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Daniel Prohaska. Foto: © Christian POGO Zach
Daniel Prohaska. Foto: © Christian POGO Zach
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Vergebliche Liebesmüh – Stream-Uraufführung der Oper „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ im Münchner Gärtnerplatztheater

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Im Frühjahr 2020 war das Werk zur Uraufführung fertig -und fiel dem Lockdown zum Opfer. Seither wurde geplant und wieder geschoben, bis sich das Staatstheater jetzt zu einer Präsentation unter Pandemie-Bedingungen entschloss: alles Bühnenpersonal dauergetestet und daher Spiel mit Körperkontakt möglich; Umarbeitung auf kleinere Orchesterbesetzung – und: getestete Pressevertreter durften mit Maske in den Zuschauerraum, für pausenlose zwei Stunden Premiere. Unser Kritiker blieb wie alle anderen Zuschauer beim Stream-Erlebnis.

„Die Wirklichkeit ist immer eine verpatzte Angelegenheit. Deshalb gibt’s doch die Kunst“ lässt Librettist Peter Turrini den Bühnen-Schubert über seine wenig attraktive äußere Erscheinung sagen. Das gilt so auch für sein ganzes Leben. Turrini, Komponistin Johanna Doderer, voran Anstoß- und Auftraggeber sowie Regisseur Josef E. Köpplinger haben einen der historischen Tagesausflüge der „Schubert-Blasn“ ins Gartenlokal von Atzenbrugg zum Brennspiegel seines Lebens gemacht: Gaudi und Naturerlebnis; mehrfache Begegnung mit den hungernden Krüppeln der Napoleonischen Kriege; kleine Bosheiten und Angst vor Metternichs Spitzeln; Schubert könnte Josepha von Weisborn seine heiße Liebe gestehen – und bringt kein Wort heraus: „Aus dem Herzen verlier ich nichts, da rennt nichts davon. Nicht die Trauer und nicht die Sehnsucht. Tag und Nacht sitzen‘s wie Bleikugeln in mir und bewegen sich nicht“ lässt Turrini ihn bekennen. Die Metzgertochter Dorothea Tumpel fragt nach, wieso einer traurig ist, wenn er doch ein „Gott der Musik“ ist – Schubert: „Weil er ein Mensch ist.“ So gibt der fesche Franz von Tassié am Tagesende seine Verlobung mit Josepha bekannt – und in einer großen Solo-Schlussszene mit der mehrfach wiederholten Frage „Geliebte, wo bist du?“ muss der fast gänzlich entblößte, zusammenbrechende Schubert erkennen, dass ihm aus dem (Bühnen-) Himmel nur eine überbordende Fülle an Notenblättern gewährt wird.

All das macht das Turrini-Libretto in knapp zwei Stunden gut einsichtig. Eine große Anklage Schuberts über seine eigene Quecksilber-Behandlung weitet Turrini zur gesellschaftskritischen Attacke auf das Kaiserhaus bis hin zu allen Arrivierten – das wirkt ein bisschen sehr „heutig“; die derzeitige Floskel „Die nervt“ ließe sich wohl leicht abändern.

Johanna Doderer war sich der kompositorischen Herausforderung zwischen Schuberts Musik und Moderne bewusst. Jetzt war schon das „Hereinfließen“ von kleinen Zitaten und Anklängen an Kammermusiken, Lieder und Tänze Schuberts reizvoll zu hören. Dann gelingen ihr dramatische Ballungen mit dissonanten Gipfeln. Dazwischen fließt vieles dahin, mal kurz melodiös, mal mit kantigem Klavier auf orchestraler Fläche. Am Ende stellt sich nur ein: nichts bleibt musikdramatisch wirklich hängen, der „Held“ hat kein griffiges Thema, mit dem der Besucher nachhause geht. Doch ein endgültiges Urteil wird wohl erst nach der „Fassung für großes Orchester“ zu fällen sein - womit die Leistungen von Dirigent Michael Brandstätter, Orchester und Chor (Einstudierung: Felix Meybier)   nicht verkleinert werden sollen.


Ausstatter Rainer Sinell lässt aus düster waberndem Nebel einen großen Leiterwagen mit darauf fixiertem Kastenklavier auf die Drehbühne rollen. Deren vielfältige Drehs nutzt Regisseur Köpplinger dann höchst gekonnt zu Fahrt, Jausen-Stopp, kleinen Konfrontationen oder Abstechern in die durch wechselnde Hintergrundprojektionen beschworene Natur; Schubert steht bei zwei, drei Versuchen der geliebten Josepha verklemmt stumm gegenüber – und tobt sich dann nur am Klavier mal leidenschaftlich, mal verspielt aus. Am Schluss fahren alle im Gewitterdonner nach hinten davon – auf wieder düster leerer Bühne beklagt der existentiell einsame Künstler sein menschliches Scheitern und ahnt sein nahes Ende. Diesen großen Bogen gestaltet Tenor Daniel Prohaska in sehr guter Maske mit hochdifferenzierter Expression; seine emotionale Stummheit lässt einen mit der davor hilflos schließlich auf eine überreichte Blume hoffenden Josepha von Maria Celeng mitleiden. Auch Malerfreund Kupelwieser scheitert mit mehrfachen „Kuppel“-Versuchen, was Mathias Hausmann in prächtigen Baritonphrasen gestaltet. Er sei stellvertretend für die sechs hübsch differenziert gezeichneten Freundinnen und Freunde genannt, die von Kunstpfeiferin Louise alias Andreja Zidaric mit blitzenden Koloraturen überstrahlt wurde. Ihnen allen nahm die Stream-Übertragung kaum etwas an Wirkung. Ob das Werk sich als Künstler-Porträt auf dem Musiktheater behaupten kann, wird wohl die reguläre Großfassung besser beantworten. Dem Schubert-Freund bleibt über die Stream-Woche hinaus ein möglicher Trost bei Fritz Lehners überragendem TV-Sechsteiler „Mit meinen heißen Tränen“ – ein Monument der Schubert-Darstellung.

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