Hauptbild
Miriam Neumaier als Roxie (Mitte), Randy Diamond als Billy Flynn (rechts) und Ensemble in „Chicago“ am Theater Regensburg. Foto: Jochen Quast
Miriam Neumaier als Roxie (Mitte), Randy Diamond als Billy Flynn (rechts) und Ensemble in „Chicago“ am Theater Regensburg. Foto: Jochen Quast
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Teutonischer Sex-Appeal, szenisch-tänzerische Klasse: „Chicago“ am Theater Regensburg

Publikationsdatum
Body

Vier lange Jahre hat Operndirektorin Christina Schmidt warten müssen, bis sie endlich das Kander/Ebb/Fosse-Musical „Chicago“ auf die Regensburger Bühne bringen konnte. Ihre Inszenierung wurde ein Riesenerfolg für Regieteam und Ensemble.

Auf welch hohem szenisch-tänzerischen Niveau sich dieser Abend abspielt, wird gleich mit der berühmten Eröffnungsnummer „All That Jazz“ deutlich. Von Sêan Stephens hervorragend choreographiert wirbeln die auch selbst singenden Tänzer des Regensburger Ballettensembles zusammen mit Natascha Hill als Velma über die Bühne. Die hat Frank Fellmann mit tollen hochkant hereinschwebenden Zimmern, effektvoll von unten hochfahrenden Gefängniszellen und wunderbaren Filmprojektionen aus Zeitschriften- und Buchcovern der Roaring Twenties optisch opulent ausgestattet.

Auch die beiden Schwächen der Produktion werden freilich von Anfang an spürbar: Zum einen nimmt, wie leider so oft im Musical, die hölzerne deutsche Übersetzung den Musiknummern viel von ihrer mondänen Klasse, und man wird das Gefühl nicht los, dass die Sprache auch den ganzen Gestus der Show prägt, ihr einen leicht forcierten, teutonischen Sex-Appeal aufstülpt.

Zum anderen sind im Orchestergraben zwar hervorragende Bläser am Werk, rhythmisch ist das unter der Leitung von Chorchef Alistair Lilley allerdings oft zu laut und eher steif als swingend. Der grandiose „Cell Block Tango“ – mit hervorragenden Soli von Laureen Olivia Drexler, Louisa Poletti, Esther Baar, Christiana Wimber und Elena Lin als männermordende Sträflinge – klingt ebenso wie ein späterer Ragtime eher nach zackiger Marschmusik.

Davon abgesehen macht der Abend aber dank der souverän das Tempo hochhaltenden Regie und des ausgezeichneten Ensembles großen Spaß. Miriam Neumaier beherrscht als blondes Gift Roxie mühelos die Bühne, harmoniert als kontrastierendes Pendant aber auch bestens mit ihrer anfänglichen Rivalin Velma. Natascha Hill verleiht dieser zweiten Hauptrolle mit etwas robusterem Stimm- und Körpereinsatz eine ganz eigene Charakteristik. Randy Diamond ist ein gekonnt zwischen Charme und Schmierigkeit changierender Anwalt Billy Flynn,

Steffi Denk macht die über ihre Schützlinge liebevoll-berechnend wachende Gefängniswärterin Mama Morton zum stimmlichen Ereignis. Christian Schossig führt als Conferencier prägnant durch den Abend, Oliver Weidinger ist als Roxies gehörnter Ehemann Amos ein ebenso Mitleid erregender wie köstlicher „Mr. Cellophane“. Die Reporterin Mary Sunshine mit dem Sopranisten Onur Abaci zu besetzen, ist eine brillant schräge Idee – schade nur, dass die Texte in der überbordenden Opernhaftigkeit seines virtuosen Gesangs untergehen.

Den größten Applaus bei der Premierenfeier, die nach den Publikumsovationen kurz, aber herzlich auf der Bühne begangen wird, bekommt Alyona Dakhnovskay. Die Artistin, die in dieser Produktion einen atemberaubenden Seiltrick vollführt, ist erst kürzlich mit ihren Kindern aus der Ukraine geflohen. So sind wir am Ende doch wieder in der gänzlich unglamourösen, düsteren Realität angekommen. Und bei der Frage, was ihr das Theater über den legitimen Wunsch nach gehobener Zerstreuung hinaus entgegensetzen kann.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!