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Statisterie der Komischen Oper Berlin. Hinter dem Screen: Scott Hendricks (M). Foto: Monika Rittershaus.
Statisterie der Komischen Oper Berlin. Hinter dem Screen: Scott Hendricks (M). Foto: Monika Rittershaus.
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Szenisches Surround-Hörspiel – Uraufführung von Moritz Eggerts „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ an der Komischen Oper Berlin

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Vor mehr als 100 Jahren orientierte sich das damals neue Genre Film am Theater; seit gut einem Vierteljahrhundert ist es umgekehrt, die Bühne folgt ästhetisch und inhaltlich gerne dem Film und transportiert sogar komplette Film-Inhalte auf die Bühne, das Musiktheater folgt diesem Trend. Jüngstes Ergebnis ist Moritz Eggerts Oper „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ nach dem gleichnamigen Filmklassiker von Fritz Lang. Gemeinsam mit seinem Dramaturgen Ulrich Lenz zeichnet Barrie Kosky für das Libretto verantwortlich und inszenierte nun die Uraufführung dieser Oper für nur einen Solisten und zahlreiche Kinder(chöre) an der Komischen Oper Berlin. Peter P. Pachl hat die Uraufführung besucht.

Der Hinweis auf die filmische Struktur begegnet dem Publikum, sobald es das Auditorium betritt – als Aufbau auf der offenen, von weißem Proszeniumsrahmen umfassten Portal der Bühne in der Ausstattung von Klaus Grünberg und Anne Kuhn. Dass Spiel und Musik beginnen, während der Zuschauerraum noch hell erleuchtet ist, weist darauf hin, dass wir uns – wie historisch der Film – ungenannt in jener Stadt befinden, welcher die Suche nach einem Kinder-Schänder und -Serienmörder in Atem hält.

Während Peter Lorre als „M“ im Film des Jahres 1931 im Wesentlichen nur in der Schlussszene verbal zu erleben ist, konzentriert sich die Bühnenaufführung gesanglich von Anfang an auf den Mörder. Um ein Bild der Zeit der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre zu evozieren, singt er Gedichte von Walter Mehring und tradierte Kinderlieder. Diese werden im ersten Teil des Abends jeweils von einem Kind angekündigt („Nun singt der Mörder die Arie…“ – und die erweist sich dann tatsächlich als eine klassische Da-capo-Arie). Das verweist strukturell auf das Theater von Bert Brecht.

Surroundklang

Weitere Verfremdung erfolgt durch ziehharmonikaähnliche Häuserfronten, die auf dem erhabenen Podest zwergenhaft von links nach rechts vorüberziehen und Kinder, die mit realistisch gearbeiteten Schwellköpfen als eine zwergenhaft dümmliche Gesellschaft von Erwachsenen stumm gestikulieren, wozu die Stimmen dieser Personen (Bürger, Polizei, Verbrecher) von Schauspielstudierenden der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin aus dem Off ertönen. Alle Stimmen, auch der laut keuchende und hechelnde Bariton Scott Hendricks in der Titelrolle, sowie alle Instrumente (Streicher, Holz und Blech, Schlagzeug mit Drumset, E-Gitarre, Keyboards, Akkordeon und Leierkasten) – ertönen durchgehend verstärkt als Surroundklang. So erhält die Aufführung ungewollt einen Touch von Konserve. Mit einem Synthesizer-Thema, das offenbar für das Gefangensein steht, springt M in ein von ihm mit Kreide auf den Boden gemaltes Karree, und auch der komplette, von Dagmar Fiebich einstudierte Kinderchor wird später eine Szene gleichermaßen mit Sprüngen ausfüllen. Ein weiteres Thema gemahnt an Frank Loessers „Wunderful Copenhagen“. Andere Melodien betonen die Nähe zu Kurt Weill. Das Motiv aus Griegs „In der Halle des Bergkönigs“, mit welchem sich der Mörder im Film verrät, erklingt auch in der Oper.

Die Partitur von Moritz Eggert ist durchwegs tonal und kann über breite Strecken hin als ein Kindermusical durchgehen. Sie mischt Jazzelemente mit Sphärenklängen und realistischem Straßenlärm. Neben Autohupen finden sich auch artifizielle Momente, wie das Flattern eines mit Spielkarten bestückten Fahrrades. Eggerts so vollzogene Hommage an Edmund Meisels Partitur „Berlin – Symphonie der Großstadt“ wirkt insgesamt wie ein Hörspiel.

Während Fritz Lang in seinem Film eine präfaschistische Gesellschaft umreißt, die derartige Opfer und einen solchen Täter benötigt, ist es in der Musiktheater-Nachschöpfung das organisierte Verbrechen, welches den ihre Geschäfte störenden, nicht dazugehörenden Mörder jagt und zur Strecke bringt. Die überall als Spitzel eingesetzten Bettler spannen darüber hinaus den Bogen zur Pepuschs „Beggars Opera“.

Mit Könnerschaft hat Barrie Kosky Eggerts Nummernabfolge bebildert, und Kathrin Kath hat die Straßenkinder in pretiöse Stoffe gehüllt, dem Mörder in einer Szene hingegen ein rotes Kinderhemdchen übergezogen.

Das Psychogramm des Kinderschänders mit obligatorischen Luftballons erinnert allerdings stark daran, dass vor knapp anderthalb Jahren an diesem Haus der Regisseur Calixto Bieito die männliche Hauptpartie in Franz Schrekers „Die Gezeichneten“ ebenfalls auf die Frage der Kindesverführung reduziert hatte. Auch Alviano endet ja, wie M, im Wahnsinn. Damals war der Kompositionsauftrag für „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ sicherlich bereits erteilt worden…

Zu den musikalisch eindrucksstärksten Momenten zählen die solistisch hereinwehenden Gesänge des Tenors Tansel Alzeybek und insbesondere die Off-Gesänge der Sopranistin Alma Sadé.

Gleichwohl entbehrt der pausenlose Einakter nicht einiger Redundanz. Im Gegensatz zum Film erscheint die Handlung oft arg strapaziert, in die Länge gezogen. Hauptgrund hierfür ist offenbar eine political correctness. Laut Ankündigung durch die Komische Oper soll es nämlich offen bleiben, ob der – wie im Film durch ein Kreide-„M“ auf dem Rücken stigmatisierte – Handlungsträger schuldig oder unschuldig ist, denn auf der Opernbühne erlebt er diese Geschichte möglicherweise nur „in seinem Kopf“. Die szenische Umsetzung ist bemüht, den Täter im Verlauf der Handlung immer stärker als Opfer erscheinen zu lassen, den Serienmörder „letztlich [als] Opfer seiner krankhaften Triebe“ zu zeichnen. Das nimmt der Handlung einiges an Durchschlagskraft und Spannung. Seitens des Publikums gab es für die neue Oper keinerlei hörbaren Widerspruch. 

Gefeiert wurden der sich oft auf den Knien und inmitten eines Absturzgitters wie in einem Ställchen bewegende Scott Hendricks als M, der Mörder, die beiden Solist*innen der Komischen Oper und die des Opernstudios sowie des Vocalconsorts Berlin.

Insbesondere erntete jedoch der Schar der etwa 90 auf der Szene stumm agierenden und die hinter und auf der Bühne mehrstimmig singenden Kinder viel Zuspruch.

  • Weitere Aufführungen: 11. und 24. 5., 9., 22. und 26. 6. 2019.

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