Hauptbild
DIE HUGENOTTEN von Giacomo Meyerbeer, Regie: David Alden, Premiere am 13.11.2016, Deutsche Oper Berlin, Foto: © Bettina Stöss
DIE HUGENOTTEN von Giacomo Meyerbeer, Regie: David Alden, Premiere am 13.11.2016, Deutsche Oper Berlin, Foto: © Bettina Stöss
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Neuinszenierung von Meyerbeers „Les Huguenots“ an der Deutschen Oper Berlin

Publikationsdatum
Body

Die Vorgänger-Inszenierung von Giacomo Meyerbeers „Hugenotten“ an der Deutschen Oper Berlin vor 39 Jahren dauerte nicht einmal halb so lang wie die neue, gleichwohl immer noch gegenüber Meyerbeers Partitur deutlich gekürzte Produktion – damals in deutscher Übersetzung, nunmehr in Originalsprache. Von einem hochkarätigen, internationalen Solisten-Ensemble ausgeführt, gab es ab dem ersten Akt häufig heftigen Zwischenapplaus für Sänger-Leistungen. Die langanhaltenden Ovationen streckten die ursprünglich auf knappe fünf Stunden konzipierte Aufführungsdauer um eine weitere halbe Stunde.

Im Jahre 1987 hatte John Dew diese Oper frisch und frech so inszeniert, als sei es eine unbekannte Operette von Offenbach. Grundsätzlich Ähnliches schwebte nun wohl auch David Alden vor, der Meyerbeer im Programmheft als „Vater des Broadways-Musicals“ bezeichnet. Doch von seiner Neuinszenierung bleiben weniger die aufs Unterhaltungstheater verweisenden Elemente als überaus lange Tableaux vivants im Gedächtnis.

Ins Dachgebälk, das Bühnenbildner Giles Cadle über eine Wellblechhalle gehängt hat, wird anfangs – mit historischem Bezug zur Bartholomäusnacht des Jahres 1572 – jene Glocke hochgezogen, die in Saint Germain den Beginn des Gemetzels eingeläutet hatte. Durch ein Fernrohr beobachtet Raoul den von den anderen Herren des Empfangs beim Grafen von Nevers (Marc Barrard) als Frauenheld gepriesenen Junggesellen mit Valentine und schließt daraus, diese sei eine von dessen Geliebten. Daher lehnt Raoul es ab, als Königin Marguerite von Valois sie ihm als ihre Hofdame und zur Ehe vorschlägt. Auf diese Weise kommt es nicht zu der von ihr initiierten Zeichensetzung des Friedens im schwelenden Religionsstreit zwischen Calvinisten und Katholiken und – vor der Folie des Liebespaars, das unter allerlei Verwirrungen nicht zueinander findet – erfolgt am Ende der Handlung das Abschlachten der Katholiken durch die Calvinisten.

Gleichwohl steht in der 1836 uraufgeführten Opernhandlung auf ein Libretto von Eugene Scribe und Emile Deschamps die Geschichte der unglücklich Liebenden vor der Koloristik diverser Volksschichten, nicht die politische Entwicklung, im Vordergrund. Mit Fracks, Gehröcken und Zylindern verlegen Alden und Kostümbildnerin Constance Hoffmann die Geschichte in die Entstehungszeit, gebrochen allerdings durch manch irritierende Momente, etwa wenn die Herren auf der Speisetafel herumlaufen, von welcher Raoul auch seine berühmte, sichtbar von Viola da Gamba begleitete Arie im ersten Akt singt. Doch die allein mit Luftballons bekleideten Animierdamen gemahnen an das späte 20. Jahrhundert.

Choreographische Momente erfolgen mehr im Chor als im Opernballett (Choreographie: Marcel Leemann); die Herren knicken in die Knie und wackeln mit der Brust. Im ersten Akt gibt es obendrein rasante Farblichlichtwechsel – ein dramaturgisches Mittel, das im weiteren Verlauf keine Anwendung mehr findet. Ihre sichtbar von der Harfe begleitete Arie singt die Königin auf einer Chaiselongue liegend, umsorgt von einer grün gewandeten Krankenschwester und von ihren mit Fächern ausgestatteten Hofdamen. Marguerite von Valois ist in dieser Inszenierung eine skurrile, wild überdrehte Monarchin, die Patrizia Ciofi mit schier schwerlosem Belcanto als eine herrlich verrückte Königin verkörpert. Wie bei Ludwig II. ein gedecktes Tischlein, so fährt bei ihr eine Badewanne aus der Versenkung. Bei der Prozedur ihrer Waschung wird ihr Hosenrollen-Page Urbain, kraftvoll und stimmt schon interpretiert von Irene Roberts, in der Frauen-Riege anfangs übersehen: als junger Schwerenöter ist er deutlich ein jüngerer Bruder von Mozarts Cherubino.

Im Finale des zweiten Aktes besteigt Marguerite eine hoch aufgereckte Pferde-Plastik. Später kommen zwei weitere fahrbare, sich hoch aufbäumende, weiße Pferde hinzu, deren sie besteigende Reiter dann selbst Teil dieser Standbilder werden, Vertreter versteinerter Standpunkte. Die Königin agiert aber auch als Säulenheilige auf einer hochfahrenden weißen Säule, Herren und Damen des (von Raymond Hughes einstudierten, nicht immer klaren) Chores schwenken gelbe Papierfähnchen.

Unkonventioneller, wenngleich noch reduzierter, arbeitet der Regisseur im 3. Akt: da die Handlung an einem Sonntag spielt, platziert er alle Sängerdarstellerinnen statt auf der Schreiberwiese der Volks-Lustbarkeiten auf Kirchenbänken – was dann wie eine halbszenische Aufführung wirkt. Mal schubst ein Herr eine Frau von der Bank, mal agitiert eine Gruppe mit erhobenen Fäusten, mal rauben Calvinisten einige Katholikinnen aus den Reihen der Gläubigen. Im optischen Nachvollzug der stilistischen Kontrapunktik dieses Aktes zwischen „Piff-Paff-Puff“, Rataplan und Ave Maria, tanzen zwei katholische, an der Rampe betende Mädchen unvermittelt frech Can-Can. Zur Ballettmusik setzen einige Gläubige Ku Klux Klan-Hauben auf und strecken ihre Arme mit blutigen Händen in die Höhe.

Nach einer weiteren Pause ist in den letzten beiden Akten wieder mehr Konvention zu erleben. Raoul trifft Valentina vor einer Reformations-Bildergalerie. Die gräfliche Gesellschaft agiert, wie schon im ersten Akt, auf einer Bühne auf der Bühne, ohne dass dieses Mittel als Theater auf dem Theater für zusätzliche Erkenntnisse zu sorgen vermag.

Dirigent Michele Mariotti organisiert Meyerbeers Mixtum aus französischer Unterhaltungsmusik, Techniken der italienischen Opera Semiseria und Anklängen an Bach, Mozart und Händel gekonnt, aber doch etwas schwerfällig. Als Rossini-Spezialist betont er die Nähe zahlreicher Passagen zu Rossini und ist bemüht, die dicke Instrumentierung leicht und durchsichtig klingen zu lassen, die Fortissimi abzudämpfen, ohne dabei den Gegensätzen das Brutale und Vulgäre zu nehmen. Wie ein Beitrag zum Luther-Jahr wirkt der breit ausgedeutete Beginn der Ouvertüre mit dem Bach-Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“, welcher dann, teils gesungen, teils nur instrumental, als Erinnerungsmotiv den weiteren Abend durchzieht. Das Massaker der Bartholomäusnacht ist in den Rhythmus der Musik integriert, wie zuvor rhythmisch geschossen wurde, so wird am Ende mit Messern rhythmisch gemordet.

Während die Valentine von Olesya Golovneva mehr durch ihr Spiel als durch ihr lautes Organ überzeugt, liefert Juan Diego Florez als Raoul von Nangis ein in jeder Hinsicht sensationelles Rollendebüt: die vordem zumeist heldisch besetzte Partie meistert Florez mühelos, mit satter Tongebung und lyrisch schmelzvoller Stimmführung. Für den bramarbasierenden Haudegen Marcel, der im Konflikt der christlichen Religionen irritierend oft das Wort „Israel“ in den Raum wirft, vom Regisseur als eine Art Mephisto gedeutet, muss Ante Jerkunica gesanglich satte Basstöne mit rezitativischer Baritonlage mischen.

Am Ende lange ausgedehnter Applaus mit Standing Ovations für den Dirigenten und seine „sieben Weltklassesänger“ (Marlotti). Als dann sehr spät auch noch das Regieteam auf die Bühne kam, waren auch Buhrufe zu vernehmen – vermutlich von jenen Premierenbesuchern, denen offenbar Aldens dezente Lesart bereits zu weit geht oder die sich einen opulent-blutigen Historismus der Bartholomäusnacht erwartet hatten, wie ihn Patrice Chéreau ihn in seiner Verfilmung dieses Stoffes entfesselt hat.

  • Weitere Aufführungen: 17., 20., 23., 26. und 29. November 2016

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!