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Fabien Lévy. Photo: Kai Bienert
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„Musik und Gegenwart 88“, Fabien Lévys Antrittskonzert in der HMT Leipzig

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Fabien Lévy (geb. 1968) wurde im Oktober 2017 als Professor für Komposition von der Hochschule für Musik Detmold an die Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig berufen. Nächstes Jahr übernimmt er mit Constanze Rora die Leitung des 2016 gegründeten Zentrums für Gegenwartsmusik (ZfGM) von Claus-Steffen Mahnkopf. Am Vorabend des zweitägigen Symposiums „Was ist Musikphilosophie?“, veranstaltet vom ZfGM der Hochschule und des Musikwissenschaftlichen Seminars der Universität Leipzig in Kooperation mit der Gesellschaft für Musik & Ästhetik am 23. und 24. November, fand Lévys Antrittskonzert statt.

Lydia Rilling würdigt auf der Website seines Verlegers Ricordi den studierten Mathematiker, IRCAM-Mitarbeiter und Komponisten Fabien Lévy: „Auf beiden Seiten des Atlantiks wird Lévys Musik für ihre rhythmische Feingliedrigkeit, ihre tief empfundene klangliche Empfindungskraft und die Mehrschichtigkeit ihres hörbaren Gehalts gelobt. Ungeachtet ihrer kalkulierten Intellektualität und philosophischen Reflektiertheit bleibt sie spielbar und freudig, indem sie Hörer einlädt, Lévy durch seine musikalische Welt zu folgen.“

Im gut besetzten Großen Saal applaudierten die Hörer, unter ihnen einige Gäste aus anderen Nischen der akademisch fundierten, ‚klassischen‘ Gegenwartsmusik in Leipzig, mit Loyalität und Wohlwollen. Großes, dankenswertes Engagement, so Lévy in seiner Ansprache, hatten Lehrende und Studierende sowie die Dirigenten Pablo Andoni Gómez Olabarría und Reinhard Schmiedel in der über Monate dauernden Probenzeit für dieses knapp zweistündige Konzert mit sechs Kammerwerken erbracht. Nur durch den Totaleinsatz der Cellistin Lourdes Kleykens sei die Aufführung des etwa 20-minütigen Stücks „A propos“ für Flöte, Klarinette, Violine, Cello und Klavier (2008) nach der plötzlichen Erkrankung der ursprünglichen Besetzung doch noch möglich gewesen.

Lévy hat neben seinen mannigfaltigen Aufgaben an der Leipziger Hochschule Lehrveranstaltungen und Konzerte zum Beispiel an der Universität Strasbourg, im Sprengelmuseum Hannover, beim Festival Ultraschall Berlin und einem Konzert des SWR-Festivals Ars-Nova in Edenkoben. Im Mai 2019 spielten die Bielefelder Philharmoniker in der Oetkerhalle anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums der Universität Bielefeld vor 800 geladenen Gäste die Uraufführung des an Lévy vergebenen Auftragswerks „De l’art d’induire en erreur“ (Die Kunst der Irreführung). Bei diesem Anlass nahmen die Musiker Lévy in die Mitte – Komponist und Musiker*innen dankten dem Publikum gemeinsam.

Am Schluss des Konzerts in der Hochschule dagegen war das Podium leer, nur von den Flügeldeckeln reflektierte es in Rot und Grün. Computer und Audiotechnik (Eric Busch, Steffen Seifarth) lassen als Finale „Soliloque sur… Selbstgespräch eines Computers über ein von ihm missverstandenes Konzert“ (2001-2007) raunen und klirren. Die humanoiden Künstler, Lehrenden und Studierenden räumten also die Konzertplattform für ein mittels Software programmiertes Opus, das in sukzessiver Beliebigkeit einen einmaligen Digest akustischer Mini-Einheiten aus den davor live vorgetragenen Werke ausspuckt. Statt von Menschen gemachter Kunst ‚überleben‘ technisch-aleatorische Überformungen und Fragmente künstlerischer Artefakte. Das kann ein Reflex auf die Neo-Menschen in Michel Houellebecqs „La possibilité d'une île“ (2005) sein, oder nicht. Die Kultur des Dialogs zwischen Lehrenden und Studierenden mit Angeboten zur Diskussion und Verbreitung eines für alle Ethnien, Genres und Praktiken gültigen Begriffes sind ein Teil der Ziele des Zentrums für Gegenwartsmusik. Lévy verbeugt sich am Ende mehrfach lächelnd, ohne die ausübende Künstler und Team-Player.

Lisa Formhammer liefert sich Lévys „Nun habe ich nichts mehr“ für Stimme und Soloinstrumente und den geforderten Wechseln zwischen gestoßenen Silben, gepressten Tönen ohne Silben und erst am Ende dem Aufbruch in die jede sängerische Kondition stählenden Höhenregionen mit distinguiert gesteuerter Emphase aus. „Murmelt mein Blut“ nach dem Gedicht von Else Lasker-Schüler ist in der Anlage ein formal offenes, mehr deklamiertes als arioses Lied mit einer die Synergie von Klavier- und Vokalpart vermeidenden Faktur. Die Mezzosopranistin Ebba Lejonclou und die Pianistin Anja Kleinmichel folgen trotzdem eher den musikalisch-gestischen als den rhetorisch-epischen Strukturen jenes lyrischen Monologs, der auch sehr gut in die lange Reihe von Schumann-Stücken zum „Tag des Liedes“ der Hochschule am 2. November gepasst hätte (an diesem Tag war Gunnar de Frumerie, 1908-1987, der von allen erklungenen Komponistinnen und Komponisten am spätesten verstorbene.)

Nach der Pause erwies es sich als mittelfristig weitsichtig, das Smartphon gegen die Empfehlung der Veranstalter NICHT auszuschalten. Denn erst die Titel der recherchierten, auf dem Programmblatt nicht abgedruckten Satztitel ermöglichten die zum Verstehen des Werks für Gäste von außen notwendige Orientierung über Lévys musikalische Huldigung an die „Arte povera“: 1) Die intimen Automaten von Tim Hawkinson, 2) Jeff Wall betrachtet Hokusaï, 3) Burri-Rot, 4) Verjüngen, nach Penone. Dadurch wurde auch deutlicher, warum die repetitiven Figuren der Hölzer nach geraumer Zeit sich in einem anderen Satz wiederholen müssen, warum hohe Stimmen meist kontrastierend oder sukzessive, aber nur selten synchron mit den tiefen Stimmen geführt werden und warum die sehr filigrane, dabei rational wirkende Instrumentation eher koloriert als sich dynamisch entwickelt. Die weitaus größere Kontrastweite zwischen gestaffelten Tonbildungen und kantigen Geräusch zogen die Flötistin Andrea Alarcon und die Pianistin Marija Korolkova im „Lichthof“ des Kompositionsstudenten Ehsan Mohaghehgi Fard, das anstelle von Lévys „Danse Polyptote“ für Akkordeon und Violoncello“ erklang, der einzige Beitrag eines Studierenden. Fast noch mehr entstand da Raffinesse aus Feinheiten und Vertrautheit der Interpreten mit dem Werk. Die mit kaum unterscheidbarem, kaum noch erkennbarem Verschmelzen geführte E-Gitarre in „Nun habe ich nichts mehr“ bestätigt Lévys individuelle Besetzungskombinationen für jedes Werk. Schon der Umgang mit der Harfe in seinem allerersten Opus verrät das Bemühen des scharfsinnigen Denkers um Suggestion und klangliche Vielfalt. Demzufolge ist der Applaus zwar lang und wärmend, doch bei weitem nicht derart impulsiv, als dass er sich von einigen Pfiffen der Begeisterung noch hätte mehr erregen lassen. Doch um die affektive Begeisterungskraft der Hörer ging es hier wohl kaum, denn der Mathematiker Lévy rät zum satztechnisch erlesenen Maßhalten. Er gewinnt Sympathie durch kompositorische Besonnenheit.


  • Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig - Fr 22.11.2019, 20:00: Musik & Gegenwart 88 - Antrittskonzert Prof. Dr. Fabien Lévy - Programm: Fabien Lévy: „Les deux ampoules d’un sablier peu à peu se comprennent“ für verstärke Harfe solo (1997) - „Nun habe ich nichts mehr“ für Sopran, Klarinette, Akkordeon, Klavier & elektrische Gitarre (2016), Gedicht von Laure Gauthier
 - „Murmelt mein Blut“ für Mezzo-Soprano & Klavier (2018),
 Gedicht von Else Lasker-Schüller
 - „A propos“ für Flöte, Klarinette, Violin, Cello & Klavier (2008) - „Soliloque sur ...“ Selbstgespräch eines Computers über ein von ihm mißverstandenes Konzert. (2001-2007)
 - UND: Ehsan Mohagheghi Fard: „Lichthof“ für Flöte und Klavier (2016) – Mitwirkende: Andrea Alarcon (Flöte); Pablo Andoni Gómez Olabarría (Dirigent); Eric Busch (Elektronik); Mirjam Erle (Klarinette); Michele Foresi (Geige); Lisa Fornhammar (Sopran); Prof. Ursula Heins (Harfe); Ji Eun Kim (Klarinette); Anja Kleinmichel (Klavier); Lourdes Kleykens (Cello); Ebba Lejonclou (Mezzo-Sopran); Snezana Nesic (Akkordeon); Nugraha Putra Boba (E-Gitarre); Reinhard Schmiedel (Dirigent); Ermis Theodorakis (Klavier)
  • 23.11.2019 und 24.11.2019: Musikphilosophisches Symposium: Was ist Musikphilosophie? - Leitung: Prof. Dr. Wolfgang Fuhrmann (Universität Leipzig) und Prof. Dr. Claus-Steffen Mahnkopf (Hochschule für Musik und Theater Leipzig "Felix Mendelssohn Bartholdy") (https://www.hmt-leipzig.de/de/hmt/zentrum_gegenwartsmusik/veranstaltungen_zfgm)

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