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Foto: Stefan Mosemann
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Politisch motivierte Kammeroper: „Undzer Shtetl brent“ in Köln

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Musikdebatte Köln meldet sich mit der Uraufführung der Kammeroper „Undzer Shtetl brent“ in der Trinitatiskirche zurück. Christian von Götz und Ralf Soiron erarbeiteten mit Vertonungen und Improvisationen über Poeme des jüdischen Liedkomponisten Mordechai Gebirtig ein packendes, weil bohrendes Erinnern ohne sentimentale Ausflüchte.

Die Musikdebatte Köln macht Oper mit der Geschwindigkeit von Partisanentheater. Innerhalb von zwei Tagen rein in die Trinitatiskirche, Aufbau, Schlussprobe, zwei Vorstellungen, Abbau. Leider ist nach 40 Stunden schon vorbei. Man kann lange darüber sinnieren, ob die Kraft der politisch motivierten Musiktheater-Improvisation „Undzer Shtetl brent“ aus dem Aufeinanderprallen von Bewusstheit, Betroffenheit und Spontaneität entsteht – oder ‚nur‘ aus den ästhetischen Mitteln. Gesungen wurde in der performativen Paraphrase über Mordechai Gebirtig, den Sänger im Krakauer Ghetto, in ostgalizischem Jiddisch mit deutschen Übertiteln. Das Schaffen des Liedermachers und Tischlers (1877-1942) entdeckte der Regisseur Christian von Götz bei Recherchen für dem Musiktheaterabend „Mazeltov, Rachelְ’e“ an der Oper Köln und seiner CD „Yiddish Songs“ mit der Mezzosopranistin Dalia Schaechter. Der Komponist Ralf Soiron ist wieder mit im Boot. Er baut Stege und Trampelpfade von Idiomen jüdischer Musik zum eigenem wesensverwandten Erfindungsanspruch.

Soirons Kompositionen sind prägnant und wenig sentimental. Für billige Tränenseligkeit gerät die Kammeroper zu anspruchsvoll – und auch zu anstrengend. Klar gibt es zwischen dem Jiddischen und dem Deutschen verhältnismäßig wenige Verständnisbarrieren. Aber das Ensemble singt und spricht so, dass man den Mehrfachsinn merkt, diesen in der Gesamtfülle gar nicht packen kann und schon deshalb für eskapistische Erschütterungen keine Zeit bleibt.

„Jüdisches Leben in Deutschland“ musste infolge der gestiegenen Zahl antisemitischer Übergriffe auch zu einer Informationsreihe über interkulturelle Beziehungen werden. Als er ein Mädchen findet und dieses Mordechai Gebirtig zur Niederschrift seiner Werke für die Nachwelt auffordert, beginnt in der Oper eine Auseinandersetzung: Lohnt sich die schriftliche Fixierung, die wie so viele jüdische Kulturschätze nicht vor der Vernichtung sicher sind? Oder ist verlorenes Kulturgut für die Nachgeborenen irrelevant? Eine Antwort gibt es nicht, auch weil die Handlungsebenen verfließen.

Figuren aus Gebirtigs Liedern und Balladen bewegen sich durch das Kirchenschiff – Csilla Csövari als ‚Die Frau‘ mit der Asche ihres Sohnes und Dalia Schaechter in der Hosenrolle des seinen Tod mit lockeren Sprüchen und trotziger Herausforderung erwartenden Spötters Avremi. Beide Sängerinnen erhielten mit dem Wechsel von Soirons frei tonalen Melodien und von Götz’ gleichwertigen Improvisationen veritable Opernpartien. Das verletzte Mädchen (Verena Hierholzer) kreist in seinem eigenen Kosmos nur zu gut verständlicher ‚Über-Spannungen‘, den der Rabbiner (Stefan Mosemann) mit starken Rache- und Vergeltungsattacken füttert. Wichtigstes Ausstattungsstück ist ein großes Bodentuch mit dem Davidsstern.

Trotz des gelassenen Spiels und des überaus dringlichen Sprechens des souveränen Egmont Elschner wird „Undzer Shtetl brennt“ weder Betroffenheitstheater noch Trauerballade. Es geht um Menschen, die in ihrem Dasein nicht nur ihren nur allzu begründeten Ängsten zerrieben werden. Eigentliches Thema ist das Leben in der Anspannung durch ständige Bedrohung, Trauer um die Entschwundenen und die Zähmung dieser Extreme durch Galgenhumor. Die Figuren sind weniger starr als äußerst vital. Die Musik dazu schmiegt sich mit feinen Koloritspuren aus jüdischen Kantorengesängen und Klezmer an die Stimmen.

Klarinetten-Soli Francois de Ripaupierres geleiten das Publikum, das die ersten Szenen auf den Seitenemporen beobachtete, ins Hauptschiff. Die Klarinette bleibt das Leitinstrument der 80 Minuten. Sie bohrt, drängt, klagt und tröstet. Es ist unter dem Dirigenten Christoph Maria Wagner ein in den Übergängen von Bewegung, Sprache, Melodram, Gesang und Vokalisieren die Hitze-Eruptionen sehr fein ausbalancierender Abend. Diese Phantasie über existenzielle Bedrängnisse fordert eine intensive Verhältnismäßigkeit zwischen Spiel und Publikum. Hier bleibt kein Raum zu den klassischen Zuweisungen eines Anspruchs auf Mitleid für Shoah-Opfer und die Pflicht zur Zerknirschung des Publikums, wie sie sich zu absehbaren Ritualen der Erinnerungskultur verfestigten. In „Undzer Shtetl brent“ steckt auch ganz viel Wut aus dem kämpferischen Alltag der Verfolgten.

Mordechai Gebirtigs zum performativen Leben erwachende Figuren stutzen Anlässe zum Unmut gewaltig zurecht – ohne Lamentieren. Insofern wächst „Undzer Shtetl brent“ in eine verallgemeinernde Dimension, die über den Davidsstern, die folkloristisch gefärbten Improvisationen und das Ost-Jiddische als Sprache der verlierenden Opfer hinausweist. Diese Erinnerung kommt noch näher an die Gegenwart als manche Hörer das wahrhaben wollen – nicht nur im Zyklus „Jüdisches Leben in Deutschland“.

Dalia Schaechter macht vor, dass Melancholie auch leicht sein kann und Witz Abwehr und ebenso Angriff bedeutet. Deshalb wirkt hier pures Leid wie im großen Solo Csilla Csövaris authentisch und nicht nur inszeniert. So wird Kammeroper tatsächlich zur Debatte, weil das Erinnern ohne mildernde Cremebäder auskommt und vorsätzlich rissig bis spröde bleibt. Demzufolge keine schöne, aber aufrüttelnde Produktion. „Undzer Shtetl brent“ sorgt für starken Juckreiz unter den langsam vernarbenden Wunden der Vergangenheitsbewältigung.

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