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Foto: Roland H. Dippel
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Neuburger Kammeroper 2017: Entdeckungen von Francesco Gardi

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Kaum zu glauben: 2018 begeht die Neuburger Kammeroper um Horst und Annette Vladar bereits ihr 50jähriges Jubiläum! Geplant ist dafür ein personenintensives Werk, weil mehrere auch der früheren Solisten mitwirken sollen. Und natürlich wieder eine Entdeckung, die eigene Ideenschmieden und auch die renommierter Festivals beflügeln wird. Wie schon so oft in Neuburg mit Opern von Simon Mayr, Ferdinando Paër oder Marcos António Portogallo.

Man sieht: Das Opernschaffen in Venedig um 1800 ist eine der Schwerpunktsäulen des Ensembles neben der früheren französischen Opéra-comique und der frühen deutschen Oper aus der Goethezeit. Es war also nur eine Frage der Zeit, wann die Neuburger Kammeroper sich auf die Spur des nie so richtig aus seiner Heimatstadt Venedig herausgekommenen Komponisten Francesco Gardi (ca. 1760 – ca. 1810) heften würde. Unter den Titel-Erfindungen „Arzt wider Willen“ („Il medico a suo dispetto“, Teatro San Moisè 1800) von Gardi und „Alles verhext?!“ („L’incantesimo senza magia“, Teatro San Angelo 1800) kamen zwei jener ‚farse‘ zur Aufführung, wie sie in Venedig zum Bühnenalltag gehörten: Leichte Komödienkost mit sanften Bildungs- sowie heute schwer verständlichen Anspielungs- und Satirespitzen. Allein 1800 zeigte sich mit sieben Ur-und Erstaufführungen der Regierungsbeamte Giuseppe Maria Foppa für die mal mehr, mal weniger unterhaltsamen Libretti verantwortlich. Der Reimexperte mit seinen oft an Goldoni inspirierten Stoffen hatte einen guten Ruf, die musikalischen Ergebnisse dazu waren in der Regel sehr melodienreich, dafür aber harmonisch und formal eher gekonnt als überwältigend. 

Das Genre passt ideal in den so arabesk verspielten Ornat des Neuburger Stadttheaters. Alois Rottenaicher am Pult lässt die vor allem gefälligen Nummern Francesco Gardis von den Musikern des Akademischen Orchesterverbands München ab dem ersten Talkt mit ganz viel Brio abschnurren. Nach der Pause wird es eine kleine Spur routinierter. Seccorezitative kommen legitim als gesprochene Dialoge und es macht den Eindruck, dass diese Übersetzung des Prinzipalpaares mit mehr heutigen Trendfloskeln aufwartet als frühere. Die Verwandlungen der Kulissenbühne Michele Lorenzinis und Michael Hoffmanns Regie im ersten Teil lassen auf bedachte und genrebewusste Verjüngung schließen. Es gibt weniger Stilisierung, dafür ein Bilderbuch-Venedig mit einer Palazzo-Fassade als Fototapete und Lorenzinis beeindruckend farbschöne Kostüme - feinstes Retro-Rokoko. Guter Stoff „comme il faut“ also zum Tändeln, Kosen, Schmollen, Schelten, Rumoren, Grollen, Fliehen, Versöhnen, Verkleiden, Verprügeln.

Die Storys bieten kaum Überraschungen. Der „verstellte Arzt“ ist ein von seiner Frau bedrängter Saufkopf, der einem Mädchen zufällig dazu verhelfen kann – besser: muss -, anstelle des vom Vater bestimmten Bräutigams den Mann ihrer eigenen Herzenswahl zu ehelichen. In „Alles verhext?!“ geben sich fast alle als irgendjemand anderes aus, damit der eitle Don Tirante bloß nicht die ihn verschmähende Corinna abkriegt.

Im trefflichen Ensemble finden sich wieder einige dem „genius loci“ ideal zugetane Komödianten-Perlen: Wilfried Michl ist in beiden Teilen ein spielfreudiger Buffo mit dem Schalk in der Stimme, er liefert als verkleideter „Capitano“ ein Kabinettstückchen, als sei’s der Graf Almaviva bei einem gewissen Doktor Bartolo. Es spricht für Direktor Horst Vladar, dass er im Sinne der Entstehungszeit nicht unbedingt nach Rollenfach, sondern nach Persönlichkeit besetzt. So ist Denise Felsecker erst der verliebte Backfisch Fiorina, dann die (ähnlich wie Mozarts Despina) sexualtherapeutisch versierte Dienerin Dorina: Stimmumfang Sopran, Stimmfarbe eher Mezzo und eine einnehmende Darstellerin rundum. Die Trias freudespendender Komödianten komplettiert der gertenschlanke, hochgeschossene Joachim Hermann, „Dottore“ mit Säuferbäckchen und galanter Aufschneider in Personalunion. Sein heller und pointierter Bariton: hochgradig individuell mit allen Voraussetzungen zum Publikumsmagneten.

Gejubelt wurde in der letzten Vorstellung aus dem so gut wie ausverkauften Saal viel, laut, oft und mit eingefleischter Sympathie für das Ensemble. Da zeigt eine treue Liebe für eine bemerkenswerte, keineswegs selbstverständliche Kontinuität und Authentizität mit Format. Und erfreut, auch weil Laura Feig, Semjon Bulinsky, die beiden mitagierenden Spielleiter und die langjährig treue Schar der Edelstatisten ihr Bestes geben.

Bei aller Neugier auf Werke zwischen Giovanni Paisiello und den frühen Farsen Gioachino Rossinis, der wenige Jahre mit seinen Koloraturblitz-Ketten eine steile Brise in dieses Genre bringen sollte: Es hat seine Gründe, dass Rossinis „L’Italiana in Algeri“ in Venedig 1813 wie eine Bombe einschlägt und in ganz Europa den auffrisierten Begeisterungsmotor für die „opera buffa“ anwirft. Auch dafür sind Funde da - zur Bestätigung, warum manche Werke mehr Effekt machen (müssen) als andere. Das allerdings sollte die Neuburger Kammeroper nach ganz wunderbaren Entdeckungen wie Garcias „Kalif von Bagdad“ oder Spohrs „Der Zweikampf mit der Geliebten“ nicht bremsen, sondern zum weiteren Forschen und beglückenden Spielen beflügeln. Diese Farbe im bayerischen Festival-Zyklus ist unverzichtbar. Denn unter den Ferraris der Exhumierungsfestivals gibt es sehr viele Isetta-Liebhaber, die ganz große Lust auf abenteuerliche Stopps an den spannendsten Fundorten haben.

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