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Sichtbarmachung der Psyche: Bejubelte „Lohengrin“-Premiere bei den Bayreuther Festspielen

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Hans Neuenfels hat die Proben und Umbesetzungen selbst vorgenommen, aber an seiner ungewöhnlichen Konzeption als Rattenmärchen kaum etwas verändert. Der Clou seiner Konzeption der untertänigen Ratten in einer Versuchsanordnung erschließt sich dem Zuschauer auch beim neuerlichen Betrachten nicht zur Gänze. Und die Frage, wer die stummen Bewacher in ihren blauen Schutzanzügen sind und in wessen Auftrag sie handeln, bleibt weiter offen.

Kostümierungen auf der Bühne stehen für eine Sichtbarmachung der Psyche. Folglich kann die Gesellschaft der Ratten ihre Kostüme, mitsamt Köpfen und den langen Rattenschwänzen ablegen, in sonnengelbe Festkleidung oder in obligatorisch schwarze Abendkleidung schlüpfen und doch im Grunde ihres Wesens unverändert bleiben. Dass die Schwänze Zeichencharakter besitzen, wird spätestens im zweiten Aufzug deutlich, wo die Frauen zwar genießen, dass diese als ihre zur Schau gestellte Körperlichkeit von den Männern liebkost wird, dass die Frauen die Schwänze aber auch abnehmen können, um damit Schläge auszuteilen.

Folgerichtig wird diese Chiffrierung beim Aufbruch in den Krieg, im Schlusbild des dritten Aufzugs, ersetzt durch eine neue Formierung, schwarze Schwanen-Uniformen mit einer punktierten römischen I auf der Brust, was auch als ein „L“ (Lohengrin) gedeutet werden kann. Verwirrend bleibt hingegen, dass die Ratten im animierten Video der drei „Wahrheiten“ – im Gegensatz zu den schwarzen (Männer-) und weißen (Frauen-) Kostümen der erwachsenen Ratten auf der Bühne –violett und grau sind. Und fragwürdig, der Hinterfragung würdig, bleibt die Schnittstelle zwischen Ratte und Nichtratte, offenbar die Unterscheidung zwischen Herrschenden und Beherrschten. Aber auch die vier brabantischen Edlen haben Rattenfüße. Telramund hingegen erscheint erst bei seinem Mordversuch im Brautgemach als Ratte – oder hat er sich da nur als solche verkleidet?

Spannender wäre wohl, wenn in dieser Sicht auf Wagners Romantische Oper alle Brabanter ein Volk von Ratten wären, also auch Elsa, Telramund und Ortrud eingeschlossen, und nur Lohengrin, als unser Zeitgenosse, ein Fremder in jener Welt. Denn „gezeichnet“ – im Sinne der Oper von Franz Schreker, die im Jahre 1978 Hans Neuenfels’ dritter Beitrag als Opernregisseur war – sind auch der Heerrufer mit seinen zu Berge stehenden Haaren und der fallsüchtige König Heinrich.

Wieder überzeugt die intensive psychologische Personenführung des von Hause aus im Schauspiel tätigen Regisseurs, wie auch Neuenfels’ hohe Musikalität, gerade in der Chorführung. Spannend ist die Pantomime erwachenden Brabanter Morgens am zweiten Akt als eine Pantomime aufmüpfiger weißer Mäuse, die von ihren Bewachern gestellt werden, deren Beruhigungsspritzen eine gegenteilige Wirkung haben, so dass sie Mäuse ihre Peiniger überwältigen. Mit dem Bild der mitfühlenden Mäuse und Ratten werden selbst häufig abgedroschen oder antiquiert wirkende Stücke, wie das „Treulich geführt“, zu einem neuen Erlebnis.

Im Gedächtnis bleiben zahlreiche starke Momente, wie die erste Begegnung des verhinderten Liebespaares. Lohengrin zieht die Pfeile aus Elsas Rücken und schafft ihr so Befreiung, fügt ihr aber auch Schmerzen zu. Der waffenlos angereiste Lohengrin kämpft dann im Gottesgericht mit dem Schwert des Königs, das der Monarch in den Blumentopf der jungen Eichenpflanze gesteckt hatte.

Aber die Verbindung von Elsa und Lohengrin ist von Anfang an gestört, denn es ist nur eine symbiotische Liebe. Elsa verehrt statt des Mannes das Abbild des Schwans als das einzig Greifbare, das sie mit Lohengrin verbinden kann. Daher schlüpft sie für den Brautzug selbst ins Kostüm eines weißen Schwans, und die ihr amourös nahestehende Ortrud folgerichtig in das eines schwarzen Schwans.

Gerade in jenem Moment, wenn Lohengrin Elsa küssen will, führt der König ihn aus politischer Raison zu den Männern.
Stark der zweite Aktschluss mit der Zerstörung des schlichten Kreuzes durch die blau gewandeten Über-Aufseher, und Lohengrins Tat, es wieder hehrzustellen, während Elsa hilflos, wie ein Schwan an Land, mit den Armen rudert. Der dritte Aufzug enthüllt dann die echte Tragik dieser Liebesbeziehung. Der Regisseur macht sinnlich erfahrbar, dass Lohengrins Wunsch, „Dass ich in dir mög’ glücklich sein“ keineswegs platonisch, sondern durchaus körperlich zu verstehen ist, aber bei Elsa auf Ablehnung stößt.

Symbolisch überdeutlich bricht aus der Mitte des Brautbetts der schwarze Nachen hervor, der Lohengrin zu Elsa gebracht hatte, aber anstelle des bei der Ankunft darin sitzenden Schwanes liegen darin nun nur ausgerupfte Schwanenfedern. Lohengrin bleibt – er geht, über das Verklingen der Musik hinaus, aufs Bayreuther Publikum zu – offenbar der einzig Überlebende an jener Stätte der Experimente. In Wagners eigener Deutung des Lohengrin als jener eines Künstlers, der verstanden werden will, hatte er sie nur aufgesucht, um hier einen Partner zu finden.

Anfängliche Unsicherheiten des Vorsommers hat der lettische Dirigent Andris Nelsons voll überwunden; die Klangentfaltung des Orchesters ist noch gesteigert, und bereits der zweite Aufzug wird zum ersten echten Höhepunkt der diesjährigen Bayreuther Festspiele. Nelsons schlägt mit seiner dichten musikalischen Deutung den Bogen zu Wagners Spätwerk, insbesondere zur „Götterdämmerung“. Das Vorspiel zum dritten Akt nimmt er in extremem Eiltempo, um dann, kongruent zur Regie, ein sezierendes, als Zielpunkt der psychologischen Analyse angelegtes, breites Brautgemach folgen zu lassen, mit geradezu subkutan injizierten Piani.

Um so mehr wünschte man sich, dass im Schlussbild auf den traditionellen „politische Strich“, Lohengrins Prophezeiung des auch „in fernsten Tagen“ unbesiegten Deutschland, verzichtet würde. Einen Teil der bei dieser traditionellen Bayreuther Kürzung zum Opfer fallenden Musik hat Neuenfels ja wieder aufgemacht, um Elsas Reue als einen zu späten Versuch körperlicher Hingabe an Lohengrin zu deuten: ihre verzweifelten Versuche, den Mann mit allen weiblichen Verführungskünsten und körperlicher Hingabe in aller Öffentlichkeit doch noch für sich zu gewinnen, ja als letztes Mittel zu vergewaltigen, gehören zu den nachhaltig spannendsten Momenten dieser Inszenierung.

Annette Dasch als Elsa hat ihre Intonationsprobleme des Vorjahrs weitgehend überwunden und an Textverständlich gewonnen. Statt Evelyn Herlitzius gestaltet in diesem Sommer Petra Lang die Ortrud. An ihren Ausruf „Gott?“ knüpft sie eine Lachsalve an, hält ihre Bravourtöne oftmals über Gebühr aus und sinkt am Ende mit lauten Schreien zu Boden.

Die extrem hell timbrierte, leichte Stimme von Klaus Florian Vogt ist für den Lohengrin sehr viel besser geeignet als für den Walther von Stolzing, den er in den zurückliegenden Bayreuth-Sommern verkörpert hat. In den dramatischen Teilen hat der schlanke Tenor merklich etwas zugelegt, und seine klaren, tragenden Piani becircen nicht nur das weibliche Publikum. Am Ende wird Vogt mit Standing Ovations noch heftiger gefeiert als sein Vorgänger Jonas Kaufmann.
Neu besetzt ist die Partie des Telramund mit Tómas Tómasson: ein schlanker Ehrenmann und ein wohltönend sympathischer Typ, der Ortrud in einer Machtwahn-Beziehung verfallen ist, so wie Elsa der Ortrud in einer komplexen, lesbischen Hassliebe stark verbunden ist. Telramunds Unisono-Gesang mit Ortrud erwächst aus einem langen, gemeinsamen Kuss. Tómasson erweist sich als ein weiterer Pluspunkt dieser Produktion.

Eindrucksvoll bleibt Samuel Youn als kraftvoller Heerrufer und hinreißend Georg Zeppenfeld als fallsüchtiger, in der politisch unsicheren Situation sichtlich leidender König Heinrich, –dramaturgisch antizipierend den Bogen schlagend zu Amfortas. Die durchwegs beeindruckenden sängerischen und darstellerischen Leistungen sind umrahmt von einem gleichfalls darstellerisch leistungsstarken, prachtvoll singenden Festspielchor (einstudiert von Eberhard Friedrich).

Nach dem Attentatversuch einer der Ratten am König, gab es im Publikum einen schrillen Buhruf einer Dame, der sich später noch wiederholte. Aber Einigkeit herrschte bei den Besuchern über eine zumindest musikalische Sternstunde, die am Ende mit Trampeln, einhelligem Jubel und mit Standing Ovations für den Tenor ihren Abschluss fand. Nur beim Applaus für Hans Neuenfels und seinen Ausstatter Reinhard von der Thannen hielten sich Bravo- und Buhrufe die Waage – der nunmehr siebzigjährige Regisseur genießt es lachend und ins Publikum winkend.

Weitere Aufführungen: 2., 8. 14., 20. und 26. August 2011

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