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Donizettis „Le Duc d'Albe“ in Antwerpen. Foto: Annemie Augustijns
Donizettis „Le Duc d'Albe“ in Antwerpen. Foto: Annemie Augustijns
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Vater gegen Sohn, Wein gegen Bier: Gaetano Donizettis „Le Duc d’Albe“ in neuer Vervollständigung durch Giorgio Battistelli in Antwerpen

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Dass ein großformatiges Werk des weltberühmten Librettisten Eugène Scribe und eines so renommierten Komponisten wie Gaetano Donizetti erst 173 Jahre nach der Entstehung zur Uraufführung kommt, ist erstaunlich. Die Umstände der Werkgeschichte erweisen sich allerdings als nicht ganz unkompliziert. Das Projekt „Le Duc d’Albe“ wurde abgebrochen, als der Text in Gänze vorlag und der Komponist etwa vier Fünftel der Musik zu Papier gebracht hatte. Bis zu seinem frühen Ausscheiden aus dem Berufsleben kam er nicht mehr dazu, sich darum nochmals zu kümmern.

Vier Jahrzehnte später bereitete Matteo Salvi die große Historienoper auf und das Teatro Apollo in Rom präsentierte sie 1882. Doch ohne nachhaltigen Erfolg. Nun hat de vlaamse opera einen zweiten Anlauf zur Rettung der Schreckensoper unternommen. Der italienische Komponist Giorgio Battistelli vollendete die Partitur mit modernen Einschüben und einem neuen Schluss. Und so kam der Herzog Alba nun doch noch als keineswegs positiv konnotierter Opernheld auf die Bühne – in Antwerpen. Dort also, wo der blutrünstige Feldherr und Statthalter in der Reformationszeit Zehntausende massakrieren ließ.

Es sei, meinten am Premierenabend mehrere Besucher im Theater am Frankrijklei, „ihr Stück“. Da hatten sie Recht. Die Oper, an der die Arbeit 1839 abrupt und ohne Kommentar gegenüber Freund oder Feind abbrach, spielt um 1570 in Flandern. Sie ist ein emphatischer Kommentar zum Kampf der Niederländer um politische und religiöse Freiheit. Eugène Scribe müssen allerdings die Teufel der Freigeisterei geritten haben, als er dem 1838 wegen der bourbonischen Zensur in Neapel nach Paris emigrierten Donizetti ausgerechnet dieses hoch politisierte Libretto anvertraute. Denn in Paris war – nach einem fast geglückten Attentat auf den Börsen- und Bürgerkönig Louis Philippe – die Bücher- und Theater-Zensur wieder eingeführt und das Strafmaß für kritische journalistische Berichterstattung drastisch heraufgesetzt worden. Dass in dieser Situation eine Grand Opéra herauskommen könnte, die unverhohlen Sympathie mit einer historischen revolutionären Bewegung im nicht allzu fernen Flandern bekundete und den Tyrannenmord auf offener Bühne in höchsten Tönen besang, stand in den Sternen.

Geschmeidig wandten sich Scribe und Donizetti anderen Projekten zu und recycelten Teile des „Duc d’Albe“ – Donizetti für „La Favorite“ von 1840, der Dichter für die dann von Giuseppe Verdi komponierte Oper „Les Vêpres siciliennes“. Die Direktion der Pariser Opéra leistete die fälligen Restzahlungen für die Manuskripte und war damit nicht mehr zu einer Realisation des zunächst nur auf die lange Bank geschobenen Projekts verpflichtet. In der nach 1849 folgenden Ära des konterrevolutionären Putschisten Napoléon III. bestand für einen politisch nicht ganz unabhängigen Operndirektor wenig Interesse, in der Hauptstadt der Epoche mit „Le Duc d’Albe“ zu provozieren. Dass dieses Werk so lang das Licht der Opernwelt nicht erblickte, lag also nicht an einem unerwarteten Direktionswechsel oder einer zickenden Sängerin, sondern an der restaurativen Politik eines Landes, das sich 1840 gerade anschickte, wieder einmal bei den nordöstlichen Nachbarn militärisch aktiv zu werden.

Das Libretto von 1839 ist kaum anders zu lesen denn als Liebeserklärung an die Flamen, die – zusammen mit den Walloniern – ein knappes Jahrzehnt zuvor durch eine Revolution die Selbständigkeit errungen hatten, deren kleines Königreich aber von der offiziellen französischen Politik als Satellitenstaat bzw. militärisches Vorfeld in den kommenden Auseinandersetzungen mit dem erstarkenden Deutschland betrachtet wurde. Scribe erinnerte nachdrücklich an die schlimmsten und zugleich heroischsten Jahre Flanderns, die 1567 mit der Ernennung von Don Fernando Álvarez de Toledo y Pimentel, dem Herzog Alba, zum Statthalter in den Niederlanden begannen – der spanische Grande hatte sich bereits zwei Jahrzehnte zuvor anlässlich des Schmalkaldischen Kriegs in Mitteldeutschland im Auftrag von Kaiser und Papst als Protestantenschlächter profiliert.

Auch in der Region Brüssel-Gent-Antwerpen tat er „nur seine Pflicht" – aber das zu mehr als 150 Prozent. Er installierte Sondergerichte, ließ die Druckereien und Buchhandlungen überwachen, deren Inhaber verbannen oder hinrichten. Albas „Blutrat von Brüssel“ liquidierte ~6.000 Niederländer (unter ihnen Lamoral Graf von Egmont), in Mecheln und Antwerpen wurden ~18.000 Menschen erschlagen, erstochen, geköpft und auf Scheiterhäufen verkohlt. Nach mehreren verlorenen Schlachten gegen die leistungsfähigste Armee der damaligen Zeit stellten die Unabhängigkeitskämpfer auf Guerillakrieg um und waren so erfolgreich, dass Philipp II. 1573 den „Bloedhond“ Alba wegen dessen offensichtlicher politischer Unfähigkeit und den zu hoch gewordenen militärischen Opfern nach Spanien zurück beorderte und verbannte.

All das wird im Text von Eugène Scribe klar angesprochen, mit dem Bierbrauer Daniel ein Mann aus dem Volk in die erste Reihe der Protagonisten gerückt und der Chor mit mehreren emphatischen Freiheitsgesängen stark fokusiert. Metaphorisch treten der spanische Wein gegen das belgische Bier an und werden von den Angehörigen der jeweiligen Volksgruppen deftig besungen. Die gerade in den heiteren Opern des 19. Jahrhunderts allseits so beliebten Trinklieder mutieren zu Kampfliedern.

In der zeitüblichen Weise überlagerte das Libretto die konfliktuöse historische Grundierung mit einer Love-Story. Hier ist es ein Vater-Sohn-Konflikt, über dem die große Liebe zwischen Hélène, die Tochter und Rächerin des (durch Goethes frühes Drama bekannt gebliebenen) Grafen Egmont und dem Tenor Henri de Brugges zerbricht – er wird als mehr oder minder legitimer Sohn des Herzogs Albas geoutet und zwischen den Fronten zerrieben. Am Ende ersticht Hélène statt des Herzogs ihn (weitgehend versehentlich…). Der Bluthund, bestraft immerhin mit dem Verlust des geliebten Sohns, kann sich unbehelligt in seine Heimat einschiffen. Wurden „Die Hugenotten“ von Eugène Scribe und Meyerbeer von der Pariser Zensur 1836 noch durch Verstümmelung für die Uraufführung „gerettet“ – „Le Duc d’Albe“ war politisch-ästhetisch offensichtlich zu weit vorgeprescht.

Dass Matteo Salvis Versuch, die hoch dramatische Musik Donizettis fürs Opernrepertoire zu erschließen, kein Glück beschieden war, wurde bereits erwähnt. Er bearbeitete die Partitur insgesamt nach einem Zeitgeschmack, dem Donizettis Stilmittel zu unentwickelt erschienen. Vor allem aber in der Konkurrenz mit der „Sizilianischen Vesper“ konnte sich die Arbeit von Donizetti/Salvi wegen der zu großen Ähnlichkeit der Plots nicht durchsetzen. Die zweite Komplettierung des Torsos durch Giorgio Battistelli befleißigte sich nun, so weit irgend möglich, einer auf alle fertig gestellten Teile und die Skizzen gestützten „Originaltreue“, ergänzte zunächst behutsam, machte dann aber durch eine ganz vom 20. Jahrhundert geprägte Intonation die Unterschiede zum Donizetti-Sound deutlich. Das neu komponierte Schluss-Tableau setzt mit seiner „depressiven“ Stimmung einen klaren Kontrapunkt zum heroisch Lärmenden der beiden ersten Akte. Da kommt keine laute Freude auf über die schmähliche Abberufung Albas durch den spanischen König Philipp II., nur leise Genugtuung und fortdauernde Sorge. Der vierte Akt mutet nun an wie eine neu hochgezogene Mauer, in die Spolien eingelassen wurden.

Carlos Wagner inszenierte die große Historienoper gestützt auf Großsymbole der Ausstattung von Alfons Flores. Soldaten des zweiten Weltkriegs, wie sie auf Kriegerdenkmälern in Belgien allenthalben zu sehen sind, monumental vergrößert, halten durchgängig die Erinnerung wach an das, worum es auch in der Liebesgeschichte geht. Denn größer noch als die Liebe der Grafentochter zu Henri ist die zum toten Vater Egmont. Rachel Harnisch bestreitet, zunächst nicht ganz koloraturensicher, die Partie der Hélène, in der sie dann auch stimmlich doch noch heroische Größe zeigt, tritt in Offiziershosen und mit jenem weißen Umhang auf, mit dem einschlägige Kostümfilme und Operninszenierungen minderer Güte Jeanne d’Arc auszustatten pflegen.

Das mag ein ironisches Zitat gewesen sein – wie das der Madonna mit dem Kind, der die Titelfigur immer wieder mit Inbrunst zugetan ist. George Petean erscheint mit seiner vernarbten Glatze als wahrhaft martialischer Blutherrscher, öffnet dann aber in der Erkennungsszene mit dem Sohn die stark tätowierte Brust. Ausgestattet mit durchschlagender Baritonstimme tanzt er, seine Machtfülle und Strenge genießend, mit kurzen Hosen auf dem Schreibtisch herum, als wäre er das Kleine Arschloch von Walter Moers. Als Sympathieträger wurde er jedenfalls nicht in Szene gesetzt. Dies widerfuhr in vollem Umfang Ismael Jordi, der mit einer klaren und unparfümierten Tenorstimme imponierte (manche vermissten eine größere Portion Schmelz). Der als Freiheitskämpfer wie als spanischer Grandensohn scheiternde Henri ist der eigentliche Hauptheld der Oper.

Zu deren Gelingen in Antwerpen trug der Chor einen Löwenanteil bei und das Orchester van de Vlaamse Opera unter Paolo Carignani mit einer insgesamt soliden, phasenweise sehr intensiven Leistung. Die Regie könnte sich bei künftigen Produktionen zu einer vielschichtigeren Sicht auf Geschichte aufraffen und müsste nicht nur zweckdienlich narrativ an den Patriotismus der heutigen Belgier oder Flamen appellieren. Ohnedies könnte das Werk auch anderswo erhebliche Chancen haben.

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