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 Das Freiburger Barockorchester. Foto: © Annelies van der Vegt
Das Freiburger Barockorchester. Foto: © Annelies van der Vegt
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Strukturelle Skulpturen – Kristian Bezuidenhout spielt mit dem Freiburger Barockorchester alle Klavierkonzerte Beethovens

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Hat die Musik Ludwig van Beethovens etwas mit der französischen Revolution zu tun? Natürlich, das wissen wir und das kriegen wir auch nahezu immer zu hören. Dass es aber auch eine ganz andere Seite dieses rebellierenden Komponisten geben kann, das haben wir jetzt in zwei vollkommen ausverkauften sensationellen Konzerten vom Freiburger Barockorchester in Freiburg erfahren.

Dieses Orchester, schon vor dreißig Jahren von StudentInnen gegründet, liefert in Bezug auf Barock, Klassik und frühe Romantik durchgehend aufsehenerregende Interpretationen auf der Basis der historischen Aufführungspraxis. Der neue künstlerische Leiter, nach Petra Müllejans, ist der in London lebende südafrikanische Pianist Kristian Bezuidenhout und der – obschon seit Jahren eng liiert mit dem Orchester – ließ es sich nicht nehmen, sich mit der Interpretation aller Klavierkonzerte von Beethoven als Pianist noch einmal gründlich vorzustellen. Der 1979 geborene Pianist hat sich schon früh der historischen Aufführungspraxis verschrieben, seine Mozart-Aufnahmen erhielten den Preis der Deutschen Schallplattenkritik.

Gravierend für die Wiedergabe der zwischen 1801 und 1813 in Wien mit dem Solisten Beethoven (mit Ausnahme des fünften Konzertes) erfolgreich aufgeführten Konzerte war in Freiburg neben den historischen Orchesterinstrumenten die Wahl des Tasteninstrumentes. Zwar hat Beethoven, der mit einem unerhörten Anspruch nach Wien gekommen war, anhaltend über die Unzulänglichkeit der Instrumente geschimpft (der Steinwayflügel war erst um 1850 fertig), aber geschrieben hat er natürlich für sie: die Freiburger wählten zwei Hammerflügel von Conrad Graf, einen Nachbau von 1822 und ein Original von 1826. Die Instrumente unterstützten die Auffassung von Bezuidenhout und dem Orchester unter der Leitung von Pablo Heras-Casado bestens. Denn von virtuosem Glanz, von titanenhafter Pracht, von tobender Einmischung des Solisten konnte keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Bezuidenhout holte alles aus der Stille, in der er wie im Eingang des vierten Konzertes die Zeit einfach stehen lässt, die dann mit unglaublich herben und spröden Orchesterschlägen beantwortet wird. Er holt in diesem Sinne alles aus dem poetischen Dialog, sogar die grandios leere, meist pompös gespielte Arpeggienkadenz als Eingang des fünften Konzertes wirkte nachdenklich und zaghaft. Die Instrumente schienen drei Register zu haben: silbrige Fäden in der Sopranlage, metallische Klarheit in der Mittellage und schlagzeugähnliche Wirkungen im Bass. Das erlaubte eine Menge und einen Zauber an Klangfarben, die einen nie so gehörten kammermusikalischen Beziehungsreichtum aller Instrumente offenlegten.

Die zusammen mit dem Orchester erreichte Mischung aus zarten, kleinen strukturellen Skulpturen und außerordentlich in die Tiefe gehender, oft melancholischer Atmosphären war ein völlig anderer Beethoven, einer der in sich gehenden Meditation. Die wuchtigen Stellen, die der moderne Flügel dem Orchester entgegenschleudern kann, hatten bei Bezuidenhout auch durch eine extrem klare und saubere Artikulation eine ganz andere Kraft.

Gelobt werden könnte noch viel: die Ebenmässigkeit der chromatischen Läufe, das kantable Legato, die Art, wie eine neue Solostelle nicht nur neue Setzung ist, sondern auch Reflexion des Vergangenen, gerade Gehörten – natürlich immer auch in verzauberndem Einklang mit der Eigenständigkeit der OrchestersolistInnen. Irgendwie war alles Wunder an diesen beiden Abenden, an denen der Raum für das Heroische eher den Ouvertüren „Prometheus“ und „Coriolan“ überlassen wurde. Der Beifall: spontane Erhebung aller von den Sitzen. Meines Wissens ist die zuvor auf CD gebannte Aufführung die erste und einzige nach der epochemachenden Edition von Steven Lubin mit der Academy of Ancient Music (Christopher Hogwood) aus dem Jahr 1988.

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