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Foto: Petr Berounsky
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Tschechische Festoper beeindruckt – Smetanas „Libuše“ in Bad Elster

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Die Rezeptionsgeschichte von Smetanas Oper „Libuše“ ist voller Sprünge. Jetzt sprang sie zudem geographisch aus Ustí nad Labem in Tschechien zum Gastspiel in die sächsische Bad-Idylle nach Bad Elster ans König-Albert-Theater. Roland H. Dippel ließ sich mitnehmen und fand das Ensemble aus Ustí nad Labem absolut beeindruckend.

In den Opernschaltzentralen der EU ist Bedřich Smetanas „Libuše“ ohne Chance. Dabei sind deren Faktur und gebrochene Rezeptionsgeschichte weitaus spannender als zum Beispiel die sentimentalen Legenden um die italienische Nationaloper „Nabucco“. Von Hitler wurde „Libuše“ 1939 nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei verboten, von den Sowjets nach dem Prager Frühling am 7. November 1970 zu Ehren der „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ instrumentalisiert. Mit „Libuše“ feierte das Prager Nationaltheater 1990 auch den Beginn der Präsidentschaft Václav Havels. Mehr Geschichte geht nicht. Eine Neuproduktion der 1881 zur Eröffnung des Nationaltheaters Prag uraufgeführten Festoper gab es zum Jubiläum 100 Jahre tschechische Republik in Prag und in Ustí nad Labem. Am 20. September gastierte das Nordböhmische Opern- und Balletttheater Ustí nad Labem (Tschechien) in Bad Elster.    

Bad Elster wäre längst das sächsische Ischl, läge es nicht in gleichgroßem Abstand zu Prag, Dresden, Leipzig und Nürnberg. Die Quote der interessierten Kulturreisenden ist hoch im Publikum des König Albert Theaters und schon nach dem ersten Akt hagelt es aus dem sehr gut gefüllten Saal weitaus mehr begeisterte Bravi als an regulärem Repertoire-Abenden in Erfurt, Dresden und Magdeburg zusammen. Nach dem blechgepanzertem Jubelgewitter in Smetanas Oper zeugt diese enthusiastische Reaktion vom regen Interesse des Publikums, von der Belastungsfähigkeit der Mitwirkenden und vom Programmgeschick der Leitung, der nach dem Gastspiel des Theaters Liberec mit Tschaikowskis „Jungfrau von Orléans“ im Vorjahr den nächsten slawischen Operntrumpf ausspielte. Ein lehrreich-spannender Abend mit noch spannenderem Werkhintergrund.

Angesichts der historischen und dramaturgischen Bürden bietet das Regie-Resultat Andrea Hlinkovás in der mit vereinfachter Dekoration nach Bad Elster gekommenen Produktion einige ironische Feinheiten: Wonnige Maiden im Gefolge der Fürstin Libuše bilden selbst dann nach lächelnde Gruppierungen, als die erste Frau im Stamm auf eine grobe Beleidigung das Regierungszepter nach heutigen Kriterien viel zu willfährig dem Großbauern Přemysl überreichen will.

Aber am Ende bleibt Libuše mit ihrer heroischen Weissagung doch in Führung. Inzwischen hat eine akademische Ermittlungskommission bestätigt, dass das Sujet zu Josef Wenzels in deutscher Sprache verfasstem und von Smetana in Ervin Špindlers tschechischer Übersetzung vertontem Textbuch keine Volkssage ist. Václav Hankas „Grünberger Handschrift“ (1717/18) mit der berühmten Weissagung Libušes wurde als literarische Fälschung klassifiziert.

Bei den Kostümen greift Josef Jelinek zu jugendstilig-historisierenden Mitteln, die dem Auge gestrenger Traditionalisten schmeicheln. Mit phallisch aufragenden Holzpfählen und darüber abstrahierten runden Baumkronen, einer matriarchalisch-vielbrüstigen Götterstatue und einem idealisierten Grüppchen Landvolk streut er wie Andrea Hlinková immer wieder Sand auf das einmalige ästhetische Gebilde, das Smetanas Festoper werden sollte.

Am Pult übernahm Bad Elsters GMD Florian Merz die Führung des Nordböhmischen Orchesters und schaffte es souverän, bei einer Besetzung mit nur drei Celli und vier Hörnern neben orchestralen Blechlawinen den auf repräsentativer Großartigkeitsspur dahin schwelgenden Tonfall in das für die Klangdimensionen dieser Oper eindeutig zu kleinformatige König-Albert-Theater zu zwingen.

Das Ensemble aus Ustí Nad Labem: Absolut beeindruckend und alle Solist*innen sind Repräsentant*innen einer heute selten gewordenen regionalen Gesangstradition. Die Frauen bei voller Rundung mit verschiedenen Gewichtungen von Leicht- bis Schwermetall. Michaela Katráková, blond von Gestalt und Rollencharakter, schlittert als Krassava ins monumental aufgedonnerte Koketterie-Desaster zwischen den dadurch uneinigen Brüdern Chrudoš (massiver Bariton mit Drang zur Bombenhöhe: Zdenek Plech) und Stahlav (leicht nasaler Edeltenor: Jan Ondráček). Mit auch gesanglicher Klugheit geschlichtet wird von Kateřina Jalovcová (Radmila). Ungleich gewichtet sind Krassavas von den Infantilitäten in seiner Familie geplagter Vater Lutobor (Pavel Vančura) und Libušes Wunschbräutigam Přemysl. Richard Haan bleibt auch nach Erhebung auf den Thron und unter Berücksichtigung vokaler Gewichte die Nummer 2 im Mächte-Ranking, das Libuse mit sportlicher Höchstenergie für sich entscheidet.

Ivana Weberová sprang in der Titelpartie kurzfristig ein für die rollenerprobte Eva Urbanová: Ein strapazierfähiger Sopran ohne Ecken und Kanten, der die zwei ausladend pathetischen Gebete und Smetanas infam tief gesetzte Phrasen durchbraust, durchflutet, durchströmt, durchpulst und in der Prophezeiung, die dem Ende der Handlung wie eine für sich stehende Kantate folgt, zu Wärme und Größe findet. Eine satte Ausnahmeleistung mit Aplomb und Hingabefähigkeit.

Zeit wäre es, von Seite des internationalen Einheitsrepertoires die trotz Blechpanzer ohne Kampfparolen auskommende „Libuše“ etwas genauer ins Visier zu nehmen. Denn wie in Smetanas „Dalibor“, dessen schwule Implikationen bereits um 1900 kritisiert wurde, zeigt auch die Titelfigur Libuše ein Verhalten gegen konventionelle Geschlechterrollen: Libuše heiratet zwar, aber Smetana charakterisiert und heroisiert sie mit allen maskulinen Klang-Attributen, die ihm bei der Komposition 1871/72 zur Verfügung standen. Beim Komponisten der „Verkauften Braut“ und „Die Moldau“ gibt es also viel Stoff für Gender-Science.


Vladimir Karbusicky: Libussa/Libuše. Das mythische Symbol des Patriotismus und seine Rolle in der Böhmischen Opernrepräsentation

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