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Lohengrin in Bayreuth. Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath
Lohengrin in Bayreuth. Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath
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Schwellenüberschreitung zum Experiment Mensch – „Lohengrin“ bei den Bayreuther Festspielen

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Erstmals fand eine Premiere am zweiten Pausenabend des „Ring“-Zyklus, zwischen „Siegfried“ und „Götterdämmerung“, statt. Dass „Lohengrin“ – trotz Hans Neuenfels’ gewöhnungsbedürftiger Erzählweise als deutsches Rattenmärchen – inzwischen, im fünften Jahr, die beim Publikum beliebteste Produktion der Festspiele ist, wurde auch am Premierenabend an den noch in den Pausen per Schild nach einer Karte Suchenden deutlich.

Diese Aufführung, an welcher der Regisseur – auch bedingt durch eine Umbesetzung der Elsa – noch geringfügige Modifikationen angebracht hat, bewegt sich in der Tat auf höchstem Festspiel-Niveau, sie ist erstklassig besetzt und gelang am Premierenabend musikalisch makellos.

Die Versuchsanordnung, zu der Lohengrin auf eigenes Betreiben hinzustößt, unterscheidet nicht zwischen Brabantern und Sachsen. Alle sind sie Ratten, mal mehr mal weniger, ob sie nun andere Uniformierungen anlegen, ihre animalisch kinetischen langen Schwänze, Rattenköpfe, überlangen Füße und Hände, partiell und sukzessive ablegen, bleiben sie doch Ratten in einem von blauen Ordnern unter Schutzhelmen kaum beherrschten System. Und das lässt Unordnung dann zu, wenn die deren Zielen dient, etwa wenn die Ratten den verstoßenen Telramund und seine Gemahlin auf der Flucht überfallen, das Kutschpferd töten, die großen Koffer mit Goldbarren, Devisen und Pelzen entwenden und die Flüchtenden an die brach liegende Kutsche fesseln.

Die Versuchsanordner greifen nur selten ordnend ins Spiel ein. Einmal entführen sie nach Lohengrins Ankunft alle Anwesenden um das künftige Liebespaar allein zu lassen. Insofern hat Lohengrin dann mit seiner Behauptung, „Ihr hörtet alle, wie sie mir versprochen, mich nie zu fragen, wer ich bin“, Unrecht, denn in Neuenfels’ Inszenierung belauscht nur Ortrud diese Szene.

Ein andermal ziehen die in klinischem Blau gewandeten Ordner das für die Trauung gepflanzte Kreuz wieder aus dem Boden und brechen den Querbalken ab; aber Lohengrin, der von außen in diese Versuchsanordnung gekommen ist, fügt die Teile wieder zusammen und hält sie wie ein probates Mittel aus Vampyr-Filmen hoch, das Volk dreht sich mit zum Himmel gestikulierenden Rattenpfoten zum Publikum; so deutet der Regisseur das letzte Erklingen des Frageverbots im zweiten Aufzug – gemeinhin gedeutet als einen Blick Elsas zum Widersacher-Paar – als großen Aktschluss-Effekt.

Besonderen Beliebtheitsgrad beim Publikum haben die Auftritte der possierlichen Kinderratten, etwa am Anfang des Brautchors, und auch die Chordamen im zweiten Aufzug, mit ihren farblich gestuften, weiten Röcken und den von den Männern liebevoll gekosten, dicken Rattenschwänzen, mit denen die Frauen sich auch zur Wehr zu setzen vermögen. Das agiert und singt der von Eberhard Friedrich einstudierte, groß besetzte Festspielchor mit Liebe zum Detail sehr engagiert und mit großer Spielfreude.

Wiederholt überschreitet Elsa das Frageverbot Lohengrins in Häppchen und hält den Angetrauten so auch davon ab, endlich eine Frau körperlich lieben zu dürfen. Als er ihr die gehobene Position andeutet, aus der er kommt, hält sie sich die Ohren zu; sie will den Gatten lieber aus gefährdeter, niedriger Position auf ihre Stufe, an den Thron von Brabant, heben.

Anstelle der schwangeren Annette Dasch singt in diesem Sommer erstmals Edith Haller die Elsa. Kernig, bei sehr weicher, fast linearer Stimmführung, stößt sie nur ein einziges Mal, im dritten Aufzug, bei gebotener dramatischer Höhe, an ihre Grenzen. Die von den Herrschenden mit Pfeilen gepeinigte Elsa verkörpert sie intensiv und glaubhaft, etwa auch, wenn sie sich von Ortrud dabei ertappt fühlt, als sie eine Kappe zu einem Spielchen aufsetzt, welches sie mit ihrem Kunst-Schwan beginnen will. Ortruds Kuss erträgt sie nur kurz und fällt rasch zu Boden – ebenso, als Lohengrin zwischen die beiden rivalisierenden Frauen auf dem Zug zum Münster tritt und derart den hypnotisierenden Blick Ortruds zu Elsa unterbricht. Beim verspäteten Verführungsversuch im letzten Bild, wenn Elsa das kurze, schwarze Kleid ablegt um Lohengrin, dessen erotischen Annäherungen sie sich im Schlafzimmer verweigert hatte, nunmehr in der Öffentlichkeit doch noch körperlich zu besitzen, ist Hallers Spiel dezenter, weniger vergewaltigend als das ihrer Vorgängerin. Edith Haller erntet Zuspruch und Sympathien des Publikums – und ihres Partners, der beim Applaus gestisch vor ihr den Hut zieht. Klaus Florian Vogt gestaltet den Lohengrin mit dem ihm eigenen, leicht säuselnden, nasalen Timbre, durchaus überzeugend. Die verbesserte Mittellage erlaubt es ihm beim verdeckten Orchester nun auch die eine oder andere Phrase einmal nach hinten zu singen. Auch im Ensemble des zweiten Finales vermag er souverän über dem Herrenchor zu liegen. Leidensvoll singt er die Anweisung an die Dienerinnen, Elsa vor den König zu führen, „dass sie des Gatten Art erschau’“ und bevor er das sinnentleerte Brautgemach verlässt, wischt er sich eine Träne von der Wange.

Stimmlich und darstellerisch kontrastiert das Paar Ortrud-Telramund. Diktionsstark bewahrt Thomas J. Mayer als Telramund stets Herrscherattitüde, selbst wenn er mit den Händen an die Kutsche gefesselt ist, zeigt er locker-legere Haltung, als stünde er am Kamin seines Hauses. Um so tiefer dann die Momente sexueller Hörigkeit zu Ortrud, deren Partie Petra Lang erweitert mit gellendem Lachen nach der Frage „Gott?“, was schauerlicher klingt als der gesanglich in Frage gestellte Name, und auch mit einem Zwischenruf „Ha“ als Infragestellung des von Telramund gewählten Attributs „tugendhaft“. Das Outing der vordem schwarzen, dann als Königin-Hexe weiß gewandeten Ortrud, den angeblich von Elsa ertränkten Knaben Gottfried verzaubert, selbst zum Schwan verwandelt zu haben, bringt Lang allerdings so gellend, dass die textliche Information für jene Zuschauer, welche die Worte des Librettos nicht auswendig kennen, untergeht.

Gegenüber seinen Vorgängern in dieser Inszenierung ist Wilhelm Schwinghammer als König Heinrich der Vogler weniger stark fallsüchtig; er überzeugt mit facettenreichem Gesang und doppelbödiger Darstellung.

Neuenfels’ Inszenierung ist trotz aller Freiheiten text- und musikkonform. Und wenn die Szene und Dramaturgie verändert sind, so erhalten musikalische Signale eine neue Bedeutung: Nach dem Erschlagen Telramunds, der beim Attentat auf Lohengrin auch sichtbar zur Ratte mutiert ist, läutet Lohengrin – im Gegensatz zum Original – nicht Elsas Dienerinnen herbei um diese umkleiden zu lassen; der sanfte, komponierte Glockenton seines Läutens entfällt jedoch nicht, sondern erklingt als ein gewaltsam einschneidender Glockenschlag aus dem Orchester.

Auch die drei Schläge des Königs gegen seinen Schild, zur Eröffnung des Gottesgerichts, sind durch elektroakustische Schläge aus dem Orchester ersetzt, brutal neu vernehmlich im dritten Aufzug, nach dem Reitermarsch, der hier keine Umbaumusik ist, sondern als leere Bühne des von Reinhard von der Thannen mit kinetischen Lichtobjekten auf Wagen gestalteten Bühnenraums sowohl für die Vanitas der Protagonisten, als auch die innere Leere der Staatsform symbolisiert.

Sehr souverän und stimmig im Aufbau leitet Andris Nelsons das makellos intonierende Festspielorchester. Wagners die lichten Gralswelten mit martialischen Klängen kontrastierende Partitur interpretiert der Dirigent breit und ausgewogen, er bringt den Mischklang im dafür ursprünglich nicht vorgesehenen, tiefen Graben trefflich hell zum Leuchten.

Offenbar aufgrund von Skrupeln der Lohengrin-Darsteller oder -Kapellmeister wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Vorstellung Gottfrieds durch Lohengrin häufig schamvoll umgeändert in die Worte, „Zum Schützer sei er euch ernannt“. Aber die Funktion des nonmilitanten Schützers ist bereits seit dem Morgen des Hochzeitsfestes an jenen Namenlosen vergeben, welcher auch „in der Ferne“ Brabant ein Schützer bleiben wird, an Lohengrin selbst. Hingegen wird die (in dieser Produktion gestrichene) berechtigte Forderung des Heeres, „Des Führers harren seine Mannen!“ von Lohengrin mit dem Verweis auf den Herzog von Brabant beantwortet. Dass dies eigentlich kein Kind sein kann, sondern ein viriler Held, liegt auf der Hand. Aber die Bayreuther „Lohengrin“-Regisseure Werner Herzog, Götz Friedrich, Keith Warner und Hans Neuenfels setzten den Gipfelpunkt der Tragik in Wagners einziger hoffnungslos tragisch endender Opernhandlung mit einem embryonalen, unfertigen Heerführer in den Kampf, als optisch zugespitzten Auslöser für den finalen, kollektiven „Weh!“-Ruf.

Gerade angesichts des fetten, imperatorischen Monsters Gottfried, das seine Nabelschnur in Stücke reißt und auf sein Volk wirft, hätte Lohengrin diesen getrost mit Richard Wagners originalen Worten „zum Führer sei er euch ernannt“ apostrophieren können.

Bei Neuenfels hängt die Handlung über die Musik über. Nachdem nicht nur Elsa, sondern alle Anwesenden in Brabant scheinbar leblos auf den Boden gefallen sind, schreitet Lohengrin an die Rampe, da wo er im ersten Vorspiel so hoffnungsvoll begonnen hatte, eine Schwelle zum Experiment Mensch zu übertreten.

Die Stille nutzte am Premierenabend einer der aufgebrachten Zuschauer, „Pfui!“ zu brüllen, und andere Buh-Rufer schlossen sich an, bis Bravorufer und aufbrandender Applaus mit heftigem Fußtrampeln diesen Zwischenruf relativierten. Danach herrschte ausschließlich Jubel.

  • Weitere Aufführungen: 3., 6., 9. und 17. August 2014.

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