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Tannhäuser in Bayreuth. Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Navrath
Tannhäuser in Bayreuth. Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath
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Pech, Panne, aber keine Pleite – „Tannhäuser“ eröffnet die Bayreuther Festspiele – erstmals mit drei Pausen

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Ein Novum in der Geschichte Neu-Bayreuths: in der ersten Szene des ersten Aufzuges, kurz bevor Tannhäuser die erste Strophe seines Liedes an die Venus anstimmt, wurde die Aufführung unterbrochen. Beim der Auffahrt des Venusberg-Käfigs auf Bühnenniveau verklemmte sich einer der Gitterstäbe, zerbarst krachend und stoppte die Hydraulik. Tannhäuser und Venus kletterten durch eine Bodenklappe auf den Deckel des Käfigs und agierten dort, etwas geschockt, aber doch mit Routine und überbrückten so das Bühnenpech.

Ohne die Orgien der halbnackten Mensch-Tier-Wesen im und vor dem Käfig sehen zu können, richtete sich die Aufmerksamkeit des Betrachters auf andere Details der mit Aktionen prall gefüllten Inszenierung von Sebastian Baumgarten, etwa auf eine projizierte rote Qualle und auf die exakt zu Musik erfolgenden Exzesse der im dritten Stock des Wartburg-Gebäudes Schlafenden.

Die Annahme der Technik, die Hydraulik zeitnah wieder in Gang setzen zu können, vergrößerte das Pech zur Panne: zu spät erfolgte der Abbruch. Marius Bolten, der Leiter des künstlerischen Betriebsbüros, trat vor den Vorhang, bat das Publikum für 20 Minuten nach draußen, dann werde die Aufführung fortgesetzt.

Obgleich sich die prognostizierte Zeitspanne mehr als verdoppelte, ließ sich der Fehler in der Elektronik nicht beheben. Die Fanfaren luden erneut zum ersten Aufzug, und ohne dass erneut die Ouvertüre erklang, erfolgte der erste Akt – improvisiert, etwa mit als Sitzflächen herein- und herausgetragenen Stühlen – auf der Grundfläche der Bühne, ohne den Venusberg-Käfig.

Der Betriebsbüro-Chef hatte angekündigt, dass sich der Beginn der nachfolgenden Aufzüge um je eine Stunde verschieben und dass die Technik in der Pause sich erneut um Behebung des Fehlers bemühen werde. Dies bedeutete für den Regisseur sicherlich eine weitere Intensivierung der Panne, denn in dieser Inszenierung fällt für gewöhnlich nicht der Vorhang, das Spiel geht auch in den Pausen weiter.

Das Premierenpublikum nahm die Ungewöhnlichkeit aber mit Gelassenheit hin, und tatsächlich wurde in der Pause – mithilfe einer Telefonverbindung zur externen Firma – der Fehler in der Elektronik der Untermaschinerie behoben. Passend zum projizierten Motto „Kunst wird Tat“ erhob sich der Käfig – sobald Tannhäuser die beim Sängerkrieg anwesende, geliebte schwangere Göttin besingt, in die Wartburggesellschaft.

So schipperten Pech und Panne doch noch an der Pleite vorbei, ermöglichten den Wandel zum Positiven und zum Erfolg.

Daran hatte Dirigent Axel Kober mit dem makellos intonierenden Festspielorchester entscheidenden Anteil: in der zweiten Dresdener Fassung betont er die Jungendlichkeit des Komponisten, im Sinne der sehr ambivalenten szenischen Ausdeutung intensiv und dicht gefüllt und mit Sinn für ungekünstelte Spannungsbögen.

Eine durch die technische Panne bedingte Sicht auf andere Details der Inszenierung lenkte meinen Blick auch weiterhin mehr in Richtung einer Detail-Betrachtung der exakten, dialektisch verdeutlichenden und auch witzigen Personenführung Baumgartens, inmitten der gleichwohl unatmosphärischen, unpoetisch bunten Versuchsanordnung der Biogasanlage Joep van Lieshouts. Da schütteln die Venusdienerinnen, mit Bezug auf die populäre Grimmsche Darstellung der Venus als Frau Holle, Schneeflocken aus den Betten, da sind Tannhäuser und Elisabeth dabei, sich gleich beim Wiedersehen körperlich zu vereinigen, woran sie nur Wolfram massiv stört, zunächst, indem er Tannhäuser ein Bündel Vertragspapiere zur Unterschrift vorlegen lässt, dann indem er ihn eigenhändig von der zum Liebesvollzug hingestreckten Jungfrau zieht.

Die Besetzung des Wolfram von Eschenbach erfährt eine Steigerung durch Markus Eiche als einen markig männlichen, auch draufgängerischen und aggressiven Wolfram, mit umfangreicher stimmlicher Gestaltungspalette, bis hin zu einem ungemein sinnlichen Lied an seinen Abendstern, mit dem er die immer noch schwangere Venus zum Walzertanz auffordert. Eine weitere Optimierung ist die Besetzung des Landgrafs mit Kwangchul Youn, der in den Schmelz seiner Bassstimme eine souveräne Gefährlichkeit legt und so eine unerbittliche Haltung zum Ausdruck bringt.

Camilla Nylund hat als eine nachdrücklich exzessiv ihre Lust suchende Elisabeth sich merklich gesteigert. Stimmlich etwas weniger überzeugte in diesem Sommer Michelle Breedt, als witzige, am süßen Lutscher leckende hochschwangere Venus.

In den stimmlichen Aufschwüngen waren bei Torsten Kerl einige Schwierigkeiten merklich, aber wie er den frechen Außenseiter verkörpert, das ist ebenso eine Wucht, wie seine schön gesungene Rom-Erzählung mit einer höchst eigenwilligen Papst-Parodie, als einem zu hoch intonierenden, quäkenden Buffotenor-Kirchensänger.

Katja Stuber als junger Hirt und Revoluzzer in der Nachfolge Tannhäusers, die Sängerkriegs-Rivalen – Lothar Odinius als Walther von der Vogelweide, Thomas Jesetko als Biterolf, Stefan Heibach als Heinrich der Schreiber, und Rainer Zaun als Reinmar von Zweter – bilden ein rollendeckendes Ensemble in dieser ungewöhnlichen Lesart.

Bayreuth hat die Chance, sperrige und ungewöhnliche Inszenierungen durch lange Laufzeiten und durch die jährliche Weiterarbeit am Erreichten doch noch zur Akzeptanz zu führen. Gleichwohl waren bei der im vierten Sommer gespielten und erneut als Eröffnungspremiere angesetzten Produktion auch Verweigerungshaltungen bei den ursprünglich aus Politik und Showbusiness erwarteten prominenten Besuchern zu konstatieren.

Lautstarken, differenzierten Jubel des Premierenpublikums gab es für alle Beteiligten, insbesondere auch für Eberhard Friedrich und den vom ihm einstudierten Festspielchor, Sebastian Baumgarten schallte allerdings ein Buhorkan entgegen.

Als der Hauptvorhang gefallen war und das Licht zum Durchtreten bereits glimmte, verebbte der Applaus: mit einstündiger Verspätung hasteten Prominenz und Geladene zum Staatsempfang im sommerlichen Ehrenhof des Neuen Schlosses Bayreuth.

Die nächsten Aufführungen: 2., 12., 18., 21. und 28. August 2014.

 

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