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Der Castorf-Ring im vierten Jahr: „Götterdämmerung“ bei den Bayreuther Festspielen. Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Der Castorf-Ring im vierten Jahr: „Götterdämmerung“ bei den Bayreuther Festspielen. Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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Neue Besetzungen und noch mehr Krokodile: „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ bei den Bayreuther Festspielen

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Als nach dem Schlussakkord des Premieren-„Ring“ der Vorhang fiel, brandete auch im vierten Jahr von Frank Castorfs Inszenierung im Publikum ein heftiger Widerstreit von Buh- und Bravo-Rufen auf. Die ungewöhnliche Sicht des Regisseurs ersetzt Wagnersche Mythologeme durch eigene Bildeinfälle – mit Öl statt Gold, Ostberlin vor und nach der Wende statt Gibichs Hof am Rhein und dem westlichen Einfluss von Döner und Börse anstelle von Hagens Intrige. Das erhitzt weiterhin die Gemüter und bot in den Pausen, neben den höchst unterschiedlichen Vorgängen der Überwachung des Publikums durch Polizei und Sicherheitskräfte, immer wieder neuen Diskussionsstoff.

Marek Janowski ist ein Dirigent, der seit 30 Jahren betont, dass ihn die Bühne nicht interessiere. Als Nachfolger Kirill Petrenkos erweist er sich als ein denkbar ungeeigneter Partner, um Castorfs eigenwillige Spielführung und Aleksandar Denićs szenisch starke Räume musikalisch zu kommentieren, zu untermauern oder zu konterkarieren. Dies zeitigte in der „Götterdämmerung“ ungewöhnliche, für Bayreuth inadäquate Ergebnisse: Obgleich sich die drei Rheintöchter ausnahmsweise einmal nicht im Auto oder auf der Straße prostituierten, sondern Schulter an Schulter, an der Rampe stehend, ihren Einsatz vom Dirigenten erwarteten, bekamen sie ihn offensichtlich nicht und ließen so ihren gesamten ersten Satz „Frau Sonne sendet lichte Strahlen“ ungesungen. Auch Hagen sang den Finalsatz der „Ring“-Tetralogie, „Zurück vom Ring!“, nicht, wohl weil der Dirigent zu diesem Zeitpunkt mit der symphonischen Entwicklung der Schlussszene so beschäftigt war, dass das Zeichen zu diesem Einsatz unterblieb.

Zuvor hatte es im Orchester immer wieder eindrucksstarke Momente gegeben, wie die dank eines stimmlich wirklich adäquaten Paares Siegfried und Brünnhilde intensive Schlussszene im „Siegfried“. In der „Götterdämmerung“ geriet der gesamte erste Aufzug – dank der vergleichsweise vorherrschenden Statik bei der Riege der Solisten – zu einem vokalen Fest, der zweite mit dem imposant präsenten Festspielchor dann geradezu zu einem Klang-Fanal.

Catherine Foster gestaltete die Brünnhilde an beiden Abenden emotional stark und faszinierend in der Beherrschung ihrer stimmlichen Mittel (sieht man von den bereits erwähnten Auslassungen ab). Stefan Vinke hat für die Partie des Siegfried eine optimale Timbrierung und einen gesund gewachsenen Heldentenor. Den gesellschaftlich angepassten und damit auch in seiner Stimmführung veränderten vormaligen Naturburschen, mit Bravourtönen bis zum hohen C, die bei seinen Partienkollegen zumeist gar nicht zu hören, markiert oder nur kurz angerissen sind, garantiert Vinke, singt sie sogar breit aus.

Die Lichtseite der diesjährigen Umbesetzungen zeigte John Lundgren, der als hintergründig verschmitzter Wanderer im „Siegfried“, wie schon als „Wotan“ in der „Walküre“, reinen Genuss bereitete. Und Marina Prudenskaya gestaltete die Waltraute so faszinierend, wie wohl seit Jahrzehnten nicht mehr zu erleben, stimmschön, makellos textverständlich und intensiv.

Kontinuität auf hohem Niveau gewährleistete Nadine Weissmann als Erda. Andreas Conrad als Mime, Markus Eiche als Gunther und Allison Oakes als Gutrune knüpften an ihre Vorjahresleistungen an, ebenso Albert Dohmen als textungenauer Alberich. Verschlimmbesserungen brachten die Umbesetzungen des Waldvogels (Ana Durlovski, gegenüber der Vorgängerin vergleichsweise schwerfällig und tremolierend) und der Rheintöchter (wie bereits berichtet). Kurzfristig war Albert Pesendorfer als Hagen eingesprungen, stimmlich und darstellerisch (bis auf den fehlenden Schlusssatz) souverän. Irritierend, dass in den vorproduzierten Filmsequenzen des dritten Aufzuges – beim Trauermarsch und am Ende – weder Pesendorfer, noch der angekündigte Stephen Milling zu sehen war, sondern der Hagen-Darsteller von 2013 – und dass der Maskenbildner nicht einmal ansatzweise versucht hat, der Neubesetzung ein ähnliches Aussehen zu verleihen. Das musste jene Besucher, welche die Inszenierung zum ersten Mal erlebten, verwirren und überfordern.

Weitere szenische Veränderungen sind weitgehend marginal. Am stärksten fällt die weitere Vermehrung der Krokodile ins Gewicht , welche im Schlussbild des „Siegfried“ mit Pizza, Brot und Sonnenschirm gefüttert werden: die beiden alten, wieder fleißig kopulierenden Krokodile haben nun drei Junge, die miteinander spielen und Lacher im Publikum ernten. Nur leider sind diese Krokodile nicht so lebensecht gefertigt wie jene in Pina Bauschs paradigmatischer Produktion „Keuschheitslegende“ in Wuppertal. Wohl unbeabsichtigt erfolgte am Anfang des „Siegfried“ ein zusätzliches, verfrühtes Öffnen und erneutes Schließen des Hauptvorhanges, und dann blieb dieser am Ende der „Götterdämmerung“ auch noch auf der rechten Seite hängen.

Neu erschien mir, dass Brünnhilde – als Bildentsprechung für ihren Runenzauber – Karten legt, die sie dann im Schlussgesang von sich wirft. Dann spielt sie auch den silbernen Campingwagen, der als Nibelungenbehausung und Mimes Höhle von Siegfried mit in die Ehe gebracht wurde, als ihr Ross Grane an, während im Spiel des ersten Aufzugs eine Babypuppe anstelle des Tieres getreten war, die bei der Vergewaltigung Brünnhildes durch Siegfried als falschem Gunther zugleich die Visualisierung des Frevels an einem noch ungeborenen Kind von Siegfried und Brünnhilde vermitteln soll. Gutrune provoziert ihre Schwägerin Brünnhilde, die Gunther im Goldpailettenkleid ihrer Mutter Erda gefolgt ist, indem sie mit Brünnhildes Mantel die Frontscheibe ihrer Isetta putzt. Bevor Hagen für einen kurzen Moment dann doch den besungenen Speer als Schwurwaffe ins Spiel bringt, kreuzen er und Siegfried lange Zaunlatten, – und hinter jenem Lattenzaun wird er Siegfried später mit einem Baseballschläger ermorden.

Auf jenen Tisch, auf den Gunther am Ende des zweiten Aufzuges wütend und bewusst gegen den Rhythmus der Musik eindrischt, hat Hagen blutig die Umrisse seiner Schuhe gemalt – denn offenbar bewegt ihn allein die Frage der Fußfolge der Ring-Besitzer. Musikalische Akzente im rhythmischen Fluss der Musik setzen hingegen die Rheintöchter mit dem Geräusch des Öffnens von Bierdosen  – als eine schale Reminiszenz an die Plastik-Materialmusik, mit der Siegfried das Singen des Waldvogels im zweiten Aufzug des „Siegfried“ nachzuahmen sucht.

Der Herrenchor, der im zweiten Aufzug der „Götterdämmerung“ mit Fähnchen der vier Besatzungsmächte Berlins feiert, daneben mit Plakaten agitiert, oder, von allem Offiziellen ungestört, Fast Food, Alkohol und Drogen zuspricht, singt seinen ersten Einsatz im dritten Aufzug in zwei Gruppen aufgeteilt, links und rechts aus dem Off. Für die Einwürfe bei Siegfrieds Erzählung und Hagens Mord ist der Herrenchor auf 15 Schaulustige in der einzig von den Flammen eines brennenden Ölfasses beleuchteten Hinterhof-Dekoration reduziert. Im projizierten Bild der Infrarot-Überwachungskamera erscheinen die Kontrahenten als weiße Umrisse, nur die Hitze der Feuertonne zeugt rote Punkte.

Der Schlussapplaus war heftig, aber vergleichsweise kurz – wohl da sich Frank Castorf in diesem Jahr dem Publikum nicht stellte. Dafür erntete Marek Janowski Buhrufe und Bravos, die Solisten durchwegs Ovationen.

Die nächsten Aufführungen „Siegfried“: 10. und 23. August 2016.
Die nächsten Aufführungen „Götterdämmerung“: 12., 16., und 25. August 2016.

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