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Trans-Maghreb 2014. Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
Trans-Maghreb 2014. Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
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Mitten im Krieg und auf dem Wege nach Cardiff – Uraufführung von „Trans-Maghreb“ und Neufassung des „Schauspieldirektor“

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Mit seiner elfjährigen Intendanz der Bregenzer Festspiele hatte David Pountney eine Bresche für das zeitgenössische Musiktheater geschlagen. Als letzte Uraufführung in der Schiene KAZ, „Kunst aus der Zeit“, erfolgte das Mitwandertheater „Trans-Maghreb“ und als letzte Premiere eine eigenwillige Neufassung von Mozarts „Schauspieldirektor“.

Schlachten-Bummler im Bürgerkrieg

Die Handlung nach der gleichnamigen Novelle von Hans Platzgumer basiert auf der Tatsache, dass ein österreichischer Bautrupp aus Ingenieuren und Arbeitern von Anton Corwald am Trans-Maghreb durch Libyen, einer Schnellbahn mit 250 Stundenkilometern, gearbeitet hat. In den Wirren des Bürgerkriegs nach der Beendigung der Herrschaft Al-Gaddafis verschwanden diese Österreicher spurlos.

Zunächst wird das Publikum in der Inszenierung des israelischen Regisseurs Ran Arthur Braun vor und in der gigantischen Werkstatt-Bühne der Bregenzer Festspiele mit Speis’, Trank und Erotik-Animation eingelullt, gleich den österreichischen Spezialisten, die zu dieser Reise nach Libyen angeworben werden.

Nach Überschreiten eines roten Fransen-Vorhangs als Grenze, finden sich die Besucher auf der in diverse Zonen provisorisch unterteilten Bühne wieder. Sie beherbergt auch einen Helikopter-Landeplatz und am Rande ein bewusst wie zusammengewürfelt erscheinendes Orchester. Unter der musikalischen Leitung von Benjamin Lack bilden das Wiener Koehne-Quartett, Klavier, E-Gitarre, Trompete, Gimbri, diverse Percussion-Instrumente und Elektronik eine originelle Klangformation. Von einem Fremdenführer mit rosafarbigem Schirm hin und her geschickt, lässt sich das Publikum bereitwillig auf eine ungewöhnliche Sightseeing-Tour ein, wobei Joints und Detonationen die Luft erfüllen. Artisten, die in der „Zauberflöten“-Produktion an den Hälsen der dekorativen Höllenhunde auf und ab laufen, sind auch hier integriert, schweben etwa als Flieger am Propeller über die Szene.

„Das Land im Aufstand, wir mittendrin“, das sind, außer dem Publikum, der Prager Philharmonische Chor und die Solisten Robert Maszl, Wilfried Staber, Amal Murkus, Stanislav Kuflyuk, Markus Raab, Sebastian Campione und Juliusz Kubiak. Sie singen in deutscher Sprache, mit arabischen, französischen, russischen und türkischen Einwürfen.

Im Oktavabstand gesungen und rhythmisiert, gemahnen die Gesänge an Andrew Lloyd Webbers softes Polit-Musical „Evita“. Agitationslieder á la Kurt Weill, mischen sich mit orientalischen Folkloregesängen einer arabischen, weiblichen Traumfigur und ostinaten Bassfiguren.

Rhythmus mit Plastikmüll, wie er bereits in Bayreuth, durch Castorf, Eingang in den „Ring“ gefunden hat, erfolgt durch das Aufeinanderschlagen von Plastiktüten, und auch das Publikum darf mitmachen. Bratsche und Kontrabass spielen inmitten der Schlachten-Bummler eine Minimal Musicfigur, während den Nolens-Volens-Soldaten eine Kriegsbemalung geschminkt wird. Zwischen gespannten, grünen Seidentüchern und aufgehängten Batterien von Sprengstoff (Ausstattung: Susanna Boehm und Claudia Raab) lässt die Form des Mitwandertheaters das Publikum an der Überlebensangst-Oper lautstarken Anteil haben, füttert es mit Pizzastücken und übt ihm eine Melodie ein. In der Angst pflegen ja viele Leute zu pfeifen. Hier wird dem Publikum eine Melodie eingetrichtert, welche die Violine vorgibt. Auf den Einsatz eines Händlers, der allerlei Nutzloses und auch Rasuren anbietet, soll das Publikum diese Melodiefigur immer wieder pfeifen oder singen – ohne dass diese Melodie zum Ohrwurm würde. Sie verebbt ebenso, wie die Botschaft, „There are no Problems, only Solutions“, die wie die Abgrenzung der Zonen, auch auf Kartons geschrieben steht.

Die allgemeine Verunsicherung wächst mit dem Fortgang der knapp zweistündigen Szenenfolge auch im Publikum, das – im Gegensatz zu andern Aufführungen, wo Filmen und Fotografieren untersagt ist – aufgefordert ist, in dieser interaktiven Inszenierung viel zu fotografieren und zu filmen (und die Bilder dann an die Festspiele zu senden).

Fotos, Flugblätter und Dollarnoten flattern vom Bühnenhimmel herab, erweisen sich in ihrem Aussagegehalt aber ebenso nutzlos, wie jene Fahnen, die Anton Corwald, der Bauherr, seinen Leuten, statt der erwarteten Rettung aus dem Kriegskessel, herabwerfen lässt. Über Mikrofon teilt er mit: „In Libyen gibt es nichts weiter zu tun!“ Bei den Wasserleichen bleibt unklar, ob es sich um Türken, Österreicher oder russische Bauleute handelt. Mit Geldbündeln in den gefalteten Händen liegen zwölf der Arbeiter im Sarg; später wiedererweckt, singen sie dann „Salam Aleikum“. Gegen Ende wird das Publikum wieder auf die Tribüne gedrängt. Die Projektionen von Feuer, Wasser und Explosionen halten an, den einsamen Schlägen des Percussionisten auf Metall, setzt ein Triangel-Schlag ein ungewöhnliches Ende.

Mozart innen und außen: „Der Schauspieldirektor“

Das letzte der Sinfoniekonzerte des Bregenzer Festspielsommers wurde umgewidmet: Im ersten Teil die Ansprache des Landeshauptmanns und Verleihung des silbernen Ehrenzeichens des Landes Vorarlberg an den scheidenden Intendanten, und die vom Symphonieorchester Vorarlberg unter Gérard Korsten mit Verve gespielte Ouvertüre zu Candide“; die Interpretation der symphonischen Tänze aus „West Side Story“ stellte unter Beweis, dass der zweite Klangkörper dieses Festivals durchaus kein zweitklassiger ist. Dann, nach der Pause, die von David Pountney mit britischem Humor auf seine Situation umgeschriebene und von ihm selbst inszenierte Persiflage auf den Intendanzwechsel.

Vor dem Prospekt der Fensterfront der Intendanz auf den See spielt Rüdiger Wenk in perfekter Maske und Dress Pountneys Alter Ego, bis dieser selbst und dann auch noch die veritable Nachfolgerin im Amte, Elisabeth Sobotka ins Spiel kommen. Mozarts kleine Partitur mit den Rivalitäten zwischen erster und zweiter Sängerin (Laura Claycomb und Hanna Herfurtner) und dem lyrischen Tenor, der hier als Pudel der Sängerin fungiert (Paul Schweinester), das erbarmungslose Buhlen um die Gunst, von Pountney an seine nächste Wirkungsstätte mitgenommen zu werden, inklusive der üblen Nachrede, wird gesteigert durch die Diskussion um den Spielplan. Dabei kommt erneut die Ablehnung der Politiker gegenüber Pountneys Plan, „Show Boat“ auf der Seebühne zu spielen, ebenso zu Sprache, wie die Diskussionen, Kämpfe im Vorfeld und dann die Erfolge mit seiner Produktion „Andre Chénier“ (2011 und 2012).

Als Gastsängerin brilliert erneut die russische Sopranistin Tajana Serjan als faszinierende, in allen Lagen überzeugende, jugendlich dramatische Maddalena di Coigny. Arnold Rawls gab den amerikanischen Absahner, der seine Gage in die Höhe treibt und das hohe C der Stretta des Manrico ein drittes Mal beim Applaus a cappella intoniert. Verblüffend hatte sich zwischen erster und zweiter Strophe eine ganze Reihe inmitten des Zuschauerraums im großen Festspielhaus erhoben und das „all’ armi“ geschmettert: ein Chor aus Solisten und musikalischen Vorständen. Zahlreiche Spitzen enthielt der umfangreiche Dialog zwischen dem Pountney-Double und dem als dessen tuntiger Sekretär hinreißend agierenden Bariton Markus Brück. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, richtete sich das Gespräch gegen den früheren Festspiel-Präsidenten Günter Rhomberg, der Bregenz als 24. Bezirk von Wien eingemeinden wolle, oder gegen Christian Thielemann, der den bereits gekürten Intendanten auf seinem Taktstock gepfählt habe, wobei Brück diesen Prozess mit deutlichem Analbezug ausspielte. Überhaupt seien jene Intendanten, die ihre Arbeit gar nicht erst antreten würden, die erfolgreichsten.

Nicht ausgelassen wurden Diskussionen über Geldgeber („Hier gibt niemand etwas Geld, das sind Alemannen.“ – „Wirklich alle?“) und die von Pountney gepflegte Interpolation anderer Kompositionen in die Bregenzer Opernproduktionen. Das Glockenspiel Papagenos lasse sich als erfolgsträchtige Nummer in sämtliche Opern integrieren, beispielsweise in „Nessun dorma“, als eine Antizipation auf den nächsten Sommer, die Seebühnen-Produktion „Turandot“. Nachdem auch Kompositionen von Elgar, Puccini und Bizet in den „Schauspieldirektor“ musikalisch integriert worden waren, verließen der gespielte und der echte Pountey das gespielte Intendanzbüro – und sie nahmen den See(prospekt) gleich mit nach Cardiff, während die neue Intendantin die farbenfrohen Socken ihres Vorgängers im Papierkorb entsorgte.

Letzte Veränderungen am Regiekonzept

Nur eine der Seebühnenaufführungen musste in diesem Sommer nach drinnen verlegt werden. An der „Zauberflöte“ hat Regisseur David Pountney im zweiten Jahr noch zahlreiche Modifikationen angebracht, die sich als echte Verbesserungen erweisen. Deutlicher als im Vorjahr wird die Machination von Sarastro in Frage gestellt, seine Humanität als hohle Behauptung decouvriert. Am Ende wird nicht nur die Königin der Nacht in ewige Nacht gestürzt (Kathryn Leweck, die beste stimmliche Leistung, neben Eike Wilm Schulte als Sprecher und 2. Geharnischter), auch Sarastro (Albert Pesendorfer) stürzt tot zu Boden, und seine Sonnenscheibe zerbricht, während das junge Paar Pamina (jugendlich-dramatisch: Anja-Nina Bahrmann) und Tamino (heldenhaft, wenig lyrisch: Nikolai Schukoff) in Regenbogenfarben eine neue Ära einläutet. Choristen apportieren singend als holistische Zeichen große leuchtende Bälle, die ins Publikum geworfen werden. Und Papageno (Paul Armin Edelmann) darf seine in der Tradition dieser Figur gewachsenen verbalen Witzchen („Eins – zwei – halbdrei – kurz vor drei“) mit Wiener Schmäh zum Besten geben.

Wie von David Pountey in seiner Version des Mozartschen „Schauspieldirektor“ bereits vorgezeichnet, wird seine Nachfolgerin schwer an diesem Erbe zu tragen haben.

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