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Foto: Monika Rittershaus.
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Musikalisch neu gedeutet im aseptischen indischen Urwald – Händels „Poros“ an der Komischen Oper Berlin

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Nach 15 Jahren ist Harry Kupfer, der frühere Chefregisseur der Komischen Oper Berlin, als Gast erstmals an dieses Haus zurückgekehrt und hat sich einen alten Wunsch erfüllt: Händels Oper „Poros“, mit welcher er in jungen Jahren als Assistent in Halle zu tun hatte, erklingt nun erstmals in der Komischen Oper – und das mit deren früherem Alleinstellungsmerkmal, der Aufführung in Landessprache sowie mit einer gegenüber dem Original schwerpunktmäßig umgetopften Besetzung. Peter P. Pachl hat sich das angesehen und angehört.

Hans Schavernoch, Kupfers langjähriger internationaler Ausstatter, hat teils gemalten, teils projizierten und teils sogar plastischen Urwald auf die Bühne gehäuft. Dabei hat er auch das Proszenium nicht ausgelassen und dort sogar einen Urwald-Plafond angebracht. Harry Kupfer hat die auf Metastasios mehrfach vertontem Libretto basierende Opernhandlung ins frühe 18. Jahrhundert verlagert, mit britischen Kolonialisten im Khakianzug und Tropenhelm als Gegner der von Yan Tax folkloristisch kostümierten vier Inder. Denn mehr davon treten in dieser Oper Georg Friedrich Händels singend nicht auf.

Urwald, aseptisch

Die Partitur aus dem Jahre 1731 enthält selbstredend noch keine musikalischen Exotizismen – aber auch keinen Chor. Auf eine Chorgemeinschaft wollte der Regisseur zumindest optisch nicht verzichten, und so sind fast 40 Statisten als eine kinderlose Gesellschaft aufgeboten, die den Chor pantomimisch ersetzen. Gigantisch wirken die Video-Projektionen des Urwalds mit bewegtem Wasser und mit Mauern eines Tempelinneren, das scheinbar die auf der Bühne brennenden Fackeln mit farbigen Reflexen widerspiegeln. Doch der indische Urwald ist unter Verzicht auf Tiere (außer einem ehernen Löwenstandbild) und ganz ohne atmosphärische Geräusche arg aseptisch geraten.

Die Solisten bewegen sich in Kupferscher Akkuratesse auf einer leicht schrägen, an den Rändern gezackten, langsam rotierenden Drehbühne. In der Ouvertüre sticht ein mehrmastiges Schiff mit britischer Flagge zur Indien-Exkursion in See. Und am Ende, nachdem die Inder zum Zeichen des Friedens Gewehre aus Kisten der „East India Company“ erhalten, senkt sich der Proszeniumsplafond herunter und gibt auf der Rückseite eine wehende britische Flagge Preis. „Brexit“ tönt es in den Reihen des Publikums. So viel zur Aktualisierung der Szene.

Die Verlegung in die Entstehungszeit des Werkes macht aber vor der Musik nicht Halt: Sind im Original die indischen Herren, also König Poros und sein Feldherr Gandarte mit Altisten besetzt, Alexander der Große hingegen mit einem strahlenden Tenor, so kehrt die Produktion an der Komischen Oper die Gewichtung um: die Inder sind auf die tiefen männlichen Stimmen verlagert, den Alexander hingegen singt ein Counter.

Eigenwilliger, großer Abend

Unter dem Dirigenten Jörg Halubek wird die Aufführung zu einem durchaus eigenwillig geprägten, großen Abend. Der junge Spezialist für alte Musik wartet mit originellen, die Thematik der vorangegangenen Nummer aufgreifenden, ins Rezitativ oder in die nächste Arie überleitenden, solistischen Instrumentalsoli auf und fängt damit großenteils den Zwischenapplaus ab. Gleichwohl gerät der erste Teil des Abends, die beiden ersten Akte, in der bei so wenigen Handlungsträgern fast bis zur Parodie ausgereizten Affektentheorie sowie angesichts der Reihung der Arien in barocker ABA-Form arg redundant. Beglückend dann das sequenzierte Duett von Bariton und Sopran als dem hohen Paar, das Händel aus seiner Oper „Galatea e Polifemo“ eingefügt hat. Und eine echte Steigerung und Verdichtung bringt der dritte Akt, mit einer Folge immer tieferen, vom Komponisten und den ausführenden Protagonisten ehrlich empfundenen Leides – auch wenn sich dessen Ursache dann als Missverständnis herausstellt.

Einige Einwürfe und Dialoge erfolgen in dieser Fassung gesprochen, melodramatisch oder auch ohne Musik. Die deutsche Sprache gereicht beim Singen nicht zum Nachteil, insgesamt wird die belebende, freie Nachdichtung von Felicitas Wolf verständlich artikuliert.

Die Rolle des Sir Alexander bleibt trotz allem zur Schau gestellten Imperialismus das von Metastasio typisch als ein Herrscherspiegel konzipierte Vorbild, eine auch vom Komponisten überaus positiv gezeichnete Figur, die der Counter Eric Jurena – entgegen der intendierten Zeichnung als Weichei – viril und stimmlich ohne Einschränkungen meistert. Etwas unverständlich bleibt die Intrige seines Vertrauten, des Griechen Timagenes (João Fernandes), dessen Verrat Alexander großmütig verzeiht. Da die Schlachten und die Feldlager der Heere außen vor bleiben, ist auch Philipp Meierhöfer als Poros’ Feldherr Gandharta primär dessen treuer Diener, der im Königsgewand seinen Herrn vertritt; der Bassist leiht der Partie in der Liebe zu Poros’ Schwester Nimbavati geschmeidige Kantilenen. Idunnu Münch gestaltet die Nibavati (im Original Erissena) mit einem weich schmelzenden Alt sehr eindrucksstark. Der rein intonierte Sopran von Ruzan Mantashyan als indische Königin Mahamaya (im Original Cleofide), anfangs sehr verhalten, gewinnt mit dem Ausdruck von erhabener Liebe und Treue im Laufe der Aufführung ein immer stärkeres Profil.

Den Poros, in der Uraufführung am King’s Theatre Haymarket in London mit einem Kastraten besetzt, initiiert der Bariton Dominik Köninger als eine Art Tarzan am Lianen-Seil auf die Bühne. Dem permanent eifersüchtigen und aufbrausenden König gewinnt Köninger eine Palette an Farben ab, meistert die umfangreiche Titelpartie differenziert und kraftvoll. Mit weißer Farbe schminkt er sich Gesicht und nackten Oberkörper für seinen bevorstehenden Tod vor einer Buddha-Statue. Erst im finalen Rundgesang sind die Solist*innen dann auch als ein durchaus homogenes Ensemble zu erleben.

Am Ende des gut dreistündigen Premierenabends gab es einhelligen Applaus für das im Continuo um die Klangfarben von Theorbe und Barockgitarre angereicherte Orchester der Komischen Oper Berlin, den Dirigenten, die Solisten und für das Produktionsteam rund um den greisen Meister der Szene an diesem Haus.

  • Weitere Aufführungen: 29. März, 13. und 20. April, 2. Mai und 5. Juni 2019.

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