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Theatergeburtstag in Gelsenkirchen mit Janaceks „Die Sache Makropulos“. Foto: Karl und Monika Forster
Theatergeburtstag in Gelsenkirchen mit Janaceks „Die Sache Makropulos“. Foto: Karl und Monika Forster
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Theatergeburtstag in Gelsenkirchen mit Janaceks „Die Sache Makropulos“

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Das Gelsenkirchener „Musiktheater im Revier“ feiert Jubiläum. Vor sechzig Jahren wurde das Haus am Kennedyplatz eröffnet und zog dank seiner außergewöhnlichen Gestaltung nicht weniger Aufmerksamkeit auf sich als der drei Jahre zuvor in Münster fertiggestellte erste Theaterneubau in der Nachkriegszeit. Das im Wesentlichen auf das Konzept des Architekten Werner Ruhnau zurückgehende Gelsenkirchener Haus lebt von seinem offenen, gläsernen Foyer und damit einer direkten Sichtachse zur Stadt. Legendär sind auch die Foyers mit ihren tiefblauen Schwämmen aus Gips, die von Yves Klein gestaltet wurden.

Den Theatergeburtstag begehen die Gelsenkirchener mit zahlreichen Veranstaltungen seit Anfang Dezember. Jetzt feierte Leos Janaceks „Die Sache Makropulos“ Premiere, inszeniert von Dietrich W. Hilsdorf, dem längst international renommierten Theatermacher, dessen Karriere vor fast vierzig Jahren just in Gelsenkirchen mit Tschaikowskys „Eugen Onegin“ ihren Lauf nahm.

Nun also „Die Sache Makropulos“, die skurrile Geschichte der Operndiva Emilia Marty, von der sich herausstellt, dass sie bereits seit über 300 Jahren lebt. Eine zu lange Zeit? Jedenfalls macht sich bei ihr Müdigkeit breit. Auch so etwas wie Daseinsekel. Denn alles, was den Personen ihres Umfelds aktuell widerfährt, hat sie im Grunde schon so manches mal durchgemacht. Nichts Neues unter der Sonne, sozusagen. Auch die ihr gleich mehrfach entgegengebrachte Liebe lehnt sie ab, was für mindestens einen Selbstmörder sorgt.

Dietrich Hilsdorf und sein Regieteam (Dieter Richter schuf die Bühne, Nicola Reichert die Kostüme) zeigen düstere Bilder, schaffen nüchterne, kühle Räume wie die geradezu kafkaesk anmutende Kanzlei des Anwalts Dr. Kolenaty im ersten Akt, dann eine praktisch leere Bühne, nachdem die Kanzlei-Kulisse vor den Augen des Publikums um 180 Grad auf ihre Rückseite gedreht worden sind, schließlich im dritten Akt ein gediegen ausgestattetes Hotelzimmer aus den 1920-er Jahren (also der Entstehungszeit des Stückes). Dessen großes Fenster öffnet sich zum Sprung der Emilia Marty, zum Sprung in den Tod. Zuvor hat sie allen Beteiligten ihre Identität offenbart, sogar das so lange gesuchte Rezept für jenes Elixier in Händen halten können, das ihr einst Unsterblichkeit verliehen hat. Doch Marty entscheidet sich – dagegen!

Hilsdorf schafft es, die höchst problematischen Beziehungen der handelnden Personen auf geradezu somatisch erfahrbare Weise darzustellen. Intensive Bilder entstehen in nahezu jedem Augenblick, etwa im Hotelzimmer, wo gleich drei enttäuschte Verehrer gemeinsam über Emilia Marty alias Elina Makropulos Gericht halten.

Hilsdorfs Gelsenkirchener Inszenierung profitiert nicht zuletzt von einem Ensemble, das ausnahmslos großartige Rollenporträts liefert. Da ist die umwerfende Petra Schmidt in der Titelrolle. Anfangs mit einer Aura der Unnahbaren, wandelt sie sich von der Femme fatale ohne Mitleid zu einer Frau, die ständig zu frieren scheint und genug hat vom Leben und der Liebe. Martin Hombrich ist ein konditions- und stimmstarker Albert Gregor, glühend in Marty verliebt, aber kurz vor dem Ruin wegen der hier verhandelten Erbschaftsstreitigkeit. Den Anwalt Dr. Kolenaty gibt Joachim G. Maaß, Timothy Oliver dessen Gehilfen Vitek. Seine Tochter Krista, schwankend zwischen Bühnenkarriere oder Eheleben, ist bei Lina Hoffmann bestens aufgehoben. Urban Malmberg und Khanyiso Gwenxane überzeugen als Vater und Sohn Prus darstellerisch wie gesanglich. Und dann ist da noch Mario Brell: 83 Jahre alt, ganz lange am Musiktheater im Revier festes Ensemblemitglied, der als zwar alter, aber libidinös immer noch nach Befriedigung suchender Hauk-Schendorf absolute Präsenz zeigt. Dafür gab es am Premierenabend Szenenapplaus!

Im Orchestergraben lieferte die Neue Philharmonie Westfalen unter ihrem Dirigenten Rasmus Baumann einen Klang von großer Sogwirkung, schillernd und mitunter erschütternd wie die Geschichte auf der Bühne! Was fehlte, war der allerletzte Feinschliff in Sachen rhythmischer Präzision und Intonation. Das wird sich bei den kommenden Repertoirevorstellungen legen.

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