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DON GIOVANNI | Foto: Martina Pipprich
DON GIOVANNI | Foto: Martina Pipprich
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Unter Beschuss oder das Don-Giovanni-Komplott – Tilman Knabe macht am Staatstheater Mainz aus Mozarts „Don Giovanni“ einen Politthriller

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So politisch hat man „Don Giovanni“ schon lange, vielleicht sogar noch nie gesehen. Eine zerschossene Häuserecke mit Gasse. Ein schäbiges Hotel – bei dem die arabischen Schriftzeichen oben drüber in diesem Logo eigentlich nur Coca Cola heißen können. Der mehrmals mit höllischer Wucht die Musik unterbrechende Beschuss hat jedenfalls in diesem Drehbühnenbild deutlich Spuren hinterlassen. Komplettiert wird es durch einen Wachturm und Suchscheinwerfer.

Mit Kalaschnikows Bewaffnete in Uniform sind im Dauereinsatz. Fahnen sind die Requisiten für die Inszenierungen der Macht und den Kampf darum. Bei Bedarf stürmt die Truppe von willfährigen Fotografen, Reportern und Kameraleuten, die man dazu braucht, auf die Bühne.

Leporello (Hans-Otto Weiß) hat natürlich ein iPad dabei. Die sagenhafte Liste mit den vielen Frauen ist längst auf einem Stick gespeichert. Hier greifen weder Netzzensur noch Twitterverbot. Alle nutzen diese Instrumente. Auch Don Ottavio (Thorsten Büttner) und Donna Anna (Tatjana Charalgina).

Wie wir in der surrealen Slowmotion-Alptraumvision der drei Ballbesucher kurz vor dem Ende des ersten Aktes an der Rampe sehen können, hat nur die hochschwangere Donna Elvira (Patricia Roach) so etwas wie ein normales Leben im Sinn. Sie wünscht sich allen Ernstes Don Giovanni als Kinderwagen schiebenden Kindesvater an ihre Seite. Kriegt dann mitten in diesem Macht-und-Sex-Krieg ihr Kind. Auf dem Balkon des Hotels. Da hat sie den Sprengstoffgürtel schon um und die Panzerfaust geschultert. Die geplatzte Fruchtblase rettet so mindestens zwei Leben.

Wenn Don Giovanni (Heikki Kilpeläinen) am Ende der Mittelpunkt einer grandios dekadenten Abendmahls-Szene ist und sie ihr Neugeborenes dem leiblichen Vater auf den Tisch packt, reagiert der so macho-fies, dass er sich die Sympathie, die man mit diesem Protagonisten der Freiheit aufgebaut hat, beinahe völlig verscherzt. Er ist hier nämlich weder der Mörder des Komturs, noch der gewissenlose Verführer Zerlinas oder Annas. Er ist nur Zeuge eines mysteriösen Attentats auf den Komtur, für das gleich mehrere Kandidaten in Frage kommen.

Und dass sich Zerlina (Saem You) am Tage ihrer Hochzeit dem Lover mit den grauen Haaren an den Hals wirft, versteht man beim Blick auf das blaue Auge der jungen Frau, die Masetto (Richard Logiewa) im Einkaufswagen wie eine erworbene Ware herumkutschiert. Weil er auch ihren Pass „eingezogen“ hat, ist völlig klar, dass sie die erste Gelegenheit nutzt, um Masetto den Pass abzunehmen, und ihm zu zeigen, was Erniedrigung heißt, wenn man sich nicht wehren kann. Aber auch, dass sie beim Komplott mitmacht, mit dem die machtbewusste Anna Don Giovanni als notorischen Vergewaltiger hinstellen will. Das Blut auf Zerlinas Kleid stammt jedenfalls aus dem Kanister, den ihr Anna gegeben hat.

An diesem eindrucksvoll düsteren Unort zieht Don Ottavio von Anbeginn die Fäden der Macht. Er steht hinter dem Komtur, den er als religiösen Führer aufgebaut hat und lenkt. Der hat ein Christen-Kreuz um den Hals überm weißen Gewand, könnte seinem Habitus nach aber genauso dem Gott der Moslems dienen. Ottavio ist hier die personifizierte Melange aus sexueller und politischer Machtobsession. Seine Hochzeitspläne mit Anna folgen einem Kalkül.

Doch auch die verfolgt von Anfang an ihr eigenes Spiel. Spätestens nach dem Verhör (mit allem Scheinwerfer-ins-Gesicht-Drum-und-Dran) zu dem ihr „Bericht“ über den nächtlichen Besuch Don Giovannis in ihrem Schlafzimmer hier wird. Dass Anna gar keine andere Chance hat, als ihrem Bräutigam die Hucke voll zu lügen, ist glasklar! Da das Zweckbündnis nicht zu haben ist, Anna die Alleinherrschaft anstrebt und Ottavio in die zweite Reihe verweist, geht der gleich zu Zerlina und Co in den Untergrund. Er probt in dem Moment selbst den Aufstand, als Anna triumphiert. In einer von ihr inszenierten finalen Show piesacken zehn „wiederauferstandene“ Komtur-Exemplare Giovanni mit Elektroschocken und übergießen ihn mit Benzin. Als sich die neue Herrscherin gerade triumphierend eine Zigarette anzündet, um sie dann für einen großen Knall fallen zu lassen, stürmen Ottavio und seine neuen Verbündeten die Szene. Ein neues Kapitel im Kampf um die Macht beginnt. Für ein ab schließendes lieto fine ist da kein Platz mehr. Da muss es reichen, dass Giovanni das Chaos zur Flucht an die Rampe nutzt. Dort reißt er sich das Hemd auf und präsentiert uns das Liberta auf seiner Haut.

Was man in Mainz von Regisseur Tilman Knabe, Wilfried Buchholz (Bühne) und Eva-Mareike Uhlig (Kostüme) vorgesetzt bekommt, ist ein Opernthriller, der den Don Giovanni als Stück einer Endzeit ernst nimmt, den Eroberungsfuror sexuell und politisch deutet und das in die Welt von heute blendet. Da aber nicht in die sterilen Wohnzimmer einer übersättigt frustrierten Spätbürgerlichkeit. Knabe traut sich (nicht zum ersten Mal) den Blick auf die Schlachtfelder zwischen Tugendterror und Selbstbehauptung des freien Individuums. Er bemäntelt das Unabgegoltene im Kampf der Kulturen nicht, sondern thematisiert es. Da er es mit den Mitteln eines politisch erkennbaren und intellektuell und auch visuell opulenten Musiktheaters macht, ist das unbequem. Für alle. Weil es trifft. Zumindest, wenn man sich dem Nachdenken nicht verweigert.

Leider hält bei dieser Produktion die musikalische und vokale Qualität nicht mit der szenischen Spannung Schritt. Am ehesten schafften es Thorsten Büttner als Don Ottavio, Tatjana Charlagina als Donna Anna und auch Patricia Roach als Donna Elvira ihre enorme darstellerische Präsenz auch vokal zu untermauern. Ausgerechnet aber Heikki Kilpeläinen als Don Giovanni und Hans-Otto Weiß als Leporello blieben eher farblos. Was allen Protagonisten gelang, war freilich eine imponierende Ensembleleistung im Zusammenspiel. Und auch das Philharmonische Staatsorchester Mainz vermag sich unter Hermann Bäumers Leitung nicht als kraftvolles Gegengewicht zur Szene im Graben zu etablieren. Dass Bühne und Graben gelegentlich allzu sehr auseinanderfallen mag der Premieren Aufregung geschuldet sein.

Fazit: Musikalisch ist dieser Don Giovanni keine Sternstunde. Szenisch aber schon. Selbst bei der Oper der Opern gibt es noch Überraschungen und dann auch noch durch das sogenannte Regietheater!

Nächste Termine:
26. März 2014
15. April 2014 19 Uhr: Einführung im Foyer
25. April 2014
28. April 2014

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