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Ludwig und seine Nymphen: Elena Lin, Johannes Mooser, Beata Marti und Katrin Pömmerl in der Neufassung von „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ am Theater Regensburg. Foto: Christina Iberl
Ludwig und seine Nymphen: Elena Lin, Johannes Mooser, Beata Marti und Katrin Pömmerl in der Neufassung von „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ am Theater Regensburg. Foto: Christina Iberl
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Unklare Haltung zum Märchenkönig: Neufassung des Musicals „Ludwig II.“ in Regensburg

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Ursprünglich für das damals neu gebaute Füssener Theater geschrieben (UA 2000), brachte das Theater Regensburg das Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ (Musik: Franz Hummel, Libretto: Stephan Barbarino, Heinz Hauser) nun in einer neuen Fassung heraus. Juan Martin Koch berichtet über einen zwiespältigen Premierenabend.

„Ein ewiges Räthsel will ich bleiben mir und anderen…“ Dieses berühmte Briefzitat greift der Chor jeweils am Ende des ersten und zweiten Aktes auf. Wie dies geschieht – nicht wörtlich, sondern Ludwig in der zweiten Person ansingend – ist typisch für dieses Musical, und vor allem Komponist Franz Hummel zelebriert in seiner Partitur die Kunst der knapp am wörtlichen Zitat entlang balancierenden Anspielung auf intelligente Weise.

Musikalischer Beziehungsreichtum

Mit Ludwigs erster Arie – der Textbeginn „Du holde Kunst“ zitiert Schuberts berühmtes Lied – sind wir schon mittendrin: Naheliegend geht es mit einer Anleihe bei Wagners „Lohengrin“ los, dann biegt das Horn über Streicherflirren kurz, aber eindeutig in Richtung Bruckners siebter Symphonie ab. Spätestens als Sissi dann im zweiten Akt mit nur leicht abgewandelter Melodie „Einmal möcht’ ich nur dir allein gehören“ singt und Ludwigs „holde Kunst“ als Einwurf sich perfekt anschmiegt, kommt aber eine weitere Assoziation ins Ohr: der Finalsatz aus Mahlers vierter Symphonie, in dem ein Sopran im „Wunderhorn“-Ton „himmlische Freuden“ genießt…

In seinem Element ist Hummel auch beim ersten Auftritt Richard Wagners: Virtuos spinnt er hier dessen „Tristan“-Chromatik weiter, ein bewusst sperriger Fremdkörper in der ansonsten genrebedingt durchweg mehrheitsfähigen Musik. Köstlich ist auch das verzerrte Als-ob-Medley aus dem „Ring des Nibelungen“, das Ludwig als Privataufführung serviert wird, und zur Ballonfahrt um die Welt greift Hummel genüsslich in die Vollen: Musik à la Johann Strauß oder George Gershwin wird da präsentiert und schließlich – als wieder das dem König so verhasste München in den Blick kommt – ein herrlich geschredderter Defiliermarsch.

Auch wenn Hummel andererseits hie und da das reine Klischee nicht scheut: vieles in seiner Partitur sprengt vom symphonisch-opernhaften Anspruch her die Gattung Musical, und so ist es das Hauptverdienst der nun uraufgeführten Neufassung, dies mit den Kräften eines regulären Opernorchesters erst so richtig kenntlich gemacht zu haben. Die Philharmoniker unter der Leitung des Regensburger GMDs Chin-Chao Lin machen den unterhaltsamen Beziehungsreichtum plastisch hörbar und begeben sich mit gleicher Präzision und Verve auch in die Untiefen hinein.

Repertoirefähigkeit fraglich

Ob mit der Regensburger Neuproduktion auch die Repertoirefähigkeit des Stücks an sich nachgewiesen ist, muss nach den Eindrücken des Premierenabends offen bleiben. Optisch spektakulär ist der Beginn – Ludwig schwebt als Ertrinkender vom Schnürboden herab –, geschickt Tiefe suggerierend hat Bengt Gomér das Bühnenbild konzipiert: In Anspielung auf die herrliche Szene in Viscontis Ludwig-Film, in der Romy Schneider als Sissi beim Betreten des Herrenchiemseer Spiegelsaals in Lachen ausbricht, schauen wir in eben diesen Raum, weiß auf schwarz skizziert; ein Plexiglaskasten davor, wahlweise mit oder ohne Bett, verwandelt sich mit wenigen Elementen in verschiedene Spielräume. Später deutet ein blau leuchtender Neonring die Venusgrotte in Linderhof an.

Unklar bleibt beim Abschreiten der mehr oder weniger historischen Lebensstationen (das Libretto entwickelt zu keinem Zeitpunkt einen dramaturgisch zwingenden Sog) die Haltung, die Regisseur Sam Brown zu seinem Protagonisten einnimmt. Gibt er den Märchenkönig bei seiner großen Arie zu Beginn mit Konfetti auf dem Kopf oder im zweiten Akt beim unbeholfenen Patschen auf Lederhosenhinterteile bewusst der Lächerlichkeit preis? Johannes Mooser (imposante Erscheinung, gute Stimme) scheint es auch nicht recht zu wissen. Entsprechend unscharf gerät die Thematisierung der Homosexualität, auch wenn Felix Scharff als Schauspieler Kainz viel Oberkörper zeigen darf. Ludwigs Verzweifeln an der Welt, seine „Sehnsucht nach dem Paradies“ wird wortreich und ohne Berührungsängste zum Kitsch besungen – greifbar, mitfühlbar wird sie nicht.

Die humoristischen Elemente funktionieren beim staatstragenden Quartett Lutz, Pfistermeister, von Gudden, Holnstein einigermaßen (spielfreudig: Seymur Karimov, Christian Schossig, Thomas Lackinger, Harald Mück), bei den aufgesetzt bairisch singenden Nymphen weniger. Die (von Libretto und Regie) unzureichend profilierten Frauenfiguren singen zumindest ausgezeichnet: Sara-Maria Saalmann als Sissi und Vera Semieniuk, die als Sophie den bewusst falsch intonierten Offenbach (mit dem sie die Lösung der Verlobung mit Ludwig provoziert) brillant meistert.

Nachdem es während der Vorstellung so gut wie keinen Zwischenapplaus gab, provozierte am Ende der Ministermarsch aus dem Graben immerhin rhythmisches Klatschen beim zweiten Vorhang, der dann aber auch schnell wieder abebbte. Rauschende Musicalerfolge hören sich anders an.

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