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Ring für Kinder. Hagen und Gunther. Foto: Kai Bienert
Ring für Kinder. Hagen und Gunther. Foto: Kai Bienert
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Nicht nur für junge Besucher – Wagners „Der Ring des Nibelungen“ mit dem RSB Berlin, szenisch im Atze-Musiktheater

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Wagner für Kinder macht Schule. Katharina Wagner, die Urenkelin des Komponisten, hat es in Bayreuth vorgemacht. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, das bis zum Vorjahr die zehn im Kanon der Bayreuther Festspiele vertretenen Musikdramen neu auf CD eingespielt hat, setzt auch im Jahr nach Richard Wagners 200. Geburtstag sein Bemühen fort, die Jüngsten an den Kosmos des Bayreuther Meisters heranzuführen. Eigenwillige Bild- und Text-Beiträge sind im Vorfeld bei einem Workshop in Berliner Grundschulen entstanden.

Den Workshops des RSB zu Handlung und Musik von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ folgte nun eine Aufführungsserie, die im Oktober dieses Jahres fortgesetzt wird. Im Programmheft der „Großen Oper für kleine Leute“ sind einige Arbeiten der jüngsten „Ring“-Exegeten reproduziert.

„Der ‚Ring’ in 100 Minuten“ nannte sich das Aufführungsprojekt eines „Szenischen Konzerts“, aber bei den 100 Minuten blieb es nicht; am Ende hielt jeder der beiden Teile der Aufführung diese zeitliche Bemessungsgrenze ein, „Das Rheingold“ plus „Die „Walküre“, sowie „Siegfried“ plus „Götterdämmerung“.

Bereits seit den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts gibt es immer wieder Versuche, die vier Teile des „Ring“-Zyklus auf einen Abend – respektive hier: auf einen Vor- und Nachmittag – zu verdichten. Die Schwierigkeit stellt dabei stets dar, dass zum Einen die Handlung vermittelt werden soll, zum Anderen aber die musikalischen Höhepunkte, in denen gerade diese Handlung zumeist retardiert, nicht fehlen sollen. Beim Einstreichen der Partitur erweisen sich dann dramaturgisch denkbare Striche häufig als harmonisch nicht machbar. Für den jüngsten Versuch einer Verkürzung, die „Partitur der Neufassung“, zeichnet Aurélien Bello verantwortlich, mit einigen originellen und für den Wagner-Kenner durchaus witzigen Schnitten und Übergängen. Erleichtert wurde das Procedere für den Bearbeiter durch Unterbrechungen, für die hier ein Erzähler in der Rolle des Luna sorgt; die Namensgebung hat nichts mit dem anderen Jubilar des Vorjahres zu tun, meint also nicht den Handlungsträger in Verdis „Trovatore“, sondern die Personifizierung des (Mannes im) Mond.

Warum gerade der Mond, sollte man den Dramaturgen Steffen Georgi oder die Regisseurin Jasmin Solfaghari fragen. Bei Wagners „Ring“-Handlung hätte es doch durchaus naheliegendere Möglichkeiten einer Figuren-Ergänzung gegeben, etwa durch den von seinen Töchtern besungenen Vater Rhein. Der Mond hingegen ist nachgewiesenermaßen eines der optischen Leitmotive Richard Wagners, als der Spiegel des Sonnenhelden. Aber so tief mochte die Bearbeitung für ein junges Publikum nicht gründen.

Sehr sympathisch argumentiert der Erzähler Peter Pruchniewitz, das Einmalige an diesem Planeten sei das sei das Theater und insbesondere das Musiktheater.

Für die Realisierung seines Projekts hat sich das Rundfunk-Sinfonieorchester das Atze-Musiktheater ausgesucht. Hier thront das Orchester zentral auf der Bühne, die Darsteller agieren auf der Vorbühne und auf einem Podest hinter dem Orchester. Den Abschluss des Raums bildet eine Leinwand, auf die Wolken, Feuer oder Wald projiziert werden. Beim Drachenkampf schiebt sich ein Paravent mit gemaltem chinesischem (?) Drachen auf das Podest.

Ihre Inszenierung hat Jasmin Solfaghari mit wenigen Attributen selbst ausgestattet. Weiße Stoffbahnen verbinden Zuschauer- und Bühnenraum und werden in wechselnden Farben beleuchtet, wie denn überhaupt die Lichttechnik sehr gekonnt eingesetzt ist. Bei Wagners Naturzauber blitzt es bisweilen im gesamten Zuschauerraum, in den das Spiel auch wiederholt übergreift.

„Das Rheingold“

Eine goldene Glitzerkugel steht für das Reingold, und die Rheintöchter im schwarzen Abendkleid mit Glitzerhandschuhen und durchsichtigen Stolen bewegen sich so, wie zuletzt wohl in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Alberichs Anmache beschränkt sich auf eine der drei Hüterinnen des schlafenden Goldes, denn – wie Luna berichtet – besucht der Zwerg die Rheintöchter „immer wieder“ einmal.

In der Projektion schält sich aus Wolken die noch unbezahlte Felsenburg. Die beiden Riesen mit Pfandstäben und Bauarbeiter-Schutzhelmen nehmen dafür Freia als Pfand. Die Götterriege verzichtet diesmal auf Froh und Donner, Wotans Worte, „Halt du Wilder! Nichts durch Gewalt!“, richten sich daher statt an Donner an Fasolt. Loge, mit glitzerroten Leuchtstäben ausgestattet, hilft Wotan, den handgroßen Ring von Alberich zu rauben, Freia wird mit gestapelten Goldklumpen bezahlt, und Fafner ersticht den laut klagenden Bruder, um selbst den von ihm beim Wurf aufgefangenen Ring zu besitzen. Etwas Unruhe hatte bei den jüngsten Besuchern die retardierende Erda-Szene ausgelöst. Aber schon fordert Wotan (arg tremolierend Jürgen Linn) Fricka (Cheri Rose Katz, die auch Erda und Flosshilde ihre Stimme leiht) auf, „Folge mir Frau. In Walhall wohne mit mir“, und podest-abwärts geht es, während ein wenig einladender Regenbogen über die Projektion fällt.

„Die Walküre“

Luna berichtet über Wotans Familien-Vergrößerung durch die Töchterschar der Walküren und dass er, „als eine Art von Werwolf“, das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde gezeugt habe. Dem Sohn habe Wotan ein Schwert versprochen, damit der sich „durch das Leben schlagen“ könne.

Siegmunds Gesang, „Ein Schwert verhieß mir der Vater“ springt von der Reflexion der eben gesehenen, verheirateten Frau, „die mit süßem Zauber mich sehrt“, nahtlos über zur anwesenden Schwester Sieglinde, die er – statt des Lenzes – direkt besingt: „zu seiner Schwester schwang er sich her“.

Während eines langen Lippen-Dauerkusses der Beiden berichtet Luna über Wagnersche Namensfindung und -gebung. „Siegmund, find’ ich cool“, kommentiert der Held und erntet dafür Lacher aus dem Publikum, um sofort wieder im Gesangspart, „Siegmund heiß’ ich“, fortzufahren. In Ermangelung des (nur erzählten) Eschenstammes zieht er das Schwert aus dem linken Bühnenportal. Brünnhilde wird mit ihrem „Hojotojho“ (Luna: „Die Musik habt ihr bestimmt schon mal gehört!“) eingeführt, sagt aber auch „Guten Morgen, Papa!“. Kirsten Blanck als Brünnhilde verfügt bereits über Erfahrungen mit dieser Partie, die Wotanstochter gestaltet sie mit heller Stimme und einiger Leuchtkraft.

Wotan, so Lunas launiger Kommentar, „weiß nicht, dass er bald Großvater wird!“

Pantomimisch erhält Brünnhilde den Auftrag, Siegmund im unmittelbar folgenden Duell mit Hunding nicht zu beschützen. Sie tut es dann doch, aber Hunding siegt gleichwohl. Wotan bestraft die Tochter für ihren Ungehorsam, indem er sie hinter einem roten Chinaschirm sitzen lässt. Dazu noch – Dank der Zitation Loges – Dampf und rotes Licht auf der Leinwand, und „Leb wohl du kühnes, herrliches Kind!“

Um 12:18 Uhr schließt sich eine Pause angemessen Wagnerschen Ausmaßes an. Der sonnige Sonntag erlaubt ein Lustwandeln auf den Ausläufern des Campus der Beuth-Hochschule, zu deren Refugium dieser Theaterbau architektonisch gehört und de facto auch gehören sollte – aber das ist ein anderes Thema.

„Siegfried“

Kurz vor Eins geht es dann weiter mit „Siegfried“. „In Echtzeit hätte die Pause 15 Jahre dauern müssen“, kommentiert der Erzähler Luna. Schaukelpferd und Schmiede-Wagen mit rauchender Esse sind die Dekorationsteile für Mimes Höhle. Als ersten Beweis der Schneidekraft des vom Großvater zur Funktionslosigkeit verdammten, nun neu gefügten Schwerts, kappt Siegfried den oberen Teil des Schornsteins. Siegfrieds Mord an Fafner kommentiert Luna mit den Worten des Doktor Schön und des Jack the Ripper aus „Lulu“, „Das war ein [hartes] Stück Arbeit“. Siegfrieds Ziehvater Mime, der nicht nur einen Benebelungstrank, sondern auch einen Spielzeugdrachen und Rasenstücke mit in den grün ausleuchteten Wald gebracht hat, wird als nächstes umgebracht, nachdem Luna von Mimes abgrundtiefer Bosheit erzählt hat. Mit grüner Boa und Hütchen, sowie Piepvögelchen in der Rechten, führt der Waldvogel (Rinnat Moriah, auch Woglinde) Siegfried zur schlafenden Brünnhilde. „Siegfried ist in der Pubertät“, kommentiert Luna für die Jugendlichen Zuschauer, „was soll ihm da Angst machen, als eine Frau.“ Zuvor aber trifft er auf seinen Großvater. Offenbar will der nach dem Protest seiner Frau Fricka über den Inzest seiner illegitimen Zwillinge den nächsten Inzest nun doch verhindern: jenen zwischen dem minderjährigen Siegfried und seiner Tante Brünnhilde. Aber wie pantomimisch zu sehen, und mit der kurz eingeblendeten ersten Duettstelle zu hören, „auch diese Beiden verlieben“ sich.

„Götterdämmerung“

Doch nach der Liebesumarmung will Siegfried „gleich los, die Welt retten“. Und damit sind wir nahtlos in der „Götterdämmerung“ angekommen. Dem Nibelungenlied angenähert, bezeichnet Luna den Ort der Gibichungen als „Worms“ und entschuldigt Siegfrieds schnellen Bund mit Gutrune mit dem Argument: „die einzige Frau, die er kennt, die nicht seine Tante ist“. Aber statt der finsteren Gibichungen-Musik erklingt zur Pantomime des bösen Spiels am Hof von König Gunther die emphatische Musik des Abschieds zwischen Siegfried und Brünnhilde.

Hagen (Timo Riihonen, zuvor Fafner und Hunding) sitzt zwar nicht zur Wacht, aber er intoniert hintergründig seinen Mannen-Ruf. Nach der von Luna kommentierten Pantomime der Doppelhochzeit erklingt als ein weiterer musikalischer Höhepunkt das Terzett von Brünnhilde, Gunther und Hagen.

„Auf seiner Wildschweinsuche verirrt“, – so der Kommentar, und „wieder am Rhein“ – so die Text-Projektion, begegnet Siegfried den Rheintöchtern, deren Terzett „Frau Sonne sendet lichtet Strahlen“ nicht fehlen darf. Kurz und knapp weissagen sie dem Helden den Tod, welcher in der ebenfalls verknappten folgenden Szene, nach verkürzter Erinnerungs-Erzählung, durch Hagens Speerstich erfolgt. Die Mannen-Einsätze sind reduziert auf Gunther und auf den imposanten Tenor Paul Kaufmann (zuvor Loge und Mime). Gunther legt seinen Shawl über den toten Blutsbruder, und die Rheintöchter sind gleich auf der Szene geblieben, um den Ermordeten während des Trauermarschs mit ihren schwarzen Stolas zu bedecken. Brünnhilde kommt hinzu, nimmt den Ring von der sich hebenden Hand des Erschlagenen und gibt den Rheintöchtern das ihnen geraubte Gold in Ring-Form zurück. Von Brünnhildes Schlussgesang bleiben die Zeilen „Wie Sonne lauter strahlt mir sein Blick“ bis „Selig grüßt dich dein Weib!“ übrig, auch Hagens Ruf „Zurück vom Ring!“ fehlt nicht. Die übrigen Soli sind als Chorus Line hinter den toten Siegfried getreten, und Brünnhilde und Vater Wotan begegnen sich letztmals mit vielsagendem Blick. Hinter mir heult ein kleines Mädchen, kaum sieben Jahre alt, Rotz und Wasser; ich konnte es ihr nachfühlen und hätte als Kind sicher gern ein Gleiches getan.

Letzter Kommentar des Mondmanns: „Die alte Welt geht unter, damit ein neue, bereinigte Welt entstehen kann.“ Zu den letzten Takten blicken alle Darsteller auf unseren projizierten blauen Planeten.

Nicht alles, was der Erzähler zum Besten gibt, ist inhaltlich korrekt – wobei unklar ist, ob etwa das nur im Nibelungenlied wie in der Operette von Oscar Straus thematisierte Lindenblatt am Rücken Siegfrieds, welches in Wagners Handlung nichts zu suchen hat, hier eingeführt wurde, um nicht auch noch auf Brünnhildes Runenzauber eingehen zu müssen.

Das Publikum der zweiten Aufführung war durchsetzt mit zahlreichen erwachsenen Wagner-Freunden und -Kennern, darunter auch Katharina Wagner. Nur wenige 3- und 4-jährige Besucher hatten das Theater bereits in der Pause verlassen, die meisten harrten mit Begeisterung aus und zelebrierten allen Beteiligten den gebührenden Schlussapplaus.

Gesungen wurde mittelprächtig bis beachtlich, großartig war einzig Stefan Vinke in der Doppelpartie des Siegmund und des Siegfried. Der Leipziger Rienzi und wiederholte Einspringer in Bayreuth erweist sich als ein echter Heldentenor. So überzeugend, wie hier, habe ich ihn zuvor noch nicht erlebt. Obendrein vermag Vinke als einziger Sängerdarsteller sowohl stimmlich zu überzeugen, als auch für die Zielgruppe des jungen Publikums die Heldenfiguren glaubhaft, sympathisch und witzig zu verkörpern. Hingegen fällt insbesondere bei den Sängerdarstellerinnen auf, dass ihnen Rahmen und Zielpublikum dieser speziellen Produktion eher gleichgültig sind, indem sie nur beweisen wollen, wie gut sie diese Partien in einer „richtigen“ Aufführung des „Ring“ singen könnten.

Mit präziser Zeichensetzung arbeitet Heiko Mathias Förster als ein äußerst routinierter Dirigent, der die Sänger zumeist durch Blicke über seine Schulter einsetzen lässt und dabei insbesondere in den oft ungewohnt heiklen Übergängen dieser Fassung ebenso sicher leitet, wie das Rundfunk-Sinfonieorchester, dem Förster hier eine merklich andere Lesart der Partitur Wagners abringt, die gleichwohl nicht weniger plastisch und klar disponiert ist als die junge CD-Gesamteinspielung dieses Klangkörpers unter Marek Janowski. RSB und Förster sorgen in der zugespitzten Abfolge musikalischer  Höhepunkte für einen besonderen Genuss. Deutschlandradio Kultur hat die Premiere mitgeschnitten; der Sendetermin steht noch nicht fest, aber auf die Ausstrahlung darf man sich freuen.

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