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Ralf König als „Live-Classic-Act-Artist“. Foto: Roland H. Dippel
Ralf König als „Live-Classic-Act-Artist“. Foto: Roland H. Dippel
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Ralfs rosa Riesenteufel: Das Bundesjugendorchester bei „Young Euro Classic“

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Im Konzerthaus Berlin feiert man vom 17. August bis zum 3. September die achtzehnte Ausgabe von „Young Euro Classic“. Nach dem Attentat in Barcelona hat dieses „Festival der besten Jugendorchester der Welt“ über Nachwuchspflege und künstlerische Inhalte eine Appellfunktion für die freiheitlichen Werte. Im Festivalheft ist die Spannweite der Positionen fassbar: Man blättert nach der Ankündigung des Moldavian National Youth Orchestra (27. August) und der Nationalen Jugendphilharmonie der Türkei (28. August) weiter und findet die ganzseitige Anzeige des queeren Stadtmagazins „Siegessäule“.

Unter diesem schillernden Regenbogen zeichnet sich der Beitrag der 13- bis 19-jährigen Musiker des deutschen Bundesjugendorchesters durch ein medial herausforderndes Programm aus.

Es ist das letzte Konzert dieser Spielzeit für die Elite-Nachwuchstruppe und landet nach Stationen in Eltville, Bonn und Blankensee in Berlin. „Tatort“-Kommissar Dietmar Bär holt als Pate des Abends mit geschliffener Rauheit aus zu Kurven zwischen Kunst und Fußball. Das zeigt Mitdenken zum Thema „Märchen und Helden“. Auch dem musikalischen Chef und neuen GMD des Staatstheaters Wiesbaden Patrick Lange geht es mehr um die ätzenden Reizstoffe als flache Harmlosigkeit.

Dabei ist Eliot Goldenthals „Grand Gothic Suite“ aus Tonmaterial der Filme „Batman and Robin“ und „Batman forever“ mit jazzigen Skalen, vollgriffigen Motivparaphrasen zu Wagners „Ring“ und gleißenden Gershwin-Farben der bilderfreie Starter. Subtil wird es bei Alfred Schnittkes Musik zum sowjetischen Animationsfilm „Die Glasharmonika“ (1966) von Andrei Chrschanowski. Im Orchester hat das Theremin einen Paradepart. Dazu springt, selbst wenn sich die extrem dichte Symbolfülle nicht erschließt, die antikapitalistische Kritik ins Auge. Von Chrschanowskis Bildersprache, die dazu unmissverständlich antisemitische Hetzbilder des „Geldjuden“ aufgreift und instrumentalisiert, distanziert sich Patrick Lange eindeutig und setzt dazu ein Bekenntnis des Bundesjugendorchesters zur gelebten Vielfalt in Deutschland.

Der souveräne Umgang mit beträchtlichen Schwierigkeitsgraden und deren stimmig-spontane Auslotung durch die jungen Musiker beeindrucken. Glänzend voneinander abgesetzt sind die Gruppen, zeigen akzentschnelle Wechsel in den Feinmischungen und tönen im häufigen Fortissimo-Glanz gewinnend profund, nie nur laut. Dabei wäre das gesamte Programm eine Totalverführung zur Show-Gestik. Auch in den zackigen Akzenten der Neukomposition des anwesenden Clemens Rynkowski zu Winsor McCay Stummfilm (1921) „The Pet“ haben die bizarren Orchestereffekte Zwischentöne beim Wachsen des Schmusetierchens zum Riesenmonster.

Aus dem Saal jubeln Eltern der elitären Musiksprösslinge einhellig mit Kulturflaneuren und Szenevögeln, die es im Konzerthaus sonst zu ihren Sängergöttern zieht. Sie zusammen steigern den Applaus von einer mümmelnden Streicheleinheit in laute, freudige, wilde Begeisterung.

Hauptattraktion des Abends ist – wie anders zu erwarten – der Auftritt von Ralf König zum Live-Zeichnen nach Modest Mussorgskis tönendem Hexensabbat „Eine Nacht auf dem Kahlen Berge“. Was macht der Meister der Sittenspiegel aller geschlechtsreifen Großstädter zur Paarungszeit bei seinem von ihm mit etwas Nervosität erwarteten Debüt als „Live-Classic-Act-Artist“? Er wirft den annähernd hundert Tonmalern mit Feder und vorbereiteten Bögen eine Bombe nach der anderen zu. Begleitend illustriert er, nicht fordernd. Daraus entsteht ebenso hintergründiger Witz wie in Ralf Königs Cartoons. Nur etwas flüchtiger. Neben Knollen- gibt es diesmal auch „Röhrennasen“. Glupschaugen erhalten bei genauerer Betrachtung vage Ähnlichkeit mit Brüsten wie in Phantasieergüssen eines sündenlüsternen Klosterbruders, der zu viel von verbotenen Amphetaminen nascht. Aber das täuscht möglicherweise. Die jungen Musiker werden sich noch ihre Meinung bilden über den riesigen, kerligen Teufel in Pink. Auffordernd grimassiert er zum Schlussakkord in den Saal, mit mächtiger Rute und zierlichen Hörnern. Jubel.

Dieser dionysische Taumel folgte einem tödlichen Kampf: Wie hart sich „Hänsel und Gretel“ in Engelbert Humperdincks idyllisch flutender Partitur wehren müssen, illustrierte Wilhelm Busch frecher und böser. Dazu gibt es den mit Wunderbreite ausgespielten Abendsegen plus Ouvertüre, den virtuos ausagierten „Hexenritt“ und einen „Knusperwalzer“ als Tanzboden-Schrubber mit herzhafter Auslegung des Notentextes.

Als nächstes betreibt das Bundesjugendorchester Musikarchäologie: Auf Oksana Lynivs Festival MozArt in Lemberg/Ukraine wirkt es mit bei einem Campus-Projekt zum Austausch zwischen jungen deutschen und ukrainischen MusikerInnen. Man erarbeitet ein Werk des Mozartsohnes Franz Xaver Mozart und eine Auftragskomposition des jungen Ukrainers Bohdan Sehin.

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