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vorne: Parbet Chugh, Martina Nawrath, Anna-Lena Doll, hinten: Alexander Swoboda. Foto: Jörg Landsberg
vorne: Parbet Chugh, Martina Nawrath, Anna-Lena Doll, hinten: Alexander Swoboda. Foto: Jörg Landsberg
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Tiefgang über die Liebe – Mozarts „Entführung aus dem Serail“ am Theater Bremen

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Natürlich gab es am Ende Buhs: denn man hatte in Bremens neuer Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ alles Mögliche gesehen, nur kein Serail, in dem die gekidnappten Europäer sich ja eigentlich befinden. Der junge Schauspielregisseur Alexander Riemenschneider, der damit seine zweite Oper inszenierte, wartete auf mit einem philosophischen und psychologischen Tiefgang über die Liebe, der jede Erwartung gegenüber dem berühmten Singspiel vollkommen umkrempelte. Angesichts der Vielfalt der Entführung-Inszenierungen der letzten Jahre will das schon etwas heißen. Riemenschneider doppelte die Protagonisten mit Schauspielern. Das erlaubte ihm den Versuch, die Protagonisten zeitgleich zu ihren Erlebnissen über sich reflektieren zu lassen.

Der Ausgangspunkt ist eine vollkommen oberflächliche Party im Bürgertum, in der die Menschen darüber fantasieren, was sie sich unter Orient vorstellen: hier können sie ihre wirklichen und krassen Gefühle erleben. Die stillstehenden Inseln der großen Arien wurden so zu einem Gang in die Tiefen der Psyche, ein Gang zu den Ängsten, Begierden und Sehnsüchten. Als Konstanze ihre „Traurigkeit“- Arie singt, spielt im Hintergrund, was das neben ihrer Gefangenschaft eben auch meinen könnte: Fünfmal verabschiedet sich Belmonte mit seinem Beamtenköfferchen und Konstanze begibt sich zur Flasche, der Bassa schaut zu. Die ungeheuerliche, bis heute so verstörende Musik von Mozart, mit der schon so früh bürgerliche und moralische Sicherheiten zerstört werden, gerät in dieser sehens- und hörenswerten Aufführung zum Impuls für seelische Irritationen und umgekehrt landen solche Irritationen wieder in der Musik. Das Aufregende und gleichzeitig Wohltuende an dieser klugen und hochsensiblen Inszenierung ist die Tatsache, dass für die weitreichenden Deutungen an keiner Stelle die Musik vergewaltigt werden muss.

Die Martern-Arie zeigt die ganze Ambivalenz der Constanze: immer gleichzeitig auch die Sehnsucht nach dem Bassa. Dazu baut Riemenschneider zwei Monologe aus der „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler (1926) ein, in der die beiden biederen Frauen erotische Träume erzählen. Vor diesem Hintergrund ist das große Quartett am Ende des zweiten Aktes auch keine endgültige Versöhnung, sondern allerhöchstens die gemeinsame pragmatische Einsicht, dass besser nicht weiter nachgefragt werden soll. Alle gehen in eine unbekannte Zukunft: Nichts ist zu Ende, nichts ist gut und vor allem: nichts ist sicher. Insgesamt ist die Inszenierung ein phänomenales Angebot, über Mozart neu nachzudenken: über alle gesellschaftlichen Konditionierungen hinweg stellt er immer wieder Frage: was ist der Mensch und der ist nicht berechenbar und nicht manipulierbar.

Eine derartig mutige Inszenierung kann nicht immer „Logik“ leisten, einiges wird unvermittelt und unverständlich regelrecht hineingeknallt, wie der Gewaltanfall des Bassa gegenüber Constanze oder auch die metaphorische Gestalt des Osmin, der einfach als ein erotisch praller Bösewicht ständig dazwischen geht. Oder auch das bei Schnitzler vorkommende Kind des Ehepaares taucht hier auf – völlig unverständlich. Aber geschenkt, wenn man festhält, dass die korrekt erzählte Geschichte ja auch nirgendwo glaubwürdig ist. Es dauert allerdings zu lange, bis man das Konzept als die ständige Vermischung von Realität und Traum versteht.

Schöne,schnelle, farbenreiche Orchesterklänge unter der Leitung des ersten Kapellmeisters Hartmut Keil, die sich im Verhältnis zu den Sängern hoffentlich noch präzisieren lassen. Nerita Pokvytyte ist eine unruhige Constanze, auf der Suche nach etwas, was sie gar nicht kennt, dies, wie auch von der Schauspielerin Stephanie Schadeweg, gut gespielt. Stimmlich wirkte sie leicht zu scharf. Praller Wirbelwind die beiden Blondes von Martina Nawrath, Gesang und Anna-Lena Doll, Schauspiel.

Hyoyong Kim präsentiert sich als tadelloser Mozartsänger und zeigt mit seinem Schauspielpendant Ferdinand Lehmann einen reichlich verunsicherten Belmonte. Ein Gewinn fürs Ensemble ist sicher der Tenor Joel Scott, der zusammen mit Parbet Chugh einen flexiblen Pedrillo gestaltete. Überragend die schaupielerische Leistung von Christoph Heinrich als Osmin in seinen vielschichtigen Aspekten, die sich auch im Gesang niederschlugen: Tiefe für diese Rolle wird noch wachsen nach seinem Wechsel ins Bass-Fach. Alexander Swoboda als Bassa ergänzte dieses Ensemble gut. In die Buhs immer mehr starker Beifall.

  • Die nächsten Aufführungen: 11., 14.,22. Dezember, 13., 20. und 30 Januar.     

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