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Foto: Matthias Heyde
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Uraufführung von Moritz Eggerts „La Bettleropera“ in der Neuköllner Oper

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Eine der ersten Produktionen der vor 1977 von Winfried Radeke gegründeten Neuköllner Oper war damals die „Bettleroper“, und zur Feier des 40-jährigen Jubiläums wurde eine neue Version angekündigt als „ein Großstadtcomic nach John Gay’s ‚The Beggar’s Opera’“. Für die Neukomposition der multilingualen deutsch-italienischen Koproduktion mit dem Balletto Civile wurde der Komponist Moritz Eggert gewonnen, dessen Komposition das Auseinanderklaffen des engagierten, aber über Semiprofessionalität kaum herausreichenden Ensembles um so deutlicher hervorkehrt.

John Gay hatte mit der dreiaktigen Händel-Travestie „The Beggar’s Opera“ im Jahre 1728 in London einen ungewöhnlichen, nachhaltigen Erfolg gelandet. Die bei der Uraufführung ausschließlich mit Schauspielern besetzte Oper war ursprünglich ohne Instrumentalbegleitung vorgesehen, aber Johann Christoph Pepusch, der 1667 in Berlin geborene Musikdirektor des Londoner Theaters Royal Lincoln’s Inn Fields, bereicherte sie um eine Ouvertüre und stattete die vom Dichter der Folklore entlehnten Lieder mit Generalbass aus. 

Inhaltlich hatte sich John Gay von der Realität inspirieren lassen: Jack Sheppart, ein berühmter Verbrecher, war nach seinem spektakulären Gefängnisausbruch von einem Komplizen verraten, von der Polizei aufgegriffen und anschließend hingerichtet worden – ein Stoff, den zuvor bereits der schottische Komponist Allan Ramsey als Pastorale, mit Songs und Balladen angereichert, auf die Bühne gebracht hatte.

Noch größerer Popularität erfreuen durfte sich dann die von Elisabeth Hauptmann dem englischem Original Gays entlehnte, von Bert Brecht und Kurt Weill 1928 zum Welterfolg gestylte „Dreigroschenoper“.

Zwanzig Jahre später brachte Benjamin Britten eine eigene Version heraus, instrumental besetzt mit Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Harfe, Schlagzeug und Streichern. Und 1987 schuf Carl Davis eine Opern-Fassung, deren Instrumentation die damals zeitgenössische Unterhaltungsmusik zum Vorbild nahm.

An dieser Vielfalt von Möglichkeiten muss sich die neue, als „Musiktheatertanz“ definierte Version „La Bettleropera“ von Moritz Eggert messen lassen. Eggerts Neufassung, mit 28 selbst getexteten Songs und 12 Tanzmusiken, versteht der Komponist von 14 teils sehr erfolgreichen Bühnenwerken als ein „Songspiel“. Eggert alludiert bekannte Schlager, Pop- und Musical-Songs, so dass der Zuhörer oft meint, mitsingen zu können oder zumindest rätselt, woher er die Nummer kennt. Doch die Nähe zu bekannten Musicals, zu Bernstein und Weill, macht dann auch deutlich, dass Eggert kein Ohrwurm, kein neuer Hit geglückt ist.

Freiraum Syndikat“ nennt sich das vierköpfige Ensemble, deren hochprofessionelles Zusammenspiel von zwei Blockflöten, E-Gitarre und Violoncello, wie der Komponist es formuliert, „im Sound […] das Alte wie das Neue“ vereinen soll. Der Komponist verzichtet weitgehend auf den Einsatz des Schlagwerks und entgeht so der naheliegenden Gefahr, seine Songs mit einem Beat zu unterziehen. Nur ab und zu werden von einer der Flötistinnen kleine, kunstvolle Schlagwerk-Akzente gesetzt.

Sympathisch, dass – trotz gut funktionierender Verstärkung für die Darsteller – die rechts neben der Bühne platzierte Combo nie vordergründig ist, mangels Verstärkung ist sie bei der Applaus-Zugabe allerdings fast unhörbar.

Die Geschichte des von den Frauen begehrten Macheath (Christopher „Cro“ Ciraulo) wird in schwarzweißen Kostümen von Rebekka Dornhege Reyes linear erzählt, aber die bereits im Original „dem Publikumsgeschmack zuliebe“ erfolgende Begnadigung des Verbrechers unterbleibt hier.

Eggerts Lyrics, abwechselnd auf Deutsch, Italienisch und Englisch, werden auf zwei unabhängig bedienten Übertitelungsanlagen angezeigt, die deutschen Texte in englischer Übersetzung, die italienischen auch in deutscher Übersetzung.

Die Frage, warum in dieser Aufführung die doch sonst in der „Bettleroper“ nur eine Nebenrolle spielende Mrs. Peachum ständig das Zentrum der Handlung und den Motor der Aktionen bildet, beantwortet ein Blick auf die Besetzungsliste des Programm-Plakats: die ehemalige Bausch-Tänzerin Michela Lucenti zeichnet auch für Regie und Choreographie verantwortlich.

Die angekündigte Form eines neuen, gesungenen Tanztheaters löst sich nicht ein, auch wenn der tänzerische Dauerrausch des Ensembles selbst in der Pause nicht zusammenbricht und unbegleitet auch dann noch andauert, wenn sich das vortreffliche Instrumentalensemble eine kurze Pause gönnt.

Die von Sabrina Rossetto auf mehreren Ebenen mit verschiebbaren Kästen und partiell transparenten Wänden ausgestattete Bühne wirkt großstädtisch, Lucentis Inszenierung betont das Dirnenmilieu. Doch die Choreografie permanenter Fickbewegungen aller handelnden Personen ermüdet, und die mit dem Singen vielfach überforderten und schrillen Stimmen ziehen das Niveau der mit „sechs Kreativen aus der freien Berliner freien Tanz- und Theaterszene“ aufgemischten Besetzung immer wieder auf das einer engagierten Schulaufführung herab.

Der Premierenabend der Neuköllner Oper wurde von deren Fans bejubelt.

Fazit: von allen Bearbeitungen des Gay-Stoffes bleibt doch die von Kurt Weill am nachhaltigsten im Ohr und ist vorläufig weiterhin nicht zu toppen.

  • Weitere Aufführungen:  22., 10., 26., 27., 28., 29. 10., 2., 3., 4., 5., 9., 10., 12., 15., 16., 17., 18., 19. 11. 2017.

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