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Koblenz: Junho Lee als neureicher Inflationsgewinnler von Zecke im Strahlenkranz. Foto: Matthias Baus.
Koblenz: Junho Lee als neureicher Inflationsgewinnler von Zecke im Strahlenkranz. Foto: Matthias Baus.
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Søren Nils Eichbergs Oper „Wolf unter Wölfen“ in Koblenz uraufgeführt

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Dass die 1920er Jahre in Deutschland wieder stärker in den Blick rücken, verdankt sich nicht nur dem Blick auf die neue Jahreszahl 2020, sondern auch einem gewachsenen Interesse an einem Jahrzehnt permanenter Krise, aber auch enormer künstlerischer Blüte. Beide Facetten zeigt auch die neueste Oper des Komponisten Søren Nils Eichberg, die noch im alten Jahr als Auftragswerk des Theaters Koblenz unter der Regie von Waltraud Lehner ihre Uraufführung erlebte.

Intendant Markus Dietze hatte sich eine Literaturoper mit historischem Hintergrund gewünscht. Eichberg und sein bühnenerfahrener Librettist John von Düffel entschieden sich für „Wolf unter Wölfen“, eine Adaption von Hans Falladas gleichnamigen Roman.

Fallada schrieb den zweibändigen Roman 1937; er erschien noch im selben Jahr im Verlag Rowohlt, dessen liberale Tradition den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war, fand aber selbst in deren Lager begeisterte Leser. Fallada legte ein packendes Gesellschaftsporträt aus dem Jahr 1923 vor. Damals hatte die Krise der 1919 begründeten Weimarer Republik mit der steigenden Hyper-Inflation und der wachsenden Bedrohung von rechts ihren Höhepunkt erreicht, bis es einer neuen Reichsregierung unter Gustav Stresemann gelang, Wirtschaft und Politik vorläufig wieder zu stabilisieren. Fallada sparte die politische Ebene aus und konzentrierte sich in der realistischen Tradition der neuen Sachlichkeit auf den Existenzkampf eines jungen Paares in Berlin, den er mit den Schicksalen zahlreicher Nebenfiguren verwob. In einer Welt, in der jeder sich selbst der Nächste ist, versucht der stellungslose Ex-Soldat Wolfgang Pagel, sich und seine Freundin Petra Ledig mit Erfolg beim Glücksspiel durchs Leben zu bringen. Der Titel des Buches, „Wolf unter Wölfen“, spielt auf den Vornamen des Protagonisten an, aber auch auf die Sentenz des römischen Komödiendichters Plautus, der Mensch sei dem Menschen ein Wolf, sofern er ihn nicht kenne. Der englische Aufklärungsphilosoph Thomas Hobbes zitierte ihn später, um den negativen Gesellschaftszustandes eines „Krieges aller gegen alle“ zu beschreiben. Librettist John von Düffel sieht, wie er im Programmheft-Interview sagt, durchaus Parallelen zur heutigen Werte-, Finanz- und Demokratiekrise.

Einen Roman von gut 1300 Seiten auf ein Opernszenario von knapp zwei Stunden (ohne Pause) zu bringen, ist eine gewaltige Herausforderung. Eichberg und von Düffel versuchen das Geschehen auf einige Schlüsselszenen zu reduzieren: Die Berliner Friedrichstraße („Drogenstrich, Schwarzmarkt, Fleischmarkt“), das illegale Spielcasino, die armselige Absteige bei Frau Thumann, in der Wolf mit seiner Freundin haust, die Wohnung der großbürgerlichen gesinnten Mutter, das luxuriöse Anwesen des zwielichtigen Militärkameraden von Zecke und das Gut Neulohe, wohin Wolf zwischenzeitlich seinen einstigen Vorgesetzten von Prackwitz und Studmann folgt. Das Publikum erlebt dabei eine treffende Mischung von blanker Not und neureicher Protzerei, von Ausschweifung und Treue, von unersättlicher Lebensgier und stillem Sich-Fügen, von deutlicher Sehnsucht nach den alten Zeiten und diffuser Aufbruchsstimmung nach rechts. (Nur die politische Linke fehlt, der Vorlage gemäß.) Anders als von Wolf erwartet, entpuppt sich das Landleben nicht als die heile Gegenwelt zum „Babylon Berlin“, sondern er gerät dort mitten hinein in familiäre Intrigen. (Die politischen Intrigen aus dem Roman spart die Oper aus.).

Zusammengehalten wird die revueartige Szenenfolge durch die Figur eines zwielichtigen Conferenciers (Marcel Hoffmann), der stark an John Kanders Musical „Cabaret“ erinnert. In leicht marktschreierischem Sprechgesang leitet er über von Szene zu Szene und nimmt zwischendurch auch die eine oder andere Rolle an. Dramaturgisch ergibt sich das Problem, dass die Beziehung zwischen Wolf (Tobias Haaks) und Petra (Danielle Rohr) nicht wirklich glaubhaft wird; anfangs bittet sie, die aus Not auf den Strich gegangen ist, mitgehen zu dürfen und beteuert, sie sei nicht verliebt; wenig später wollen die beiden schon heiraten. Dagegen werden die familiären Verwicklungen im Hause Prackwitz sehr wohl deutlich. Von Prackwitz (Christoph Plessers) verbeißt sich in die Vergangenheit, Studmann (Mark Bowman-Hester) versucht, Ordnung in die Bücher zu bringen, Pagel tut, was man ihm aufträgt, und die attraktive Eva von Prackwitz (Theresa Dittmar) verdreht allen den Kopf. Mit ihren Zerbinetta-artigen Koloraturen, die von unerfüllter Lebens- und Liebeslust künden, gewinnt sie das stärkste individuelle Profil. Vermieterin Thumann und Pagels Mutter (Monica Mascus in einer Doppelrolle) und der alte Freund von Zecke (Junho Lee) wirken dagegen wie bloße Abziehbilder. Merkwürdig durchwachsen erscheint die sprachliche Ebene: Leichtfüßige Chronistenverse wechseln mit gestelzten Opernsentenzen, zwischen die Berliner Schnauze, vornehm französisches Getue und militärischer Kommandoton gesetzt werden. Man weiß nicht so recht: Betreibt die Oper jetzt Reportage oder Kolportage oder bedient sie bloß unsere Klischees der 20er Jahre? Mit dem Inflationsgewinnler von Zecke im Strahlenkranz, dem Conferencier als Totenskelett oder einem schwarzgeflügelten menschlichen Darsteller für einen durch von Prackwitz erschossenen Gänserich überhohen die Kostümbildnerinnen Dorothee Brodrück und Eva Martin die prinzipiell realistische Handlung sogar stark ins Symbolische.

Musikalisch gelingt die Milieuschilderung recht gut: In den Berlin-Szenen gibt es zahlreiche Anklänge an die Unterhaltungsmusik der 20er Jahre, aber auch an die Jugendbewegung und die Marschmusik der paramilitärischen Truppen, die seit 1919 durch die Straßen zogen und die Machtübernahme von rechts ersehnten. Der Komponist zitiert sogar die Melodie der Textzeile „Denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ aus Hans Baumanns Lied „Es zittern die morschen Knochen“. Die Schauplätze und Situationen gehen aber collagenartig ineinander über, ohne die szenische Spannung zu verdichten oder zu entlasten. Daraus resultieren zahlreiche abrupte Übergänge, die durch die raschen Szenenwechsel der gut funktionierenden Bühnentechnik eher noch verschärft werden. Ulrich Frommholds Bühnenbild arbeitet mit einer zweiteiligen, verfallen wirkenden Fensterfront, deren Anordnung von Szene zu Szene wechselt. Zusätzlich zieht er für den Kontrast zwischen Stadt und Land eine zweite Ebene ein. (Das Vorbild der Fensterfront findet sich im ehemaligen Sanatorium Hohenlychen, in dem sich Fallada 1938/39 seiner Alkohol-und Morphinsucht wegen aufhielt.) Breiten Raum im Ablauf nehmen die Glücksspielszenen ein, in den ein kreisendes musikalisches Motiv die Roulettekugel symbolisiert. Hier baut sich zum Ende hin eine starke Spannung auf, als Wolf wider Erwarten mehrfach hintereinander Erfolg hat - nur um den Riesengewinn dann wieder in einer Polizei-Razzia einzubüßen. Dramaturgisch am stärksten wirken die eher kammermusikalischen Szenen auf dem Land, in denen sich die vermeintliche heile Welt als falsch entpuppt. Unter Leitung des erfahrenen Theaterdirigenten Karsten Huschke liefern Ensemble, Opernchor und das Staatsorchester Rheinische Philharmonie ein stimmiges musikalisches Zeitbild. Kann man hier – wie bei Alfred Schnittke – von Polystilistik sprechen? Tonfall und Ästhetik der 1920er Jahre, denen der Nationalsozialismus ein Ende machte, erweisen sich nach bald 100 Jahren wieder als anschlussfähig.

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