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Karmela Shako, KS Romelia Lichtenstein, Matthias Koziorowski und Rosina Kaleab in L’Africaine II an der Oper Halle. Foto: Theater, Oper und Orchester GmbH Halle / Falk Wenzel
Karmela Shako, KS Romelia Lichtenstein, Matthias Koziorowski und Rosina Kaleab in L’Africaine II an der Oper Halle. Foto: Theater, Oper und Orchester GmbH Halle / Falk Wenzel
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Perspektivenwechsel Teil Zwei: „L’Africaine“ nicht nur von Meyerbeer an der Oper Halle

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Im zweiten der vier Teile des Kooperationsprojektes „I like Africa and Africa likes me – I like Europe and Europe likes me“ merkt man strukturell, aber (noch) nicht im künstlerischen Prozess, wohin sich Giacomo Meyerbeers Grand-Opéra „L'Africaine“ an der Oper Halle entwickelt.

Dieses Projekt wird im Juni mit einer kompositorischen Überschreibung Richard van Schoors, einem Etappenziel zur Auftragsoper „L'Européenne“ an der Oper Lübeck, in sein vorläufiges Finale münden. Mit dem nun aufgeführten „Teil II: Boo a San Pkaminé (Versöhnung)“ verschärft sich die Konfrontation zwischen Lionel Poutaire Somés und Andreas Goerges Szenarium und der als Reservoir zur Ideologiekritik genutzten Partitur Giacomo Meyerbeers.

Es gehört zu performativen Strukturen, dass das Procedere nicht in allen Aspekten sinnfällig wird. Die Hallesche „L'Africaine“ fordert den kulturhauptstädtischen Opernbetrieb Sachsen-Anhalts in Sachen Flexibilität enorm. Zwar gab es schon vor Probenbeginn zum ersten Teil eine Verlaufsskizze, doch ist man offen für Neuerkenntnisse und deshalb nötige Veränderungen. Der Argumentationskurs des „Anarchistischen Komitees zur Entkolonialisierung des Geistes“ aus Westafrika wird jetzt, geschult durch Christoph Schlingensiefs Operndorf, stärker und härter: Die Oper Meyerbeers demontiert man aus der Perspektive von außen als Paradigma europäischer Vorurteile, die die ganze Welt in rassistische und patriarchale Raster gliedern.

Spannend ist dabei, wie sich für den (mittel-)europäischen Betrachter die Argumentation des Performance-Teams Lionel Poutaire Somé, Abdoul Kader Traoré, Rosina Kaleab und Karmela Shako als quasi musikalische Invention erschließt. Wie in einer Verschränkung von Rondo (Videos) und eines Themas mit Variationen (Meyerbeer) wiederholen sich aus dem ersten Teil Sequenzen der symbolisch-metaphorischen Selbstdarstellung der Akteure des „Anarchistischen Komitees zur Entkolonialiserung des Geistes“. Diese stehen in diametralem Gegensatz zur entfremdet-versachlichten Ratio Europas. Es verdichtet sich die Entlarvung der bürgerlichen Oper als ein die kolonialistische Ausbeutung propagierendes Gebilde.

Aber all die Chancen und Energien, die Que(e)rdenker*innen wie Alexander Kluge, Werner Schroeter und Catherine Clément der ‚unmöglichen Kunstform Oper‘ zusprechen, scheinen ausradiert: Jetzt macht vor allem das Bewusstsein, dass die Frauenunterdrückung durch Weiße in das von bis dahin nicht von Ausgrenzungen nach Geschlecht und Hautfarbe infizierte (West- und Süd-)Afrika importiert wurde, die verbliebenen Reste von Meyerbeers letztem Werk zutiefst unbequem.

Zur Polemik gehört parteiliche Kontrastschärfung unter Verzicht auf differenzierende Seitenaspekte. Lässt man sich aber auf die stringente Kritik des Hallischen Performance-Teams ein, hat die Kunstform Oper jetzt noch weitaus schlechtere Karten als nach dem legendären Ruf „Sprengt die Opernhäuser in die Luft!“ von Pierre Boulez vor fast 60 Jahren. Denn Boulez meinte „nur“ den hierarchischen Apparat und dirigierte später in Bayreuth, obwohl Richard Wagners Gesamtkunstwerk nicht ohne Weiteres für eine Ethik der Diversität ohne Exklusion stehen kann. Hier auf der Raumbühne Babylon aber geht es um ethische Zertrümmerung: Die Verteidigung der Kunstform findet nicht statt und eine musikalische Sternstunde als dialektische Gegenmaßnahme scheint von Dirigent Michael Wendeberg nicht vorgesehen.

Seminar und Opernhighlights, die alle Klischees des Musiktheaters bestätigen sollen, wechseln wie in einem außerordentlich gut gebauten Dokumentarfilm. Man hört also eine Hitparade aus den ersten drei Akten der Oper, in denen sich portugiesische Invasoren Richtung Afrika bzw. Indien aufmachen, an der fremden Küste entweder mit Mann und Maus untergehen, verschleppt oder am Zielort durch die dort herrschende Königin vom Massenschlachten gerettet werden. Also ein gekonnter Mix aus Liebes- und Abenteuer-Epos.

Wirkungsvoll beginnt der Abend mit der traurig-schönen und von Meyerbeer unüberhörbar sympathetisch für die afrikanische Titelfigur komponierte Schlussszene, in der Königin Sélika sich durch das Aroma giftiger Blüten vergiftet. Je zwei Arien für drei Hauptfiguren bleiben im Drehbuch. Der Tenor Matthias Koziorowski geht, vokal betrachtet, in dieser Folge fast leer aus.

Für Romelia Lichtenstein in der Titelpartie, Gerd Vogel und Liudmila Lokaichuk wird das zur Umkehrung des üblichen Entwicklungsprozesses: Konzept, Werkhintergrund, Musik baut man auf den Proben, wenn es gut läuft, bekanntermaßen mit Erkenntnisgewinn für Mitwirkende und Rezipienten zusammen. Doch hier sind Bruchstücke das Ziel, das Einzelmodul erhält größere Bedeutung als das Ganze. In Teil Zwei erklingen nicht mehr 60 Prozent von Meyerbeers Partitur wie noch in Teil Eins, sondern höchstens 25 Prozent.

Das Etappenziel aber wird 100-prozentig erreicht: Ein ganz großes Unbehagen an Oper, die man in dieser amputierten Form gar nicht mehr sehen will. Beim Verlassen der Raumbühne Babylon fühlt man sich nämlich richtig mies, schlechtes Gewissen bleibt nicht aus: Wie viel Zeit frisst doch die Beschäftigung mit einer Kunstform, die kolonialistisches Denken manifestiert. Deshalb müssen die hier dargebotenen Szenen aus Meyerbeers „L'Africaine“ zur visuellen Karikatur werden. Aber das geschieht uns vollkommen recht: Denn jetzt erleben wir Opernausschnitte genau auf dem platten Niveau, auf dem Zeichner*innen der westlichen Sphäre noch vor kurzer Zeit Baströcke und Nasenringe als typische Attribute für Menschen aus den Kolonien nutzten. Als Ergänzung empfohlen: Eine Vorstellung von Heiner Müllers „Der Auftrag“ und Offenbach/Nestroys „Häuptling Abendwind“ am Deutschen Nationaltheater Weimar.

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PS: Gibt man bei Google die Kombination der Suchworte „Afrika - Konflikt - Mann – Frau“ ein, gelangt man schnell zu dem Text „Die afrikanische Familie“ von Pierrette Herzberger-Fofana (http://www.bpb.de/internationales/afrika/afrika/58916/die-afrikanische-familie?p=all): In afrikanischen Gesellschaften übergibt der Mann den „Brautpreis“ an die Familie der Braut. Morgengaben und Mitgift der christlich-islamischen Gesellschaften gab es dort vor dem am Anfang der Globalisierung stehenden Kolonialismus nicht. Frauen wurden um ihre Zustimmung zur Ehe gefragt, nicht gezwungen. Man darf gespannt sein, ob vom „Anarchistischen Komitee zur Entkolonialisierung des Geistes“ diese Aspekte, die einen wichtigen Handlungsstrang in Meyerbeers und Eugène Scribes „L’Africaine“ bilden, aufgegriffen werden. Die Frage bleibt: Ist die Kunstform Oper ein Spiegel der Ideologie oder beinhaltet sie affektive und ästhetische Kritik an der restriktiven Unterwerfung anderer Völker?

Vorstellungen: Oper Halle - Raumbühne BABYLON: L'Africaine - Teil II: Boo a San Pkaminé (Versöhnung): 25. Januar 2019, 19.30 Uhr - Teil III: Piir a Sièn (Reinigung): Sonntag, 24. März 2019, 16 Uhr und Freitag, 29. März 2019, 19.30 Uhr - Teil IV: Nisalb Lièfo (Verwandlung): Freitag, 21. Juni 2019, 20 Uhr und Samstag, 29. Juni 2019, 19.30 Uhr und Sonntag, 07. Juli 2019, 16 Uhr
Rahmenprogramm: 11. bis 27. Januar 2019: Filme, Fotografien, Installationen und Performances. Die Studienrichtung Zeitbasierte Künste der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle präsentiert vom 11. bis 27. Januar 2019 in der Ausstellung „Take me to that place“ Ergebnisse ihrer Zusammenarbeit mit der Oper Halle im Operncafé. Die Studierenden widmeten sich im Wintersemester 2018/19 künstlerischen Fragestellungen, die mit der szenisch-musikalischen Übermalung der Oper L’ Africaine in der Raumbühne Babylon der Oper Halle verbunden sind.

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