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„Die tote Stadt“ in Chemnitz. Foto: Dieter Wuschanski
„Die tote Stadt“ in Chemnitz. Foto: Dieter Wuschanski
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Traumfrauen soll man nicht umbringen – Korngolds „Die tote Stadt“ in Chemnitz

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Chemnitz hält sich den Spiegel vor und zeigt „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold. Lohnt es sich, von den leeren Straßen ins auch zur Premiere nicht ausverkaufte Opernhaus zu wechseln?

Jede Menge Hollywood klingt da schon durch. Erich Wolfgang Korngold hat sich in seiner mit 23 Jahren geschriebenen Oper „Die tote Stadt“ quasi selbst vorweggenommen. Dabei wird ihm immer wieder nachgesagt, auch heute noch, er habe in erster Linie Wagner, Strauss und seinen Lehrer Zemlinsky zitiert. Die ausgereifte Operettenhaftigkeit eines Lehár sollte man da aber auch nicht vergessen.

Hollywood sicherte dem jüdischen Komponisten und seiner Familie in den 1930er Jahren vor allem das Überleben und bescherte ihm für seine Filmmusiken zwei Oscars. Den größten Erfolg dürfte er jedoch mit der 1920 in Hamburg und Köln zeitgleich uraufgeführten Oper „Die tote Stadt“ gehabt haben. Das Libretto dazu schrieb Korngold gemeinsam mit seinem als Kritiker in Wien reüssierenden Vater unter dem Pseudonym Paul Schrott selbst. Seit einigen Jahren erlebt „Die tote Stadt“ eine gewisse Renaissance, nun hat sich auch das Opernhaus Chemnitz diesen Dreiakter wieder vorgenommen. Dort wurde er bereits kurz nach der Uraufführung schon mal gezeigt – und seitdem nicht mehr.

Intendant Christoph Dittrich ließ dies nun ändern und verpflichtete Helen Malkowsky als Regisseurin für dieses symbolbeladene Stück, das ebenso ein mörderischer Krimi ist wie der Versuch einer Traumdeutung. Vor allem jedoch eine bis heute nicht restlos entschlüsselte Metapher.

Siegmund Freud hätte große Freude an dem Plot gehabt: Witwer Paul begegnet einer Frau, die seiner verstorbenen Gattin absolut ähnlich sieht. Sogar die Stimme könnte verwechselt werden. Nicht zuletzt ist die Namensnähe frappierend – Maria ist tot und Marietta lebt. Er erliegt dieser Erscheinung und lässt sie in seiner Wohnung den Gedenkraum betreten, den er „Kirche des Gewesenen“ nennt. Sein Freund Frank warnt ihn vor der Illusion einer solchen Reinkarnation und die Haushälterin Brigitta scheint sowieso eifersüchtig über das Gedenken zu wachen. Bei Paul in der toten Stadt Brügge herrscht also auch zu Hause „tote Hose“, dennoch schämt er sich, mit der wiedererwachenden Lust die Tote zu schänden.

Kein Problem, denn Marietta erweist sich als Schauspielerin allen gängigen Klischees folgend unzüchtig genug, wird von ihren Komödianten umworben und gibt sogar Freund Frank den Schlüssel zu ihrer Wohnung. Das ist das Ende der Männerfreundschaft, Paul erschlägt den Freund, wird Zeuge von dessen Auferstehung und vergisst sich erneut, als Marietta in einer Probe die stumme Helene aus Meyerbeers „Robert le diable“ mimt. Er erklärt ihr, dass er nicht sie, sondern in ihr nur das Abbild seiner Maria liebt. Eine solche Schmach steckt eine Frau entweder gar nicht oder nur bei einem unwiderstehlichen Mann weg. Marietta bleibt trotzdem bei Paul. Und der bringt sie um, als sie sich an einer Reliquie vergreift.

„Ein Traum hat mir den Traum zerstört …“

In einem festgefügten Bühnenraum, der an Bunker oder Banktresor erinnern könnte, ist dieses gigantische Gefühlstosen wie weggesperrt. Harald B. Thor hat eine beklemmende Kulisse geschaffen, die schließlich geflutet wird, da eine derartig rückwärtsgewandte Sicht auf die Geschichte dem Untergang geweiht sein muss. Doch „Die tote Stadt“ spielt ja in Brügge, einst Nordeuropas reichste Stadt, die nach der Blüte im 15. Jahrhundert zusehends verarmte. Bigottes Christentum und die Tristesse einer nah am Wasser gebauten Gemeinde – von Kanälen durchzogen wie das morbide Venedig – kommen als weitere Faktoren hinzu und werden im von Anfang an mit feuchten Schlieren versehenen Bühnenbild assoziiert.

Dabei sind all diese Emotionen, Enttäuschungen und Hoffnungen ebenso wie das Liebesspiel und die Todesgedanken, sowieso aber das Theatralische mancher Szenen komplett in der Musik enthalten. Weniger Symbolik (vor allem weniger Wasser) hätte also durchaus mehr bedeuten können, denn Generalmusikdirektor Frank Beermann (nach bald neun erfolgreichen Jahren zu 2016 auf dem Absprung hin zu neuen Ufern) lotete die Partitur erwartungsgemäß tief. Er hob mit der Robert-Schumann-Philharmonie die Fülle der Motive hervor (Korngolds Einfälle hätten anderen Komponisten für mindestens fünf Opern gereicht), brachte das Wehen wie den emotionalen Stillstand zum Klingen, fand Farben für Opulenz und Orgiastik, aber ebenso für Moder und Mord. Bemerkenswert die Wandlungsfähigkeit von Dirigent und Orchester, wenn von sinfonischem Sturm auf operettiges Odeur umgestellt (und wieder zurückgefunden) werden musste.

In den von Tanja Hofmann entworfenen Kostümen blieb „Die tote Stadt“ der Entstehungszeit verhaftet, Lichtgestalter Holger Reinke gelangen die spannendsten Reflexe im Widerspiel des Wassers an den Wänden. Ansonsten entsprach die Optik weitgehend dem Titel der Oper. Wenig ausgedeutete Personenbezüge, viel Behauptetes, das nicht gezeigt wurde. Ob das mehr an der Inszenierung oder an der Besetzung gelegen hat, sei dahingestellt. Denn weder erschien Paul als sonderlich begehrenswert für eine attraktive Dive, noch strahlte seine Marietta mehr Anziehungskraft aus als eine kühle Sportlerin aus dem Hohen Norden.

In Wahrheit stammt Marion Ammann aus der Schweiz und kann ihren wandelbaren Sopran zwischen Schärfe und Schmelz variabel einsetzen, ihr lebhaftes Spiel sorgt für mancherlei Spannung. Aber Erotik, Laszivität? Nicht in den toten Räumen von Paul.

Dem hat Korngold eine enorm anspruchsvolle Tenorpartie zugedacht, er muss nahezu dauernd präsent sein, sollte über sichere Höhen und kraftvolle Töne ebenso verfügen wie über Kopfstimme und eher zarte Volumen. Niclas Oettermann litt sich mit Verve durch die Premiere und war für diesen Part alles andere als eine Idealbesetzung.

Sein Freund Frank hingegen wurde von Klaus Kuttler draufgängerisch als Lebemann gegeben, ein satter und sangesfreudiger Bariton, dem ganz zum Schluss die Aufgabe zukommt, Paul aus seinem Leiden rauszureißen. Denn der sieht ganz allmählich ein: „Ein Traum hat mir den Traum zerstört, (…) Den Traum der Phantasie.“ Nahegelegen hätte eine Deutung, dass ein derart neurotischer Mann, wenn er denn das Abbild seiner toten Frau im Traum umbringt, vielleicht auch der Mörder seiner Frau gewesen sein könnte.

Dann wäre auch die von Tiina Penttinen äußerst stimmschön als grauer Schatten gegebene Haushälterin Brigitta in dieser Sichtung plausibel gewesen.

  • Termine: 31..10., 9.,19.11., 16.12.2014, 18.1., 27.3., 6.4.2015

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