Hauptbild
In Schauspiel und Oper zu Hause: der Regisseur Günter Krämer
In Schauspiel und Oper zu Hause: der Regisseur Günter Krämer
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Produktive szenische Energie: der Schauspiel- und Opernregisseur Günter Krämer wird 70

Publikationsdatum
Body

An der Pariser Bastille-Oper „stemmt“ er, wie die Riesen im „Rheingold“ die Burg Walhall, gerade Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ auf die Bühne, die erste Inszenierung des Hauses überhaupt: Günter Krämer, geboren am 2. Dezember 1940 in Neustadt an der Weinstraße, gehört seit langer Zeit zu den profiliertesten, auch schillerndsten Regisseuren des Theaters.

Er begann ganz brav: Gymnasiallehrer, Regieassistent, dann Theaterregisseur in Köln, Oberspielleiter am Stuttgarter Staatstheater, bis Krämer 1984 die Position des Schauspieldirektors in Bremen angeboten wurde. Das Bremer Theater hatte damals gerade ein neues Schauspielhaus eröffnet und Krämer setzte sogleich einen weithin beachteten Akzent: Mit der Komplett-Inszenierung von Goethes „Faust I“ sowie der drei letzten Akte von „Faust II“. Man durchlebte eine theatralische Weltreise, als stummer Begleiter eines grandiosen Faust-Darstellers: Fritz Lichtenhahn. Schon hier offenbarte sich die Regiekunst Günter Krämers in ganzer Breite: Geistige Durchdringung des Textes und theatralisch-sinnliche Umsetzung befanden sich in schönster Balance. Und in Büchners „Danton“, an einem langen Quertisch gespielt, zeigte Krämers Inszenierung auf, wie spannend ein dramatischer Diskurs als Theater sein kann.

Nach Bremen übernahm Günter Krämer das Schauspiel des Kölner Theaters. Er begann mit einem Paukenschlag: Fünf Premieren an fünf aufeinanderfolgenden Tagen, unter anderem Brechts „Dreigroschenoper“ und Taboris „Mein Kampf“. Für Shakespeares „König Lear“ engagierte er den Bildhauer Alfred Hrdlicka als Ausstatter.

Günter Krämer lebte nicht im Wolkenkuckucksheim des Schauspiels allein. Die Oper, das Musiktheater, zogen ihn magisch an. Es war die Zeit, als immer häufiger Schauspielregisseure die Fronten wechselten. Schließlich war „Oper“ auch „Theater“, mit dem Vorsprung, dass die Musik einen festen formalen Rahmen garantierte, dass die Darsteller, nämlich die Sänger, perfekt studiert und entsprechend einsatzfreudig ohne langes Diskutieren zu Proben bereitstanden. Die Liste von Krämers Schauspielkollegen, die das Musiktheater entdeckten, umfasst immerhin so prominente Namen wie Patrice Chéreau und Peter Brook, Hans Neuenfels, Juri Ljubimow oder Peter Stein. Der Opernregisseur Günter Krämer „inszenierte“ außer dem Werk sogleich auch einen Skandal: In Darmstadt verkürzte er Ernst Kreneks „Karl V.“ so stark, dass der eigens aus Amerika angereiste Komponist empört wieder abreiste. Dabei hatte Krämer sehr genau den Kern des Werkes freigelegt, im Historiengewand den aktuellen Bezug zur NS-Zeit aufgezeigt.

Günter Krämer hat sich nie, mit einer kurzen Ausnahme von zwei Jahren, auf ein Genre festgelegt. Oper und Schauspiel wechselten ununterbrochen einander ab. Die Titelliste seiner Inszenierungen ist imposant und unendlich lang: „Ring“-Tetralogie in Hamburg, Strauss‘ „Elektra“, Hindemiths „Neues vom Tage“, Chaussons Oper „Le Roi Arthus“, Wagners „Parsifal“ in Bonn, Ibsens „Hedda Gabler“ in seiner Kölner Intendantenzeit von 1995 bis 2001, dort auch Wagners „Tristan und Isolde“. Und als gewichtige Uraufführung Zemlinskys „König Kandaules“ an der Hamburgischen Staatsoper.

Wie es sich für einen hochproduktiven Künstler gehört, geriet auch Günter Krämer mit der „verwalteten Welt“ in Konflikte. Seine Kölner Generalintendanz endete vorzeitig, weil die Stadt als Theaterträger eine andere Rechtsform für ihre Bühnen wollte. Von Amt und Bürokratie befreit, widmete sich Günter Krämer fortan der freien Regisseursarbeit. Bei den Salzburger Festspielen überzeugte er mit einer eigenwilligen Version von Richard Strauss‘ „Die Liebe der Danae“ – ein heftig kritisierter, gleichwohl gelungener Versuch, für das ästhetisch problematische Werk in eine überzeugende szenische Form zu finden. In Salzburg inszenierte Krämer auch Mozarts „Mitridate, re di ponto“, eine brillante Aufführung, die dem Werk eine veränderte Bewertung gab. An Dresdens Semperoper gelang dem Regisseur eine eindringliche Darstellung von Othmar Schoecks Kleist-Oper „Penthesilea“, in Schwetzingen eine überzeugende Inszenierung von Mozarts „Lucio Silla“.

Man könnte noch unzählige weitere Titel von Günter Krämers Regiearbeiten aufführen. In der Summe gehört er zu den produktivsten Szenikern der vergangenen Jahrzehnte, was noch nicht besagen würde, wenn nicht hinter jeder seiner Inszenierungen zugleich eine geistige Energie erfahrbar wäre – die heute leider nicht mehr selbstverständlich ist. Am 2. Dezember 2010 wird Günter Krämer siebzig Jahre alt.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!