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Richard Strauss. 150. Geburstag. Montage: Hufner
Richard Strauss. 150. Geburstag. Montage: Hufner
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„Nachdenken ist immer unangenehm“ – R. Strauss: musikalischer Feuerkopf und moralischer Bankrotteur

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„Muss man 70 Jahre alt werden, um zu erkennen, dass man eigentlich zum Kitsch die meiste Begabung hat?“ fragt der „andere Richard“ seinen Librettisten Stefan Zweig – bezogen auf das „Rosenkavalier“-Terzett. Wer über so viel Distanz zu sich, ja Selbstironie verfügt, der gehört wohl zu Recht zu den „Großen“. Doch wem gehört er, der am 11.Juni 1864, also vor 150 Jahren, geborene Richard Strauss?

Die Geburtsstadt München ließ ihn ja nur vom Dritten (1886) zum Ersten Kapellmeister (1894) avancieren – Strauss-Urteile: „Münchner Sumpf“, eine Stadt voller „Bauerntölpel“. In Berlin (1908-11) und Wien (1918-1924) war er auch nicht glücklich. Die Garmischer Villa wurde ab 1908, zunehmend in den Zwanziger Jahren und dann im Weltkrieg zum Lebenszentrum. Doch da gab es die Residenzstadt Dresden mit dem von Richard Wagner als „Wunderharfe“ bezeichneten Orchester und dem herausragenden Dirigenten Ernst von Schuch, mit dem sich Strauss in der Trias „Musik – Essen – Skat“ bestens vertrug – neun der sechzehn Bühnenwerke wurden in Dresdens Semper-Oper uraufgeführt. Prompt feiern all diese Städte den Komponisten, für den mehr als für andere gilt, dass er künstlerisch zunächst seiner Zeit voraus war, nach dem Kulturbruch des 1.Weltkriegs dann aber auch deutlich hinter dem Kunsthorizont der Weimarer Jahre zurückblieb.

Junger Feuerkopf

Der junge Feuerkopf, der vom Vater ein streitbares, lustvoll aufmüpfiges Temperament mitbekommen hatte, beeindruckte die Musikwelt zunächst mit rein symphonischen Tondichtungen, die unangepasste, sperrige Figuren feierten: Macbeth, Don Juan, Till Eulenspiegel, Zarathustra, Don Quixote. Sein erster Opernheld „Guntram“ ist ein Aufrührer, der weder Gott noch Kaiser, sondern nur sein Ich als Richtschnur anerkennt. In „Feuersnot“ rechnet der 37jährige mit seiner „lieben Vaterstadt“ ab: voll „lachender Bosheit“. Er hatte damit alle traditionellen Möglichkeiten auskomponiert und betrat - parallel zum Aufbruch in allen anderen Künsten nach 1900 - Neuland: „Salome“ schien im Jahr 1905 wie aus einer anderen musiktheatralischen Galaxis zu kommen - extreme Charaktere, im Zentrum eine Kindfrau mit exzessiver Hinwendung zu Sexus und Tod, ekstatische Ausbrüche in scharfkantiger Nervenmusik an den Grenzen der Atonalität, ein Durchbrechen der Schranken von „Oper als bürgerliche Repräsentationskultur“… ein Welterfolg trotz Polarisierung im Publikum, umrankt von Zensurschlachten. Die Tragödienwucht von „Elektra“ mit ihrem vergangenheitsfixiertem Trieb zur Selbstdestruktion festigte 1909 den Weltruhm des Komponisten endgültig. Kulturpolitisch und sozialhistorisch boten beide Werke den „modern“ orientierten, aber noch ungesicherten neuen Eliten Europas einen unerwarteten, aber eben künstlerisch gesicherten Traditionsanschluss an die „eigenen“ Ursprünge in der biblischen und griechischen Antike. Der stilistisch raffinierte, mal walzerhumorige, mal traumsüße Rückblick des „Rosenkavalier“ von 1911 wirkte einerseits wie der Beweis „Wir, Hofmannsthal und Strauss, können auch mit leichter Hand…“ – und war doch ein ahnungsvoller Abgesang auf die mit „1914“ endende Epoche.

Kultureller Bruch nach 1918

Denn stärker als der finanzielle Schock - Strauss’ auf einer englischen Bank lagerndes, schon damals enormes Vermögen wurde 1914 erst beschlagnahmt und dann zu Reparationszahlungen enteignet - erwies sich der kulturelle Bruch nach 1918. Die Sorge eines „Nichtankommens beim Publikum“ begann zu dominieren, führte zu Urteilen, dass Strauss nun „Öl und Butterschmalz“ biete: „Die Frau ohne Schatten“, „Schlagobers“, „Intermezzo“ und „Die ägyptische Helena“ klangen und wirkten nicht mehr „auf der Höhe der Zeit“. Die mit „Helena“ begonnene Wahl von antiken Stoffen in „Daphne“ und „Liebe der Danae“ wirkte auch wie eine Flucht aus der Gegenwart und gipfelte 1949 in Strauss’ „Letzten Aufzeichnungen“ in der Selbsteinschätzung als „griechischer Germane“.

Wege- und Wendemarke 1933

Auch in Richard Strauss’ Leben bildet das Jahr 1933 eine Wege- und Wendemarke. Der 69jährige war – nicht zuletzt durch sein geschicktes Beharren, alle Honorare seit der Inflation in Dollars bezahlt zu bekommen – reich, weltberühmt, mit nationalen und internationalen Ehrungen bedacht, an keinerlei Ämter gebunden. Die Übernahme eines Berliner Dirigats für den „verjagten Juden“ Bruno Walter im März: ein verheerendes Signal. Die Unterzeichnung des unsäglichen „Protests der Richard-Wagner-Stadt München“ gegen Thomas Mann im April: inakzeptabel. Das Einverständnis mit dem „regime-tauglichen“ Dirigenten Clemens Krauss statt des gleichfalls verjagten Fritz Busch für die Uraufführung von „Arabella“ am 1.Juli in Dresden: erneut inakzeptabel. Das Einspringen im Sommer bei den Bayreuther Festspielen für Arturo Toscanini, der aus Protest gegen die Verfolgung jüdischer Musiker absagte: instinktlos. Die Annahme der Präsidentschaft der „Reichsmusikkammer“ im November mit dem Brief an seine Frau „Ich bin hier bestens aufgehoben und kann erreichen, was ich erreichen will“: abermals inakzeptabel… das Amtsende 1935 prompt demütigend. Komposition und Dirigat der „Olympia-Hymne“ 1936: mehr als befremdlich. Das Dirigat zur Eröffnung der Ausstellung „Entartete Musik“ 1938 in Düsseldorf: eine Bankrotterklärung.

Folgerichtig konnten die vermeintlich unpolitischen Werke ab dem „Rosenkavalier“ von den NS-Machthabern wie die NS-Unterhaltungsfilme eingesetzt werden: als „Ablenkungsdroge vom alltäglichen Schrecken“ (Udo Bermbach) – dieser Ambivalenz von Anpassung und Einvernahme hat Strauss sich nicht gestellt: „Nachdenken ist immer unangenehm.“

Dem aufgrund seiner Weltgeltung Abgesicherten wäre gerade angesichts der Gefährdung seiner jüdischen Familienangehörigen immer noch eine Flucht in die Schweiz möglich gewesen: statt dessen eine Anbiederung an den NS-Potentaten Baldur von Schirach. 1943 ein auch in der neuesten Biographie nicht genanntes Desaster: während in New York Kurt Weill, Franz Werfel und Max Reinhardt im Madison Square Garden vor 20.000 Besuchern mit „We will never die“ den Judenmord anklagen, empfängt Richard Strauss den NS-Verbrecher Hans Frank, der im sogenannten „Generalgouvernement“ für die millionenfache Vernichtung von Juden mitverantwortlich ist, in Garmisch mit der Liedkomposition „Wer tritt herein, so fesch und schlank? Es ist der Freund, Minister Frank. Wie Lohengrin von Gott gesandt, hat Unheil er von uns gewandt. Drum ruf ich ‚Lob und tausend Dank‘ dem lieben Freund, Minister Frank!“ Hier schlägt desaströse Naivität in ein moralisches Defizit um. Ein künstlerisch herausragender Vertreter der Führungs- und Funktionselite eines Volkes muss anderen Ansprüchen genügen – gerade wegen seiner herzbewegenden Lieder, der symphonischen Kompositionen und unsterblichen Bühnenwerke.

  • Laurenz Lütteken: Richard Strauss – Musik der Moderne. 319 S., 17 SW-Abb. Reclam Verlag Ditzingen 2014. € 29,95
  • „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“. Hörbiographie von Anette Unger. „Alpensinfonie“ und „Intermezzo2-Zwischenspieel, SO des Bayerischen Rundfunk, Franz Welser-Möst. BR-Klassik-Wissen 3 CD. € 19,99
  • „Celebrating Strauss“ – Rita Streich, Elisabeth Schwarzkopf, Herta Töpper, Irmgard Seefried. TV-Auftritte 1961-67. Idéale-Euroarts-Bluray 3075054. € 24,99
  • „Richard Strauss an his Heroines“ – TV-Dokumentation von Thomas von Steinaecker. Arthaus DVD 102 181. € 24,99
  • „Geister, die sich scheiden – Richard Strauss – Kurt Weill“. TV-Dokumentation von Michael Pfeifenberger. Makido-Film-ORF-3sat 2013.

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