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Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
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Nicht im Lot – Jaromír Weinbergers „Frühlingsstürme“ an der Komischen Oper Berlin

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Angekündigt als die Rückkehr der „letzten Operette der Weimarer Republik“, findet die jüngste Ausgrabung an der Komischen Oper Berlin in mehrfacher Hinsicht kein Ende. Die Handlung ringt sich zu einem sehr gebrochenen Happy End durch, fast schon ein tragischer Ausgang, wie sie im Genre Operette sonst nur von Lehars „Giuditta“ bekannt ist.

Aber Jaromír Weinbergers „Frühlingsstürme“ sind trotz des Grundmusters der Operette –lyrisch-dramatisches und Buffo-Liebespaar plus Komiker –formal ein Zwischending zwischen Oper, Operette und Schauspiel mit viel Bühnenmusik. Doch ist es damit, auch mit den leider zu lang geratenen Dialogen zwischen den Musiknummern, an der Opéra Comique der Bundeshauptstadt richtig angesiedelt.

Die Bühnenausstattung von Klaus Grünberg vermittelt den Eindruck einer Low Budget-Produktion: auf der nackten Bühne kreist ein kubusförmiger, überdimensionaler Schrankkoffer, dessen Flügel sich weit öffnen lassen, mit zahlreichen Klapptüren nach drinnen und draußen; aber innen ist er so grau und trist wie von Außen durch das beherrschende Braun. Das mag angesichts der Entstehungszeit, angesichts brauner Horden und Abreisetendenzen politisch intendiert sein, sinnlich hilft es der Vermittlung der Handlung nur wenig. Vor dem Schlussakt gibt es auf der Hinterseite der Bühne ein Feuerwerk, das an (Klein-)Bregenz gemahnt und vielleicht die Explosionen des Krieges zwischen Russland und Japan assoziieren wollte.

Denn die Handlung der etwas seltsamen Liebesgeschichte zwischen einer begehrten russischen und einem in die Jahre gekommen im General einerseits, sowie einem japanischen Spion, den die Fürstin liebt andererseits, sowie einem Liebespaar eines deutschen Journalisten und der Tochter des Generals, ist 1905, während des russisch-japanischen Kriegs angesiedelt.

Das chorlose Stück mag für die Disposition der Komischen Oper Berlin ein Gewinn sein, für dessen Erscheinungsform ist der Verzicht auf das wunderbar spielfreudige und stimmgewaltige Ensemble von Chorsolisten ein Defizit. Der Einsatz der kostümierten Bühnentechnik als Militärs und Hotelboys und dreizehn Tänzerinnen, mal als Federballspielerinnen, mal mit Straußenfedernfächern, mal als Trägerinnen von zwei chinesischen Drachen, soll diesen Verlust ausgeglichen. Aber Otto Pichlers sonst stets immens einfallsreicher Choreographie fehlt diesmal, trotz Blütenregen (á la „Perlen der Cleopatra“) und einer spät an die Kiste angeschobenen, geschwungenen Showtreppe der besondere Kick.

Und erst als für das Schlussbild eine Hoteleingangs-Drehtür inmitten des Kofferraums ergänzt wird, gewinnt die präzise gebaute Inszenierung von Barrie Kosky an Witz und Tempo, nun mit all dem aus Feydeau-Stücken bekannten Klamauk und Running Gags.

Doch zu diesem Zeitpunkt ist es bereits zu spät, den zu lang geratenen Abend wieder ins Lot zu bringen; selbst jetzt noch droht das unstimmige Timing den Abend aus den Fugen geraten zu lassen.

Dass diese Neuproduktion dennoch einen Gewinn bedeutet, ist in erster Linie dem Klangreichtum des Orchesters zu verdanken. Allerdings war die Originalpartitur nicht mehr aufzufinden, so dass das von Weinberger groß besetzte Orchester nachinstrumentiert werden musste. Aufgrund des Klavierauszuges, von „Schlagerheften“ und der Schellackeinspielungen einiger Solonummern hat Norbert Biermann die Orchester-Rekonstruktion der ausladenden Harmonik vorgenommen und sich in der Instrumentierung insbesondere an Weinbergers vorangegangener Oper „Die Ausgestoßenen von Pokerflat“ orientiert. Diese Arbeit ist Biermann großartig gelungen, etwa mit verblüffenden Facetten im Einsatz von Mandoline, Banjo, Harfe und Celesta. Weiter hat er aus dem thematischen Material ein zusätzlich vom Regisseur als Schlussnummer gewünschtes Quartett sowie diverse Tanzeinlagen erstellt.

Das von Jordan de Souza geleitete, wie die Sängerdarsteller*innen elektroakustisch leicht angehobene Orchester spielt die Nummern brillant, und insgesamt wird sehr gut gesungen. Vera-Lotte Boecker gestaltet die Lydia Pawlowska dramatisch und klangschön, doch nimmt man ihr die Faszination dieser Frau, der alle Männer zu Füßen liegen, nicht recht ab. Alma Sadé verkörpert die quirlige Generalstochter Tatjana, Dominik Köninger als ihr Partner Roderich Zirbitz überzieht leider in der Partie des vorgetäuschten Kochs und Zauberers. Kraftvoll gelingt Tansel Akzeybek die in der Uraufführung von Richard Tauber kreierte Partie des von der Pawlowska geliebten japanischen Feindes Ito, der durch ein Missverständnis frustriert, eine andere heiratet – die gesangslose Sayuri (Martina Borroni). Die Spitzenleistung des Abend bietet ebenfalls ein nicht singender Darsteller: der Schauspieler Stefan Kurt verkörpert den General Katschalow mit hinreißenden Slapstick-Einlagen und einer Mischung von Ballerino- Darbietung und dem dazu von ihm russisch intonierten gesungen Arie aus „Eugen Onegin“.

Trotz der Längen lässt sich das Publikum das Publikum mitreißen und zollt am Ende begeisterten Applaus. Sicherlich war die Entscheidung richtig, dieses 1933 im Berliner Admiralspalast uraufgeführte Bühnenwerk Jaromir Weinbergers vor der Wiederaufführung der absoluten Erfolgsoper dieses tschechisch-jüdischen Komponisten anzusetzen: Fortführung und Steigerung des Erfolges sind mit „Schwanda der Dudelsackpfeifer“ gesichert.

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