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Tosca in Kassel. Foto: Nils Klinger
Tosca in Kassel. Foto: Nils Klinger
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„Tosca“ in der Raumbühne – Die zweite Premiere des Spielzeitauftakts in Kassel

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Die Idee hat aparten Witz. Zum Auftakt einer neuen Intendanz lässt man auf Alban Bergs „Wozzeck“ aus dem Jahre 1925 tagsdrauf Puccinis „Tosca“, mit deren Premiere im Januar 1900 das 20. Jahrhundert für die Oper gleichsam begann, folgen. Erst die heute akzeptierte, sagen wir ästhetische Herausforderung. Dann der beim Publikum nach wie vor hoch im Kurs stehende Repertoire-Liebling.

Die Regisseure können sich im Falle von Puccinis „Tosca“ nach Herzenslust austoben mit einem Mix aus Liebesdrama und Politthriller. Und sie können die Frage, ob sie aus den Ortsangaben Kirche, Palazzo und Engelsburg einen Triumph der Kulissenopulenz machen oder ob sie sich für irgendeine Spielart von Gegenwart inspirieren lassen, höchst variabel beantworten. Künstler, die ihr singt oder malt und (Polit-)Ganoven aller Länder vereinigt euch, sozusagen.

In Kassel gibt die Raumbühne PANDEMONIUM von Sebastian Hannack, in der bis Dezember erstmal alles gespielt wird, was auf die Opernbühne kommt, den Rahmen vor. Hier lässt sich (wie im Falle Wozzeck) zwar eine konkrete Raumgeografie von Handlungsorten installieren. Sie erlaubt aber auch eine kreative Abstraktion für eine dezidiert autonome Bildsprache. Schon die Präsenz des Orchesters auf der Bühne kommt einer virtuellen Reise nach Rom in die Quere. 

Regisseurin Sláva Daubnerová nutzt die Chance, um „Tosca“ kräftig und – sofern es das wirklich gibt – mit feministischem Furor gegen den Strich (der Publikumserwartung) zu bürsten. Mit kleineren und größeren Verschiebungen, die manchmal erhellend wirken, manchmal aber auch rätselhaft bleiben. 

Diesmal ist das Orchester unter dem auch bei Puccini mit Leidenschaft und Präzision zu Werke gehenden GMD Francesco Angelico vergleichsweise klein besetzt und auf dem eher hinteren Teil der Bühne platziert. Dadurch wird der Klang nie übermächtig, auch wenn er im Tedeum am Ende des ersten Aktes bewusst martialisch auftrumpft und zusammen mit der militanten Optik der aufmarschierten, bewaffneten Garde der penetrant blondbezopften Mädels-Truppe geradezu präfaschistische Züge bekommt. Wer den Blick auf ein Foto aus einem Riefenstahlfilm erhascht hat, das einmal kurz auf Toscas Schminktisch zu sehen war, wird das als Wegweiser im Gedächtnis behalten. Bewaffnete weibliche Militanz ist kein bisschen weniger furchteinflössend als Männliche. Würde man jetzt sagen im Gegenteil, wäre man dem Exkurs über Voyeurismus und Geschlechter-Klischees, der für Daubnerová ein Thema ihrer Inszenierung ist, schon auf den Leim gegangen.

Hier jedenfalls malt Cavaradossi kein Bild einer Madonna – er inszeniert eine Fotosession mit weiblichen Modells. Alle mit blonden Perücken, Waffen und lasziver Körpersprache. Männliches Machtgehabe weiblich gespiegelt. Kunst als Ersatzreligion. Auch Toscas Auftritt im opulenten roten Rosenkleid, der hier bei Marios Verhör nicht irgendwo im Hintergrund zu erahnen ist, sondern aus der Versenkung nach oben fährt, ist eine Kunst-Installation. Für Zuschauer. Auch im Stück mitspielende auf der Bühne. Wer diese Damen in eleganter dunkler Abendgarderobe mit atemberaubenden Frisuren (Kompliment an Kostümbildnerin Dorota Karolczak) eigentlich sind, für wen sie stehen, bleibt im Ungefähren. Der Verdacht, sie könnten aus der reaktionären Gesellschaftsschicht um Scarpia stammen, gerät ins Wanken, wenn sie sichtbar für Tosca Partei ergreifen und beim Vissi d’arte nach und nach eine Rose auf dem Pult wie auf einem Altar niederlegen. Für uns Beobachter von außen gilt Toscas Hit im Stück aber auch dem, was sich weit im Hintergrund in einer Parallelgeschichte abspielt. Wo am Vorabend noch Wozzecks Marie wohnte, ist jetzt das Landhaus von Tosca, wo Cavaradossi den republikanischen Konsul Angelotti versteckt hat. Angelotti schminkt sich da noch einmal voll, legt wieder Frauenkleider an und erschießt sich, bevor ihn Scarpaias Häscher schnappen. Dass er sich der Verhaftung durch seine Feinde entzieht, ist keine Überraschung. Diesmal ist es aber die Begründung. Die Bassbaritonistin (kein Druckfehler) Sam Taskinen spielt gleichsam und ziemlich überzeugend das Changieren zwischen den Geschlechterrollen. Diese(r) Angelotti hat eher ein Problem mit der eigenen Identität, mit dem Widerspruch aus tiefer Stimme (männlicher Zuschreibung) und selbstempfundener Identität (als Frau). Zum Beispiel ahmt er für uns (aber nicht für die beiden sichtbar) Toscas Gesten und Körpersprache nach, wenn die mit Cavaradossi ihr kleines Eifersuchtsgeplänkel am Anfang aufführt. Das ist eine implantierte Ebene, die so verblüffend wie anregend ist. Sie verselbständigt sich allerdings in der Ausführung und entschärft die gesellschaftspolitische Komponente der Flucht Angelottis nahezu völlig. Auch der Scarpia (Hansung Yoo stimmgewaltig und mit Mut zum Fiesling) im Rollstuhl, mit Cowboyhut und Atemmaske ist eher ein personifiziertes übergriffiges Machtklischee, das sich aus der Causa Harvey Weinstein speist. Bevor er Tosca persönlich als Frau attackiert, hat er ihr (hier) schon die Rolle aufgezwungen, die sie im Rosenkleid verkörpert. Toscas Schicksal als Schaulauf der Sängerin, die privat und beruflich äußeren Zwängen unterworfen ist, das zu zeigen gelingt der Regisseurin Daubnerová tatsächlich. Was sie drumherum baut – von den Zuschauern im Stück, über die bewaffneten Kinder und die Obsessionen Cavaradossis, bis hin zu der Doppelrolle der Tosca als Sängerin und Protagonistin der Oper – erschließt sich in der Binnenlogik nicht. Zumindest nicht auf Anhieb. Muss es aber auch nicht.  Oksana Sekerina ist eine leidenschaftliche, aufstrahlende sichere Tosca, die sich auch der darstellerischen Herausforderung mit vollem Einsatz stellt. Ricardo Tamura hat eine geschmeidig aufstrahlende Höhe für seinen Cavaradossi (ganz anders als kürzlich die Besetzung dieser Rolle bei den Salzburger Festspielen). Das Protagonistenensemble und der Chor (Einstudierung: Marco Zeiger Celesti) stellen sich mit viel Einfühlungsvermögen erfolgreich den akustischen Herausforderungen der Raumbühne. Mit Francesco Angelico haben sie einen umsichtigen Dirigenten auf ihrer Seite.

Am Ende erschießen die Frauen Cavaradossi. Das Rosenkleid der Sängerin Tosca schwebt vom Laufsteg der Raumbühne. Sie entledigt sich damit ihrer Rolle. Im Video fällt Tosca selbst, also mit einer großen Operngeste. 

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