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Foto: Silke Winkler
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Ralph Benatzkys „Weißes Rössl“ – Schweriner im Salzkammergut

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Etwas neugierig lugt ein gebogener Trichter zwischen dem einen Spalt offenen Vorhang heraus, hinter sich ein dunkler Gebirgshang. Ganz aufgezogen zeigt sich eine Landschaft mit Kirche, ein Alphorn davor. Einer kommt und bläst darauf. A Bua schleicht sich in einen Stall, a Madel folgt lustvoll verschämt. Und dann geht’s krachend los aus dem Orchestergraben. Der Besucher ist im „Weißen Rössl“ angekommen, mit dem das Mecklenburgische Staatstheater in Schwerin gleich im Doppelpack Premiere feiert, am 23. Oktober und am 2. November, im Abstand von zehn Tagen.

Das hat Gründe, über die sich so manches Theater freuen würde. Zum einen kann das Haus in einer Stadt mit nur rund 100.000 Einwohnern Musiktheater, Ballett und Schauspiel anbieten, zusätzlich noch niederdeutsche Mundart durch die Fritz-Reuter-Bühne mit eigenem Direktor und eigenem Ensemble. Zum anderen inspiriert der Blick auf die großherzogliche Schlossresidenz offensichtlich ein treues Publikum so sehr, dass jede Sparte ein eigenes Publikum hat. Das will vielseitig befriedigt sein. Da liegt der Gedanke irgendwie in der Luft, das mit nur einem Stück kostensparend und zugleich spartenübergreifend zu tun.

Ein Schweriner

Dafür bieten sich Singspiele an und darunter ein sehr beliebtes, eben Ralph Benatzkys „Weißes Rössl“. Sänger und Schauspieler wirken mit, auch solche, die beides können (müssen). Das Stück lebt nicht zuletzt durch seine Bilingualität, dem singendem, charmanten Österreichisch einerseits und dem kessen, selbstbewussten Berlinerisch andererseits, wo irgendwo inmitten das Hochdeutsche liegt. Anzunehmen ist, dass die Schweriner die Berliner verstehen, die aber wohl die Mecklenburger weniger. Dennoch durften die Spieler der Fritz-Reuter-Bühne ihr geliebtes Niederdeutsch behalten. So musste Wilhelm Gieseke, seines Zeichens Trikotagenfabrikant, zu einem Schweriner mutieren oder, wie es landestypisch heißt, zu einem Sweriner. Sein Töchterchen Ottilie durfte sich sprachlich dazwischen tummeln, wie auch der für sie bestimmte Dr. Otto Siedler. Klärchen und der schöne Sigismund, mit dem ebenso schönen Nachnamen Sülzheimer, was er auch war, hatten ihre eigene Sprache, die der lispelnden Liebe. Die anderen alle sangen patriotisch „Im Salzkammergut, doa kammer gut lustig sein, wenn die Musi spielt, holdrio“, was aus dem Munde von Giesecke so klang: „In‘t Salzkammergut, da kann man gut krägel sein. Doch in Mäkelborg geiht dat ok!“

Was der Beifall verrät

Das darf man wohl, sein Publikum sprachlich abholen, besonders das der Vorpremiere an einem Dienstag. Das ist der niederdeutsche Tag, während die Abonnenten im Musiktheater erst am Freitag und eine Woche später bespielt werden. Zur Entschädigung bekommen sie die Premiere ohne „Vor“ zu sehen. Da Handlung und die Songs bekannt sind, kann gleich zum Beifall gesprungen werden. Dessen Stärke zu vergleichen wäre des Interesses wert, aber allenfalls nachzuliefern. Was dennoch auffiel, der Applaus bei den Matadoren der Niederdeutschen war besonders stark, vor allem bei Christoph Reiche, der ein köstlich brummiger Erfinder der vorn geknöpften Hemdhose war und der lieber in Ahlbeck die Dünen erstiegen hätte, sich dennoch anpasste. „Fesch“, mehrfach bestätigt, sah er trotzdem aus in seiner Tracht mit den Pulswärmern für die Waden. Ein rechter Komiker ist er, auch wenn ein mäßigeres Sprechtempo einigen Pointen gut getan hätte.  

Es ist durchaus liebenswert, dass so etwas bei einem treuen Publikum nicht zählt und es seine Lieblinge hervorhebt. Aus dem gleichen Ensemble stammt das Klärchen, der Tina Landgraf entzückend lispelnd Stimme und Figur gab. Zudem konnte sie exzellent steppen und dieses auch ihrem Sigismund beibringen. Noch wichtiger war, dass sie das Mecklenburger Platt beherrscht und sie alle nötigen Texte sangbar übertragen konnte (s.o.). Das wurde lautstark quittiert, ebenso wie die quirlige Leistung des wendigen Simon Grundbacher als jüngster und Andreas Auer als Dienstältester der Fritz-Reuter-Leute. Er war ein würdiger Kaiser, nachdenklich und hinreichend erhaben, schlank und rank, so dass man ihm die Weigerung nicht abnehmen konnte, seine Kaisersemmeln gebuttert zu genießen, weil er abnehmen wollte. Kerstin Westphal war gestrenge Reiseführerin und Bürgermeisterin in eins und Anna Reimann eine reizend verliebte Kathi. Das Lokalkolorit als Zenzi verstärkte Joane Reimann, eigentlich Regieassistentin. Sie musste einspringen, weil Itziar Lesaka sich den Fuß gebrochen hatte, dennoch jodeln konnte und das sinnigerweise und gekonnt von oben tat, aus der Seitenloge im ersten Rang.

Mit ihr wird bereits die andere Sparte gewürdigt, deren Vertreter vermutlich ein paar Tage später im Beifall hervorgehoben werden. Dort ist zuvorderst Karen Leiber zu nennen. Die gestandene Sopranistin, die Tosca der diesjährigen Schlossfestspiele, spielte eine ebenso gestandene Wirtshauschefin, sangessicher und zugleich mit viel Witz. Für den Leopold hatte sich das Theater einen waschechten Salzburger geholt, Erwin Belakowitsch. Wunderbar, wie er die Vokale formte, wenn er bekennt „Zuschau’n kann i net“. Das war nicht Theater, das war Österreichisch. Mehr als ein charmanter Zufall ist, dass auch Roman Payer, sein Rivale um Josephas Gunst, ein Wiener Sängerknabe war. Tenoral hatten beide Kraft und Wendigkeit in der Stimme. Als Gieseckes Tochter Ottilie und Siegerin in dem Gunstgerangel agierte Katrin Hübner mit wunderbar leichter Erscheinung in Stimme und Figur. Ensemblemitglied ist auch Cornelius Lewenberg, der seinem Sigismund viel gab, allerdings im Spiel nicht die letzte Leichtigkeit.

Wie inszeniert man Operette?

Eine ewige Streitfrage ist die nach der Berechtigung der Operette allgemein und heute. Für das „Rössls“ hatte Toni Burkhardt als Operndirektor und Regisseur das so entschieden, dass er Gefühlsseliges, auch den Kitsch vermied und nicht in Karikatur verfiel. Temporeich kam das Werk daher und stark gekürzt. Der Prof. Hinzmann blieb zu Hause, andere Figuren wurden in einer zusammengefasst und Sprechtexte auf das Nötigste oder komödiantisch Dienlichste verkürzt, so dass der Eindruck einer Revue mit starken Schlusstableaus entstand. Schmissig war das Ergebnis, verstärkt durch die wendige Mecklenburgische Staatskapelle unter Gabriel Venzagos unsentimentaler Leitung, durch den sanges- und aktionsfreudigen Chor und das teils grotesk verkleidete Ballett. Was man sich einkaufte, war ein Mangel an Sinnlichkeit. Vieles wirkte brav und bieder, auch bei den Kostümen von Marie Theres Cramer oder bei Kathrin Keglers aufwändigem, aber allzu naturalistischen Bühnenbild, das dennoch ein paar hübsche Überraschungen bot.

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