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Foto: Jörg Singer
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Theaterraum als Tempel des lyrischen Widerspruchs: Zwei Einakter von Peter Maxwell Davies in Weimar

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Der Doppelabend 2 im Festival Passion :SPIEL des Deutschen Nationaltheaters Weimar scherte bei Peter Maxwell Davies „Eight Songs for a Mad King“ in seiner Haltung erfreulich aus: Uwe Schenker-Primus brillierte in dem von Dirk Girschik als poetische Utopie inszenierten Einakter.

Diese beiden Einakter von Peter Maxwell Davies sind seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Klassiker für Studiobühnen und manchmal auch große Theatersäle. Zusammen kommen sie so gut wie nie zur Aufführung, bei Festivals nur selten. Als Nischenwerke, mit denen Sänger und Theater immer gut ankommen, haben sie eine weitere Gemeinsamkeit: Weil es in „The Lighthouse“ (1980) und „Eight Songs for a Mad King“ (1969) um multiple Bewusstseinsebenen und deren Wahrnehmungen durch das Publikum geht, kommt immer wieder einmal etwas anderes heraus als von Produktionsteams beabsichtigt. Im e-werk Weimar wanderte nach „The Lighthouse“ das Publikum von einem Areal der Raumbühne Martin Miotks ins nächste.

Die Generalprobe am Mittwochabend stand unter keinem guten Stern. Bedauerlich war das, weil schon die „Leuchtturm“-Vorstellungen der Studierenden-Produktion an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ wegen der Pandemie ohne Publikum zur Aufführung gelangte. Desto mehr hatte man sich auf die öffentliche Premiere im e-werk Weimar gefreut. Aber für einen erkrankten Tenor sang Jasper Sung, es spielte Martin Esser. Für die wichtige und schwierige Violine-Position konnte erst in letzter Sekunde ein Gast gefunden werden.

Desto spannender geriet der zweite und verrückt-entrückte Teil. Dirk Girschik versetzte den geistig umnachteten König Georg III. von England (1738-1820) aus seinen Domizilen in London und auf Schloss Windsor in ein kleines Bühnenparadies. Peter Maxwell Davies Monodrama „Eight Songs for a Mad King“ (1989) ist eine baritonale Parforce-Jagd durch alle Gesangstechniken, Deklamationsformen und Ausdrucksparadoxien in 35 Minuten. An diesem Zeitpunkt sprengte das Festival Passion :SPIEL die von ihm bisher gezüchteten Erwartungshaltungen. Eine derartige lyrisch-leichte und sogar beglückende Aufführung hätte man bei Passion :SPIEL nach der pessimistischen Installation „Memorial of Rebellion“, Luciano Berios hintergründigem „Recital for Cathy“ und der inflationäre Parolen donnernden „Musiktheaterséance Norma“ schwerlich erwartet.

Uwe Schenker-Primus ist ein intensiver und eindrucksvoller Darsteller mit feiner vokaler Gestaltungskraft, deren Farbigkeit diesmal ausnahmsweise von Gabrielle-Marie Renards Kostümen übertroffen wurde. Das Spielpodest geriet zum Vogelparadies ohne Käfig. Die Studierenden der Hochschule für Musik Franz Liszt trugen phantastische Gefieder und Felle. Sie wurden wie im Märchen in Schaf, Papagei und andere paradiesisch friedlichen Tiere verwandelt. Mit Tönen dialogisierten Chia-Yu Hsu (Flöte/Piccolo), Tatjana Weller (Klarinette), Barnabás Fekete (Schlagwerk), Roza Lusine Dzhavadian (Violine), Tobias Gassert (Violoncello) und Megumi Hata (Klavier/Cembalo). Gesten, Tönen und pantomimische Geschmeidigkeit wurden ihnen abverlangt. Wer gerade nicht zu spielen hatte, tänzelte oder robbte, kroch und plusterte sich auf dem Spielpodest. Alles voll pazifistisch. Die Spielfläche war nur unwesentlich größer als ein Boxring, auf der mit großartigem Volleinsatz musiziert wurde. Die Madrigale, Zwölfton-Impulsivität und ariosen Großkampfeinsätze machte Uwe Schenker-Primus zu Piano-Kulturen und Geourmet-Stimmfutter. 

Demzufolge brauchte er auch nicht die sonst von Sängern für diesen Part ausgefahrenen Marter- und Expressionswerkzeuge. Selten erklingt Partitur Maxwell Davies‘ Partitur mit einer derart weichen, idyllischen Haltung sowie ausgestellten Bemühung um Leichtigkeit, Deutlichkeit und Harmonie. Keine Themaverfehlung, sondern Rückeroberung einer Welt des schönes Scheins. Auf die von Peter Maxwell Davies gesuchte Nähe zu Arnold Schönberg wurde schon öfter hingewiesen. In der Weimarer Lesart findet er Anschluss zu den schönen Illusionen einer pastoralen Romantik mit minimaler Kunstgewerblichkeit. Einen Schritt weiter und der verrückte, hier ungewohnt genussfreudige und extrovertierte König wäre im Paradies der Kuscheltiere gelandet. Den Klimawandel mitdenkend gerät der Eindruck für diesen Teil des Abends sogar noch stärker. Hier wurden nicht Parolen wiederholt und affirmiert, sondern ein Theaterraum zum Tempel des lyrischen Widerspruchs: Harmonie als theatrale Utopie statt Dystopie und Negation. Dirk Girschiks spielerischer Ernst verdrängt die Realität nicht, sondern setzt ihr entgegen: „Es geht auch anders!“

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