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Aufklärungsarbeiter: Günter Baby Sommer. Foto: Michael Ernst
Aufklärungsarbeiter: Günter Baby Sommer. Foto: Michael Ernst
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„Songs for Kommeno“: Günter Baby Sommer im Gespräch über eine griechisch-deutsche Begegnung im Geiste der Musik und der Erinnerung

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Bislang war Griechenland vor allem mit Antike und Traumurlaub verbunden. Derzeit ist ausgerechnet die Wiege von Europa nur noch im Zusammenhang mit der Euro-Krise im Gespräch. Gibt es keine anderen Themen? Doch, gibt es. Der 1943 in Dresden geborene Jazzmusiker Günter Baby Sommer hat eines entdeckt, das ihn nicht mehr loslässt. Es hat mit der dunkelsten Vergangenheit Deutschlands zu tun.

Genau neun Tage vor seinem Geburtstag – Zufälle sind Zufälle, können aber auch ziemlich perfide sein – erfolgte in einem griechischen Dorf namens Kommeno ein Massaker der deutschen Wehrmacht, dem 317 Menschen zum Opfer fielen. Orte wie Babi Jar, Guernica, Lidice, Kefalonia, Malmedy, Monte Cassino, Oradour und Treblinka sind für die Verbrechen der Wehrmacht bekannt. Kommeno kennt kaum jemand. Der Schlagzeuger Sommer will das ändern und wird am 16. August, auf den Tag genau 69 Jahre nach diesem mörderischen Massaker, seine „Songs for Kommeno“ uraufführen. Michael Ernst befragte ihn vorab zu diesem Projekt:

Kommeno kennt fast niemand. Wie haben Sie von diesem Ort und seiner Geschichte erfahren?

Das geht auf ein Perkussionsfestival im Jahr 2008 zurück. Ein mir bekannter Musiker aus Griechenland war mit der Organisation dieses Festivals beauftragt und hatte mich eingeladen. Den Auftrag dazu hatte er durch den Bürgermeister von Kommeno erhalten. Der wollte damit sein Dorf aus der Vergessenheit reißen und an ein kaum bekanntes Massaker erinnern, das Angehörige der deutschen Wehrmacht dort am 16. August 1943 verübt hatten.
Man muss dazu wissen, Kommeno liegt abseits der großen Touristenrouten und ist wahrscheinlich dadurch mit seiner Geschichte wie unter einer Glocke geblieben. Als ich ankam, hat mich dieser Bürgermeister gefragt, ob ich denn die Historie seines Dorfes kenne. Da ich verneinte, hat er mich aufgeklärt: 317 Menschen, vom Kleinstkind bis zum Greis, einschließlich einer Hochzeitsgesellschaft, sind damals grausam massakriert worden.Als ich das hörte, wollte ich sofort abreisen und das Konzert absagen. Aber gleich darauf hat ein Sinneswandel bei mir eingesetzt. Ich musste mich dieser Situation stellen und habe vor dem Konzert eine kurze Rede gehalten. Darin habe ich den Menschen von Kommeno gesagt, dass es absolut richtig ist, dieses Datum nie zu vergessen. Deshalb wollte ich mein Konzert mit einem Stück „in memoriam“ an dieses Massaker beginnen.

Beredtes Schweigen

Jetzt werden Sie dort die „Songs for Kommeno“ uraufführen. Wann reifte der Entschluss dazu?

Ganz spontan kam das schon in dem damaligen Konzert. Begonnen hatte ich ohne Schlagzeug, nur mit meinen Röhrenglocken. Mir fiel auf, wie ergriffen die Leute davon waren. Erst später erfuhr ich, dass diese Musik sie an die Glocke ihrer zerstörten Kirche erinnert hatte, die nie wieder erklang. Und auch das letzte Stück, das ich den Kindern von Kommeno widmete, hat die Menschen so sehr berührt, dass ich ihnen von der Bühne herab versprach, etwas zu tun, um dieses Massaker bekannt zu machen. Ich kenne so viele Menschen, die Griechenland lieben und sehr oft besuchen. Aber sie alle haben nie von Kommeno und dieser schrecklichen Geschichte gehört. Das wollte ich ändern.
Und auch ich selbst war verändert. Eigentlich sollte ich ja am nächsten Tag abreisen. Aber das ging nicht. Ich bin eine ganze Woche geblieben, der Bürgermeister hat mich von einem Haus zum nächsten geführt und mich mit mehreren Überlebenden dieses Massakers zusammengebracht. Unter anderem habe ich einen alten Mann kennengelernt, der nur überlebt hat, weil er als kleiner Junge morgens um vier von seinem Vater zu den Tieren hinausgeschickt wurde. Früh um fünf kamen die Deutschen.
Oder eine alte Frau, die damals als Zehnjährige zufällig im Nachbardorf gewesen ist. Das Treffen mit ihr war eine Begegnung der besonderen Art: Wir saßen uns etwa zwanzig Minuten schweigend gegenüber, sie war ganz in Schwarz gekleidet und musterte mich mit strengem Blick, ohne ein Wort zu sagen. Ich glaubte, hinter ihrer Stirn den Film ablaufen zu sehen – das ist ein Deutscher, dessen Leute haben meine Familie umgebracht.
Der Bürgermeister hat mich auch zu einem Haus gebracht, das mit einer Kette verschlossen war. Man hatte damals nur die Leichen herausgetragen und das Haus nie wieder betreten. Die Atmosphäre in diesen seit 65 Jahren nicht veränderten Räumen zu spüren, das ist einfach unbeschreiblich. Genauso der Ort, wo eine ganze Hochzeitsgesellschaft bestialisch hingemetzelt wurde, dafür gibt es keine Worte.
Nachdem ich während dieser Woche eine Art Klagemauer für die Menschen war, bin ich irgendwann abgereist und habe überlegt, wie ich mein Versprechen einlösen kann, etwas für Kommeno zu tun.

Was waren Ihre ersten Gedanken angesichts dieser Geschichte?

Mein erster Gedanke war, hier kann ich nicht bleiben. Ich war so betroffen und habe mich als Vertreter der Täternation derart geschämt, dass ich mich dieser Situation gegenüber machtlos fühlte. Alle Worte der Entschuldigung kamen mir in der Relation zu dem Geschehenen geradezu lächerlich vor.

Daraus entwickelten sich die „Songs for Kommeno“?

Ich bin im nächsten Jahr wieder hingefahren, da wusste ich schon, dass ich ein künstlerisches Projekt schaffen will, das diesem Dorf, seiner Geschichte und seinen Einwohnern gewidmet ist.
Beim zweiten Besuch gab es bereits eine andere Situation in Kommeno. Die Menschen dort haben mich anders empfangen als im Jahr zuvor. Sie waren viel offener, als hätten sie inzwischen realisiert, dass es eben auch die anderen Deutschen gibt. Jene, die nichts mit den Verbrechen von damals zu tun haben, aber dennoch davon berührt sind. Im dritten Jahr wagte ich schon ein Stück Völkerverbindung und kam mit meiner italienischen Gruppe nach Kommeno. Italien war unter Mussolini ja mit den deutschen Nazis verbündet, die Griechen hatten also unter beiden gelitten. Aber ich wusste, für mein Projekt musste ich Musiker aus Griechenland finden. Vielleicht mit Material aus Partisanenliedern jener Zeit. Doch als ich begriff, dass es zwei verschiedene, einander stark konkurrierende Partisanenbewegungen gab, gab ich diese Idee auf. Außerdem war das meiste sehr kämpferisch und martialisch.
Statt dessen habe ich an die Kinder gedacht und einen „Children's Song“ geschrieben. Und bei einem weiteren Besuch dieser alten Frau, Maria Labri, habe ich sie dazu bewegen können, mir ein Miroloi zu singen, ein Klagelied, mit dem die Toten beklagt werden. Das war nicht einfach, denn es bedeutete ja eine enorme seelische Anspannung für sie, all das Geschehene wieder aufzuwühlen. Sie hat es mir aber tatsächlich gesungen und darin die Geschichte des Massakers erzählt. Ich durfte das aufnehmen und habe es in den „Songs“ mit verarbeitet. Je mehr ich mich damit beschäftigt habe, umso mehr Bezüge entwickelten sich zu „Marias Miroloi“ dann auch musikalisch in meinem Material.

Seitdem sind Sie jährlich nach Kommeno gereist?

Eigentlich wollte ich das nicht. Aber der Bürgermeister überredete mich zu weiteren Besuchen. Zu meiner großen Überraschung wurde mir dann vor zwei Jahren im Beisein von Abgeordneten des griechischen Parlaments, Vertretern der deutschen und der russischen Botschaft sowie der polnischen Militärmission die Ehrenbürgerschaft dieses Dorfes angetragen. Das wahr schon sehr berührend.
Nach meiner Dankesrede kam der Vertreter der deutschen Botschaft zu mir und meinte, dass er als Beamter nie so bewegende und offene Worte gefunden hätte. Aber all die Dinge, die ich im Laufe der Zeit von den Einwohnern und insbesondere von Maria Labri erfahren habe, haben mich eben auch zu einem Betroffenen gemacht. Das ist quasi die Nahrung, die mich zu diesem Projekt beflügelt.

Neben der Aufnahme von Maria Labri wirken in den „Songs for Kommeno“ vier griechische Musiker mit, wie haben Sie die gefunden?

Der Finger in der Wunde

Das ist zum einen der Saxofonist und Klarinettist Floros Floridis, den ich schon in den 1990er Jahren bei einem Gastspiel in Griechenland kennengelernt hatte. Wir waren damals wie Pioniere, die in diesem Bouzouki-Land die ersten Versuche frei improvisierter Musik wagten. Er und der Pianist Sakis Papadimitriou waren so gut wie die einzigen, die schon ein Ohr dafür hatten.
Die Verbindung riss über die Jahre nicht ab. Nach dem Modell meiner „French Connection“ und meiner „Italian Connection“ gab es dann auch die „Baby Sommer Greek Connection“ mit Floros Floridis und dem Bassisten Spilios Kastanis. Jetzt kommt noch die sehr bekannte Sängerin Savina Yannatou hinzu, die mit ihren sephardischen Liedern sowieso sehr emotionsgeladen und zugleich aufgeschlossen für moderne Musik ist. Und mit Evgenios Voulgaris fanden wir einen Musiker, der die für den typischen Klang notwendigen Instrumente wie Yayli Tanbur und Oud spielt. Mit diesem Quartett ist die CD „Songs for Kommeno“ eingespielt worden und wird nun auch die Uraufführung stattfinden.

Wie haben die griechischen Musiker auf diese Thematik reagiert?

Anfangs sehr skeptisch. Das Projekt war ihnen wohl zu politisch mit meinem ständigen Wiedergutmachungsaspekt. Man muss bedenken, durch Leute wie Theodorakis und andere wird das Politisieren von Musik in Griechenland heute ziemlich beargwöhnt. Erst als ich ihnen bewusst machen konnte, dass unser Projekt zwar Kommeno gewidmet ist, darüber hinaus aber die Verbrechen aller Kriege anklagt, sei es im einstigen Jugoslawien, in Afrika oder jetzt in Syrien, konnte ich meine Musiker überzeugen und hatte sie dann im Boot. Denn Krieg hat immer eine Nähe zu krimineller Energie.
Zu meiner großen Überraschung haben übrigens die Bundeskulturstiftung und die Bundeszentrale für politische Bildung sofort einer Unterstützung dieses vom Dresdner Jazzclub Tonne getragenen Projekts zugestimmt. Die waren regelrecht begeistert, dass hier mal keine Kopfgeburt, sondern eine wirkliche Handreichung realisiert werden soll. Gerade angesichts der momentanen politischen Spannungen zwischen Deutschland und Griechenland scheint das immens wichtig zu sein.
Auch die Kulturstiftung des Freistaats Sachsen hat sofort zugesagt, ein späteres Konzert der „Songs for Kommeno“ in Dresden zu fördern.

Welche Botschaft soll von den „Songs for Kommeno“ ausgehen?

Wir Musiker können politische Dinge nicht beeinflussen. Aber all die Missstände unserer Mutter Erde nehmen wir wahr. Und wenn ich höre, dass Menschen in Nigeria hingerichtet werden, nur weil sie ihre Heimat nicht durch fremd vergebene Schürfrechte vernichten lassen wollen, muss ich halt nicht mehr bei Shell tanken.
Ich versuche, aufmerksam zu sein. Als Jazzmusiker habe ich den Vorteil, dass ich mich zu bestimmten Nachrichten, die mich empören, relativ schnell ins Benehmen setzen kann. Dinge, die in unserer schnelllebigen Zeit nicht vergessen werden sollen, kann ich im Konzert zumindest benennen, den Finger also in die Wunde legen. Das ist die Aufklärungsarbeit, die ich gern leisten möchte. Nicht im juristischen, sondern im ethisch-moralischen Sinn.
Es sollte doch möglich sein, dass sich die Zahl jener Menschen erhöht, die bei Verbrechen einfach nicht mehr mitmachen.

Termine: 16.8. Kommeno (Uraufführung), 2.11. Jazzfest Berlin, 4.11. Zürich, Rote Fabrik, 5.11. Wien, Jazz & Musicclub Porgy & Bess, im April 2013 Dresden, Jazzclub Tonne
CD „Songs for Kommeno“, Intakt Records, Best.-Nr. 2922356

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