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Zurück in München: Hans-Jürgen von Bose. Foto: privat
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Nie mehr Kollektivtopf, nie mehr Nordosten: Hans-Jürgen von Bose im Vorfeld seiner Münchner Kafka-Premiere „Nacht – Zeit – Mord“

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Es war in einem früheren Jahrhundert, zu einer Zeit, die sich vergleichsweise glücklich schätzte, ihre eigene Militanz weithin auf zwei Säulen verankert zu wissen: Kommunismus contra Antikommunismus. Das war allerdings kompliziert genug. Dass es heute nicht einfacher ist, erleben wir Tag für Nacht und Nacht für Tag, im Wechsel mit durchaus überraschenden Ereignissen in Nordafrika oder in Südamerika etwa. Hans Jürgen von Bose – geboren am 24. Dezember 1953 in München – hat sich früh dem Mainstream-Diktat entzogen. Dem Postulat nach permanent sich zu steigern habender Komplexität im Umsetzen musikalischen Gedankenguts widersetzte er sich. Er erlaubte sich einfach aus dem Bauch und aus dem Hirn heraus zu denken – und zu komponieren, wie wenige andere in den Siebzigern.

„Am tragischsten sind doch die Dinge, die auch komisch sind, und am komischsten die Dinge, die auch tragisch sind. So erlebe ich unsere Zeit“, formulierte er im SPIEGEL extra 7/1996 im Vorfeld seiner Opernuraufführung „Schlachthof 5“, zur Eröffnung der Münchner Opernfestspiele, basierend auf einer Romangroteske über die Zerstörung Dresdens des Amerikaners Kurt Vonnegut – als tragikomischem Weltkriegsrequiem. „Als ich anfing, hieß das Credo: Wie können wir heiter sein, wenn die Welt so schrecklich ist. Jahrelang bin ich darauf reingefallen. Aber ich will künstlerisch nicht ständig daran mitarbeiten, dass wir auf der Bühne im Blut waten.“

Bose entwickelte sich zum facettenreich-erfolgreichen Komponisten, wurde Kompositionsprofessor in München (in der Nachfolge Wilhelm Killmayers), und zog später (er entkam dem Staatsdienst aus Gründen der nicht mehr prägenden Jugendlichkeit) nach Berlin. Bei der zweiten Ausgabe des Musikmagazins „taktlos“, einer Kooperation des Radioprogramms Bayern2 mit der neuen musikzeitung, vom 6. Februar 1998 (die Reihe ist heute bei Ausgabe 155 angekommen), saß er zusammen mit Mathias Spahlinger, moderiert von Theo Geißler und kontrastiert von Singer Pur aus Regensburg, vor dem BR-Mikrophon und gab sich alle Mühe, dem direkt vom Elfenbeinturm eingeflogenen Spahlinger in Sprachhaltung und intellektueller Überpointierung das Wasser zu reichen.

Die Zeiten sind andere, heute. Seine Schüler mischen mittlerweile kräftig mit im Betrieb. Und Bose meldet sich mal wieder zurück in München. Wie lebt es sich in Berlin, wie ist es in MUC? Als erste Doppelfrage gewissermaßen …

Hans-Jürgen von Bose: Da muss ich etwas ausholen. Niemand hat mir jemals Mangel an Komplexität vorgeworfen …

nmz Online: … ich auch nicht …

von Bose: … und ich möchte mich auch ausgesprochen dagegen verwahren. Im Gegenteil – mir wurde tatsächlich genau das Gegenteil vorgehalten: Da ich aus einer streng dodekaphonischen Schule komme – mein Lehrer Hans Ulrich Engelmann war Fortner- und Leibowitzschüler – habe ich sehr früh angefangen, mit genau den Mitteln zu arbeiten, die ich dann auch jederzeit selber wieder ‚unterlaufen‘ konnte. Es ist jedoch nur möglich, etwas zu unterminieren, was man selbst auch ursprünglich darstellen kann. So habe ich mit dodekaphonischen und seriellen Strukturen, mit Ableitungen der Boole´schen Algebra (Xenakis-Auseinandersetzung), mit Zeitdehnung/-Stauchung, Collage- und Bricolage-Prinzipien und anderen gearbeitet. Meine ehemaligen Schüler würden, glaube ich, bestätigen, dass ich selber jederzeit großen Wert auf die Errungenschaften der Moderne, der Neuen Musik gelegt habe, und zwar auch als Vorraussetzung dafür – in durchaus postmodernem Sinne –, dekomponieren zu können; aber, wie gesagt: es muss erst einmal die zu dekomponierende Substanz selbst gestaltet werden.

Ebenfalls großen Wert lege ich darauf, mir NIE erlaubt zu haben ‚einfach aus dem Bauch heraus zu komponieren‘. Siegfried Mauser hat einmal gesagt in einem von vielen und langen Gesprächen, die ich immer wieder auch mit dem Musikwissenschaftler Mauser hatte, dass er mich als „expressiven Strukturalisten“ und mein Komponieren als „strukturelles Espressivo“ sieht und empfindet. Ich denke, diese Beobachtung ist sehr richtig. Man kann – wie ich es selbst erfahren habe – und hier geht es sozusagen ans Eingemachte des Komponierens selbst, an seine Abläufe und Zeitlichkeiten – strukturelle Dinge erstmal ‚mit dem Bauch denken‘. Stockhausen würde mir hier wahrscheinlich recht geben, wage ich zu behaupten. Die ganze Ausformung des Ganzen obliegt dann den differenzierenden Funktionen des Großhirns.

Machen wir uns aber hier bitte nichts vor: Wer hat denn in den letzten 20 bis 30 Jahren schon wirklich substanziell und mit musikwissenschaftlicher Methodik und Akribik Partituren analysiert, die auch nur aus der Ecke der ‚Neuen Einfachheit‘ kamen. Diese Ehre mag in Einzelfällen einem der Komponisten dieser Generation zuteil geworden sein, mir ist von solch einer genauen Analyse eines meiner Stücke nichts bekannt. Das klingt ein wenig gekränkt, ist es auch. Es geht hier aber nicht um persönliche Eitelkeit sondern, einfach darum, einem nicht zutreffendem und kontraproduktivem ‚Kollektivtopf‘ zu entkommen, aus dem einfachen Grunde, weil ich nicht hinein gehöre!

Ich lebe übrigens nicht mehr in Berlin, ich habe das nur ein Jahr getan, von 2007 bis 2008. Danach lebte ich mit meiner Familie drei Jahre in der Uckermark und bin jetzt endlich wieder in meine Heimat, den Münchner Raum, zurückgezogen. Dem Staatsdienst bin ich nicht aus Gründen „der nicht mehr prägenden Jugendlichkeit“ (ich war bei meiner Pensionierung 53!) entkommen, sondern schlicht deshalb, weil man eine Erkrankung – heute würde man sie „Burnout“ nennen – nicht erkannt hat. Nach mehr als vier Jahren Pause bin ich – von mehreren Ärzten bestätigt – wieder voll fit, entsprechend voller Tatendrang und peile neue Ziele an! Und bitte nicht vergessen: Ich lebe nicht mehr in Berlin, sondern wohne in Zorneding. Und ich habe nicht vor, mich jemals wieder im Nordosten des Landes länger aufzuhalten.

nmz Online: „Tonalität in der Neuen Musik“ war die Fragestellung damals bei „taktlos“, anno 1998. Ist das heute noch ein Thema? Oder wieder eines? Oder ist die Musik von heute überhaupt ideologiefrei unterwegs auf der Suche nach der zeitgemäßen Erkenntnis? Gleich viele Fragen auf einmal …

von Bose: Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre die Begrifflichkeit „Tonalität in der Neuen Musik“ nie eine notwendige Fragestellung geworden. Ich halte diesen Ansatzpunkt für einen materialistischen. Will sagen: Kommt es nicht immer nur darauf an, was ein Komponist mit Tonalität macht, wie er sie behandelt, einsetzt? Die Frage, was Tonalität eigentlich sei, ist noch nicht einmal erschöpfend beantwortet. Es gibt ja so viele Tonalitäten! Einer der für mich wichtigsten Komponisten ist und war immer Bernd Alois Zimmermann. Anhand seines Werkes kann man wirklich ganz unterschiedliche Ebenen von Tonalität betrachten – ich halte zum Beispiel ein Werk wie „Photoptosis“ für ein durch und durch tonales, was auch in genauer Analyse gut belegbar ist.

Was ich nicht ausstehen kann, ist eine alberne Verwendung von Tonalität. Es scheint mir eine Tendenz zu geben – siehe oben –, die Errungenschaften, grade die strukturellen, weiterreichenden der neuen Neuen Musik zugunsten einer doch recht unreflektierten Verwendung tonalen Materials aufzugeben. Dies hängt auch mit einem überall zu beklagenden Mangel an schlichtem Handwerk zusammen. In unserem Kulturraum ist er doch davon – von der Entwicklung und Ausgestaltung des verstrickten Denkens, in engster Verbindung mit dem linearen Denken – maßgeblich geprägt!

nmz Online: „Nacht-Zeit-Mord. Ein Kafka-Labyrinth. Musiktheaterprojekt von Franz Kafka. Präsentiert durch ‚Das Andere Opernensemble‘ mit Texten von Franz Kafka und Musik von Hans Jürgen von Bose, heißt es zur Premiere am 3. November 2011 im i-camp/neues theater münchen im Stadtteil Au auf der Grenze nach Untergiesing, wo einstens die underdogs, die outlaws und die Kleinhandwerker residierten. Wo heute zwischen großen, nachdrücklich nachhaltig sanierten Sozialsiedlungen schon auch Luxussanierer an der Arbeit sind … Was also kann uns Franz Kafka am Beginn des dritten Jahrtausends mitteilen, zwischen Mac und Apple, inmitten von Billigfliegern und Mega-Discountern, im medial fast lückenlos vernetzten Oberflächenkommunikationsurwald mit all seinen Parallelwelten und Selbstbedienungsverlockungen, in den hinein weithin offen gehaltene Gehirne geschaltet werden für die grenzenlose Konsumfreiheit?

von Bose: Sollte die Musik nicht immer auf der Suche nach einer (natürlich, je zeitgemäßen) Erkenntnis sein? War sie es nicht immer? Es gibt doch eben wirklich ein „Denken in der Musik“. Wie schon Deleuze und Guattari in ihrem wunderbaren, nur dem Umfang nach schmalen Werk: „Kafka. Für eine kleine Literatur“ sagen und worauf sie hinweisen: Wir haben es – unter vielem anderem – mit „horizontalen Machtstrukturen“, mit „Rhizomartigen Vernetzungen“, einem fast seherischen Begriff von Macht und Gesellschafts-Aufbaustrukturen zu tun. Dies erstreckt sich bis hinein in den heute so vital wichtigen Bereich der Kommunikationsstrategien.

Nicht nur hier ist Kafka von einer bestechenden Modernität. Kafka liefert zum Beispiel eine Neudefinition, eine Neuinfragestellung von ‚Sinn an sich‘, gerade auch in dem ja nicht sehr umfangreichen Text „Ein Brudermord“. Was geschieht, ist ein nächtlicher Mord (sehr atmosphärisch das Ganze!), quasi ohne Sinn und Motiv. Wir erfahren viel, aber eben kein Motiv. Die Aufgabenstellung für mich, als demjenigen, der diesen Text komponiert hat, war primär also, ein Pendant, und zwar ein strukturelles Pendant, zur Sinn- und Motivlosigkeit dieses so geschilderten Mordes zu finden. Ich habe dies seinerzeit – diese erste Version wird an den kommenden Abenden zunächst auch aufgeführt – so realisiert, dass ich, der fehlenden Kausalität im literarischen Bereich entsprechend, die (Kausalität im Musikalischen garantierende) Chronologie, den Zeitpfeil sozusagen herausgenommen habe. Das Stück stellt sich als eine, allerdings kein Kafka-Wort auslassende Collage, als ein ‚Gespickt Sein mit sich selbst‘ dar. Die Besetzung ist Bariton, Akkordeon und Violoncello plus dieselbe Besetzung vom Band, plus einer vorsichtig eingesetzten Geräuschkulisse, die neben Atmosphärischem vor allem der praktischen Synchronisation der live musizierenden Ausführenden dient. So viel zur ersten Fassung von 1990/91.

Lange schon hatte ich vor – den Auftrag hierzu danke ich dem „Anderen Opernensemble“–, die zeitlich collagierte Form mit so wenig Veränderung der eigentlichen ‚Noten-Substanz‘ wie möglich in eine sequenzielle Ordnung, als quasi Moritat, die die Geschichte normal erzählt, zurückzuführen und war selber sehr gespannt darauf, das simultan gestaltete Material darauf hin zu überprüfen, ob es zur Verwirklichung des Prinzips ‚Das Gleiche ist nicht das Gleiche‘ dienen konnte – und siehe da, es funktionierte! Ich glaube also, dass der Begriff „Kafka-Labyrinth“ in mehrfacher Beziehung richtig gewählt ist, und zwar auch in der Hinsicht, dass ein unbefangener Hörer/Zuschauer permanent das Gefühl hat, das Stück zu kennen, dies aber nie am Moment festmachen zu können. Meine Musik ist im Wesentlichen der Versuch, alle für mich persönlich adaptierten Elemente unseres heute gültigen musikalischen Bewusstseins zusammenzubringen – und dies nicht wahllos, sondern nach Maßgabe bestimmter Parameter. Ich arbeite also permanent daran, das mir bekannte musikalische Material, das nach meinem Dafürhalten und grade in seiner Komponier-Kombinierbarkeit sinnstiftend sein kann, für mich so zu präparieren, dass auch größere Formen und Zusammenhänge gestaltbar sind. Die größte Bedrohung hierbei ist die Beliebigkeit, die natürlich – als Gefahr – ständig bewusst sein sollte. Gleichschaltung jeder Art ist mir zutiefst zuwider.

nmz Online: Nach ‚Hundert Jahren Neue Musik‘ und all den Pop-Exzessen der uns alle vermassenden Eventmanipulateure auf die Melodie des Mottos „Wollt ihr alle gleichgeschaltet werden“ geht es Ihnen heute wie?

von Bose: Ehrlich gesagt, ich hatte in den letzten zirka sieben bis acht Jahren so etwas wie eine ‚Dunkle Nacht der Seele‘, eine lang anhaltende, vielschichtige Krise, die mir nicht nur das Arbeiten, sondern auch das Leben an sich recht erschwert hat, bin aber heute sogar vermutlich heiterer als etwa in den Neunzigern, zumindest, so hoffe ich, auf dem Weg dahin.

nmz Online: Ja dann hoffen wir auf die heiteren Subtilitäten des Aufklärungsprozesses, der voller Sinn und voller Sinnlichkeit angelegt ist in Ihrer neuesten Produktion. Danke für das Gespräch – und toi toi toi!

von Bose: Vielen Dank, eine mir sehr wichtige Stelle hätte ich aber gerne noch zitiert, weil Sie mich ja eingangs an das Spiegel-Interview von 1996 erinnert haben („Wie können wir heiter sein…“). Sie stammt von dem von mir sehr verehrten „Jahrhundertdichter“ (wie ihn Eva Hesse wohl zu recht nennt) Ezra Pound:

„Fast alle gute Prosa (Hervorhebung von mir) entspringt einem Instinkt der Verneinung … dieser Instinkt tendiert immer zu einer detaillierten, überzeugenden Analyse von etwas Mißlichem, von etwas, das man beseitigen möchte … Fast alle gute Dichtung (meine Hervorhebung) besagt, daß etwas lebenswert ist, oder ereifert sich gegen etwas, das dem entgegensteht, macht jedenfalls emotionale Werte geltend. Die beste Prosa ist oder war stets eine Darstellung (so komplex oder kunstvoll auch immer) von zeitbedingten Sachverhalten, von meist unschönen, bestenfalls der Abhilfe bedürftigen Verhältnissen … Dichtung ist gleich emotionale Synthese, so real, so realistisch wie nur irgendeine prosaische oder verstandesmäßige Analyse“ (1918, „Henry James“ in The Litterary Essays of Ezra Pound, London 1954,
S. 324). Ich finde, dem ist in vielerlei Hinsicht nichts hinzuzufügen.

Die Fragen stellte Wolf Loeckle.

Nacht – Zeit – Mord
Ein Kafka-Labyrinth.

Musiktheaterprojekt von
Das Andere Opernensemble
mit Texten von Franz Kafka und
Musik von Hans Jürgen von Bose.
Premiere: 3. November 2011, 20:30 Uhr
Weitere Vorstellungen: 4. / 6. / 11. / 12. / 13. November

i-camp
neues theater münchen
Entenbachstr. 37
81541 München
 

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