Spielerischer Märchenzauber – Augsburgs Oper bietet Humperdincks „Hänsel und Gretel“ als zeitloses Allzweck-Musiktheater
Da wuchern zwar vor dem Vorhang schwarze Äste von oben, links und rechts ins Bühnengeviert, doch insgesamt bieten Bühnenbildner Simon Holdsworth und Kostümbildnerin Dietlind Konold keinen märchenhaften Schrecken, sondern nur weitgehend Nettes. Die Armut der Besenbinder-Familie ist trotz Wohnwagen-Enge eher pittoresk. Der stilisierte Wald hinter dem schwarzen Geäst rankt sich auf der Bühne zu barocken Medaillon-Rahmen, in denen mal Sonne, mal Mond malerisch strahlen; die hereinfahrenden übergroßen Venusfallen verbreiten kaum Schrecken; zum „Abendsegen“-Traum kommen erfreulicherweise keine Engel, vielmehr inszeniert eine später als todschickes Taumännchen wiederkehrende gestylte Lady ein „Traum-Festmahl samt Weihnachtsbaum“ mit Köchen, Serviermädchen und Hotel-Boys für die schlafenden Kinder; das aus vier knallbunten Pilzen gebildete „Knusperhäuschen“ könnte aus Disney-Land stammen und provoziert einen umständlichen Umbau in eine übergroße Backstraße – an der sich die nette alte Dame in einen hässlich androgynen „Hexerich“ verwandelt; dessen Doubles sausen dann hinten - wie vielfach gehabt - aus dem Pilz-Schornstein und an Seilen quer durch den Bühnenraum… Regisseur Aron Stiehl zeigt zwar auch Feingefühl – etwa wenn sich die oft rangelnden Geschwister nachts im Wald dann ganz liebevoll wechselseitig mit ihren Jacken zudecken – aber im Umfeld der Hexe wird leider doch mit Süßigkeiten und Essbarem rumgespielt, geworfen, gemanscht – und alle gerade heute und hierzulande angebrachte Ehrfurcht vor „Essen“ unterlaufen. Rein Spielplan-strategisch hat das Augsburger Theater damit eine „Allzweck-Aufführung“ auch für die Jahre in der Kongresshalle, während der kommenden aufwändigen Total-Renovierung des Großen Hauses.
So blieb einzig die Freude am musikalischen Niveau fast ungetrübt. Dirigent Fuhry hielt den Gesamtklang immer wieder schlank und sängerfreundlich, fern von allem nach-wagnerianischem Schwitzen und Bombast. Wenn Irmgard Vilsmaier als Mutter ihre Textverständlichkeit verbessert und etwas weniger keift, wäre nur zu loben: Der Kinderchor Augustana war ganz „ernst“ beim „großen Auftritt“ dabei; dazu der bodenständige Vater-Bariton von Dong-Hwan Lee und Samantha Gauls glockenreiner „Männchen“-Sopran; der schon an Zwerg Mimes Irrwitz in Wagners „Siegfried“ erinnernde Charaktertenor von Christopher Busiettas Hexerich. Zu Recht Jubel ernteten Stephanie Hampl und Cathrin Lange in den Titelrollen: bestechend „jugendliche“ Bühnenerscheinungen wie Körpersprache und zwei strahlende Stimmen… mit ihnen allen wäre eine anspruchsvollere Märchendeutung für Hier und Heute möglich gewesen.
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