig-Holstein Festival Orchesters bewältigten das kurze Stück souverän, während es für die jungen Solisten des türkischen Jugendorchesters eine technische Herausforderung darstellte. Sogar den von einem Dirigenten angeleiteten Bläsern des European Union Youth Orchestra gelang die Hymne nicht makellos.

Bei der Bewertung können wirkliche Jugendorchester wie das Bundesjugendorchester nicht umstandslos mit internationalen Studentenorchestern wie dem European Union Youth Orchestra oder dem Schleswig-Holstein Festival Orchester verglichen werden. Die Mitglieder des aus China angereisten Macao Youth Symphony Orchestra, dessen manchmal noch unbeholfene Streicher eine Brahms-Serenade immerhin respektabel darboten, wirkten noch jünger als die im Nationalen Jugendsymphonieorchester der Türkei oder im Joven Orquestra Nacional de España. Meist hatten die jungen Musiker Gelegenheit, auch einem anderen Orchester zuzuhören, um so die eigene Leistung besser einschätzen zu können.

Für das heiße, oft auch überschäumende Temperament der Spanier war der „Don Juan“ von Strauss das richtige Stück; bei Cristóbal Halffters „Tiento“ und Strawinskys „Petruschka“ wurde dagegen die Grenze zum Lärm gelegentlich überschritten. Noch häufiger fehlte die dynamische Kontrolle beim Nationalen Jugendsymphonieorchester der Türkei, dessen Programm die asiatisch-orientalische Komponente des Landes betonte. Das Schlagzeug, die traditionsreiche „türkische Abteilung“, auf die einleitend Ulrich Deppendorf hingewiesen hatte, dominierte oft zu sehr. Besonders die von weiblicher Hand geschlagene große Trommel kam überlaut zum Einsatz. Das von Mischa Santora geleitete RIAS-Jugendorchester spielte mit spritzigem Elan und genauen Tempowechseln Gershwins Ouvertüre zu „Girl Crazy“, während Fagotte und Oboen bei Ravels „Bolero“ an ihre Grenzen stießen.

Ein besonders spannendes Konzert bot das Schleswig-Holstein Festival Orchester, mit dem Iván Fischer vier Studenten seiner Salzauer Dirigentenklasse präsentierte. Das Los entschied, wer von ihnen welchen Satz aus Bartóks „Konzert für Orchester“ und aus Beethovens 5. Symphonie dirigieren durfte. Zsolt Jankó (Ungarn) widmete sich den beiden ersten Sätzen des „Konzerts für Orchester“ mit eleganten Bewegungen und wachsender Souveränität, gefolgt von dem etwas zu lässig wirkenden Marián Lejava (Slowakei) und schließlich – im quirligen Finale – vom erfahrenen Maestro Ivan Fischer, der viel stärker auf die einzelnen Gruppen des Orchesters einging. Diese waren durchweg exzellent vorbereitet und folgten wach den unterschiedlichen Impulsen. Bei der Beethoven-Symphonie überzeugte besonders der Argentinier Mariano Chiacciarini, dem die beiden Schlußsätze zugefallen waren. Indem zum Finale weitere Musiker herbeieilten und den Schluss dann stehend spielten, deuteten sie das bekannte Werk als Vorstufe zur Neunten.

Das European Union Youth Orchestra versammelte am letzten Abend gar 140 Musiker und Musikerinnen auf dem Konzerthaus-Podium. Wie einst bei den jährlichen Berlin-Gastspielen des Weltorchesters der Jeunesses Musicales wurden hier zu Beginn alle beteiligten Nationen einzeln vorgestellt. Unter Leitung des effektfreudigen Gianandrea Noseda entfaltete sich dann beim Jugendwerk „Bianca da Molena“ des Polen Miezysław Karlowicz und der „Pathétique“ von Tschaikowsky ein üppiger Breitwand-Klang. Weniger passte dieser allerdings zu Prokofjews markanten „Vier Porträts aus der Oper Der Spieler“.

Das weitgehend privat finanzierte Festival hat seine europäischen Beschränkungen längst aufgegeben und nennt sich nun stolz „Festival der besten Jugendorchester der Welt“. Dabei bietet es jedoch nicht nur ein buntes Potpourri, sondern auch regionale Schwerpunkte. Akzente lagen in diesem Sommer auf Südosteuropa, auf dem südlichen Kaukasus sowie auf Israel und dem Nahen Osten. Das von Heinrich Schiff geleitete Festivalorchester Südosteuropa reiste nach seinem Berliner Debüt weiter in die Heimat der Musiker. Unter den Jugendorchestern der Kaukasusregion ist das von Sergey Smbatyan geleitete Studenten-Kammerorchester aus Armenien wegen seiner fabelhaften Spielkultur besonders hervorzuheben. In ausgefeilten Interpretationen bot es neben Werken dreier armenischer Komponisten auch solche von Tschaikowsky und Schostakowitsch. Glücklicherweise gibt es hier keine verkrampfte Abgrenzung von der Sowjetunion, wie es bei einigen jungen Nationalstaaten der Fall ist.

Zu den heikelsten Regionen zählen Israel und der Nahe Osten. Nirgendwo sonst gibt es so viele Fettnäpfchen, wie der ehemalige Außenminister Steinmeier feststellte, neigt man so sehr zu Phrasen und Allgemeinplätzen. Die besondere Verbindung zu Israel muss deshalb immer wieder neu erarbeitet werden. Studierende des Julius-Stern-Instituts der Universität der Künste Berlin und des Jerusalem Music Centre gestalteten nun gemeinsam einen Abend, der neben einer Uraufführung programmatisch auch Jugendwerke von Gustav Mahler und Felix Mendelssohn Bartholdy einschloss. Die dreistündige Begegnung endete mit der spannungsvollen Wiedergabe eines Konzerts für Streicher des aus München stammenden Israeli Paul Ben-Haim. Als eine „musikalische Toleranzinitiative“ folgte am nächsten Abend der restaurierte Stummfilm „Nathan der Weise“ (1922) des jüdischen Regisseurs Manfred Noa, wozu das Bundesjugendorchester unter Frank Strobel gemeinsam mit Rabih Abou-Khalil (Oud) eine neue Filmpartitur des Deutsch-Libanesen spielte. Der lange als verschollen gegoltene Film fesselte durch seine Massenszenen und durch die Auftritte von Nathan (Werner Krauß) und Sultan Saladin (Fritz Greiner). Die jungen Musiker, die über zwei Stunden lang mit bewundernswerter Intensität die vielen Taktwechsel bewältigten, vermittelten damit eine Botschaft der Toleranz und des Friedens, die auch im Nahen Osten Gehör finden sollte. Der Taktwechsel als Tugend.

Bei einem einheitlichen Eintrittspreis von 15 Euro besuchten in diesem Sommer 26.000 Menschen die 22 Konzerte, die fast immer mit Ovationen endeten (oft auch mit Beifall zwischen einzelnen Sätzen). Aus 17 Ur- und Erstaufführungen hatte wiederum eine Publikumsjury ein Werk für den mit 5000 Euro dotierten Europäischen Komponistenpreis ausgewählt. Er ging in diesem Jahr an den Georgier Archil Giorgobiani für seine Komposition „Azari (Abchasische Begräbnismusik)“.

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