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Losers Cirque Company. Foto: Dasa Wharton
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Quasi wiederentdeckt: Prager Orangen-Cocktail à la Prokofjew

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Es soll die tschechische Erstaufführung gewesen sein, jedenfalls fast: Sergej Prokofjews „Die Liebe zu den drei Orangen“ im Nationaltheater an der Moldau war weder wirklich surreal noch kafkaesk. Michael Ernst hat sich auf die Reise gemacht.

Ein Ausflug nach Prag lohnt immer und ist gewiss auch für Opernliebhaber interessant. Schließlich gibt es drei wunderschöne Musiktheater-Spielstätten in der tschechischen Hauptstadt. Neben der Staatsoper (die derzeit restauriert wird) und dem traditionsreichen Ständetheater eben auch die Nationaloper direkt an der Moldau. Dort ist jetzt „Die Liebe zu den drei Orangen“ von Sergej Prokofjew wieder ausgegraben worden. Nach allzu langer Abstinenz von mehr als einem halben Jahrhundert.

Wer Orangen liebt, sollte sich nun also aufmachen in die Goldene Stadt. Denn dort gibt es sie sogar auf der Bühne! Das Nationaltheater, als „Goldene Kapelle“ apostrophiert und somit prägender Bestandteil des sprichwörtlichen Städtenamens, hat sie in seiner 136. Saison quasi wiederentdeckt und auf jeden Fall musikalisch zu großartiger Reife gebracht.

Im Tschechischen handelt es sich um Pomeranzen, die russische Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“ von Sergej Prokofjew stützt sich auf ein französisches Libretto nach dem italienischen Theaterstück von Carlo Gozzi und ist 1921 in den USA uraufgeführt worden. Ziemlich kosmopolitisch also, was der britische Dirigent und Aachener Musikdirektor Christopher Ward da nun wieder hervorgeholt hat. Das gilt natürlich nicht nur für den geradezu leitmotivischen Ohrwurm des „Orangen“-Themas.

Prag will nicht nur touristisch, sondern auch künstlerisch europäischen Anschluss finden und Maßstäbe setzen. Nicht zuletzt deswegen soll der Norweger Per Boye Hansen als künftiger Intendant an die Moldau kommen – wo ihn jüngst freilich in Form eines Offenen Briefes von knapp 400 Mitarbeitern des Hauses heftiger Gegenwind erwartet. Ob solch ein Misstrauensvotum (das sich wohl auch auf den designierten Musikdirektor Karl-Heinz Steffens bezieht, mit dem Hansen 2017 bereits Oslo eher unfreiwillig verlassen musste), wirklich eine gute Voraussetzung für Prag ist?

„Die Liebe zu den drei Orangen“ (original „L’amour des trois oranges“) scheint dieses Menetekel beinahe auf die Bühne setzen zu wollen, auch wenn es darin um einen surrealen Märchenstoff geht. Schon im reichlich bunt geratenen Prolog streiten Tragiker, Komiker, Lyriker und Hohlköpfige um die ihnen entsprechende Bühnenpartie. In der vieraktigen Oper selbst ist es dann der an Hypochondrie leidende Prinz, der die Zukunft des Königreichs (ein Königreich für ein Theater!) in Frage stellt. Nur Lachen könnte ihn heilen. Truffaldino müht sich, das spaßig zu provozieren, doch die böse Fata Morgana stellt sich ihm in den Weg. Als sie jedoch umfällt, bricht aus dem Königssohn das Lachen heraus. Dafür wird er von der Zauberin bestraft und zur Liebe zu drei Orangen verhext.

In der Kafka-Stadt inszeniert Regisseur Radim Vizváry diese verworrene Geschichte eher grotesk denn kafkaesk oder gar surreal. Die Orangen sind nur halbierte Orangen und sollen natürlich mehrfach überdimensionierte Brüste suggerieren. Daraus hervor steigen dann dürstend Linette, Nicolette und Ninette, die ersten beiden verdursten, letztere jedoch wird des Prinzen Braut. Was für Eskapaden allerdings muss der arme Königsknabe bis dahin ausstehen!

Langatmig wird diese Oper also nie. Im anspielungsreichen Bühnenbild von Boris Kudlicka und in Kostümen von Natalia Kitamikado wird das Schräge dieser Geschichte so plausibel wie unterhaltsam vermittelt. Mehr noch aber gelingt dies – neben diabolischen, tänzerisch-sportiven Einlagen eines akrobatischen Herren-Oktetts – der Musik. Das Orchester des Nationaltheaters ist grandios, verfügt über federnde Streicher, schmetterndes Blech, fixes Holz und dunkel grundierende Basslast. Vorzügliche Begleiter so feiner Stimmen wie der von Ales Briscein als Prinz, Jaroslav Brezina als cowboyhaft gekleidetem Truffaldino, Eva Urbanová als eher mäßig bösartige Fata Margana und vor allem Marie Fajtová als liebreizende Ninette. In einer Doppelrolle gibt Zdenek Plech sowohl den bösen Koch als auch den beschränkten König, der zahlenmäßig großen Solistenschar steht der Chor des Nationaltheaters glänzend zur Seite.

Diese Oper ist ein trefflicher Cocktail, auch wo er verwirrend zu Kopfe steigt. Prag ist eine Reise wert, auch und gerade für Opernfreunde!

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