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„Zwischen Nacht & Traum“ – ein Jugendprojekt im Rahmen des IMPULS Festivals. Foto: Kees van Eijsden
„Zwischen Nacht & Traum“ – ein Jugendprojekt im Rahmen des IMPULS Festivals. Foto: Kees van Eijsden
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Vielfarbig, kurzweilig, publikumsfreundlich: das IMPULS Festival 2011 in Sachsen-Anhalt

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Mehr als 60 Festivals für Neue Musik gibt es in Europa, gewiss fünfmal so viele wie im Rest der Welt. Zu den jüngsten zählt das IMPULS Festival für Neue Musik in Sachsen-Anhalt, das erst seit 2008 jährlich im November stattfindet, verteilt über das mitteldeutsche Bundesland und über drei bis vier Wochen. Muss das sein? Eine negative Antwort – etwa „nein, wir haben mehr als genug davon“ – ließe allerdings auf Unkenntnis dieses Festivals schließen. Damit es von vornherein klar ist: Ich bekenne mich als IMPULS-Fan und will auch gerne erklären, warum.

Kürzlich hat Christine Lemke-Matwey in einem geistreichen Bericht über das wahrscheinlich prominenteste Festival für Neue Musik anlässlich dessen 90. Geburtstag deutlich zum Ausdruck gebracht, dass gerade neue, genauer gesagt Neue Musik häufig unter Alterserscheinungen leidet, dass auch „die Filter zwischen den Spezialfestivals auf der einen Seite und dem Kulturbetrieb auf der anderen offenbar nicht funktionieren“ und dass bei dem häufig sehr aufwändigen, in jeder Hinsicht anspruchsvollen Eventbetrieb „traditionell eines leicht vergessen wird: das Publikum“, zumal viele der dort präsentierten Novitäten die gleiche Schwäche zeigen: „Man … hat doch spätestens nach einem Drittel der Zeit verstanden. Der Rest ist eine Frage der Geduld“ (Der Tagesspiegel, 19. 10. 11).

In diese Festival-Kategorie gehört IMPULS jedenfalls nicht, denn es ist zuallererst fürs Publikum gemacht. Doch das will im November erst einmal hinterm Ofen hervorgelockt sein – vor allem in Sachsen-Anhalt, wo einst Bach, Händel und Telemann zu Hause waren und noch heute in Köthen, Halle und Magdeburg traditionell gefeiert werden, verdientermaßen. Da kommt es für ein junges Festival mit Neuer Musik auf ein überzeugendes Konzept an: auf Programmgestaltung, Präsentation, Veranstaltungsorte, auf die Zutaten wie auf deren geschickte Verquirlung – solide und frech zugleich, kurzweilig und farbenfroh, dabei die verfügbaren, sehr limitierten Kräfte und Mittel optimal nutzend.

Alles das haben die IMPULS-Geber, der Initiator und Intendant Hans Rotman und die Dramaturgin Almut Fischer, bei der Gestaltung des 4. Festival-Jahrgangs in eindrucksvoller Weise bedacht und in sehr unterschiedlichen Programmen umsetzen können, zumeist zur ungetrübten Freude, häufig gar zur Begeisterung des Publikums. Dabei passte auch noch alles unter das zwar ergiebige, aber doch anspruchsvolle Motto „Zwischen Nacht und Traum“. Möglich war das, weil sich dieses Festival in seiner ausdrücklichen Zielsetzung, „neue Musik einem breiten Publikum zu eröffnen“, jeder Dogmatik, jeder strengen Definition von Neuer Musik enthält, vielmehr gerade die Vielfalt der Ausdrucks- und Stilmittel neuerer bis ganz neuer Musik darstellen will und dabei sogar modern anmutende Kostproben der Musik früherer Epochen in die Programme einflicht.

Beispiel: Das Philharmonische Kammerorchester Wernigerode bietet seinem eher konservativen Publikum „The nocturnal dances of Don Juanquixote“, ein augenzwinkernd virtuoses Cellokonzert des Finnen Aulis Sallinen mit dem fulminanten Solisten Ramon Jaffé, und als eines der im Festival uraufgeführten Werke „Händels Albtraum“ von Thomas Buchholz aus Halle, in dem, wie zu erwarten, der Barockmeister mehrfach anklingt, aber immer wieder in die Moderne „entgleist“. Das Finale bilden Strawinskys knappe „Danses Concertantes“, am Beginn aber steht als klassisches Nachtstück Mozarts Serenata Notturna in der ebenso originellen wie originalen Besetzung für Streicher und Pauken. Die Leitung dieses „nach dem agglutinierenden Prinzip, also anleimend an Vertrautes“ (Hans Walter in der „Harzer Volksstimme“) funktionierenden Programms teilt sich der vielseitig-dynamische Orchesterchef Christian Fitzner mit dem jungen Phillip Barczewski, bereits vielfach bewährter Junior-Dirigent des Festivals. So gibt es „langen Jubel“, wie der lokale Rezensent vermeldet, am Ende dieser „hinreißenden ‚Stunde der Klassik’ . . . wie immer klug und gewitzt moderiert“ – von niemand anderem nämlich als dem IMPULS-Intendanten Hans Rotman.

Ein weiteres spezifisches IMPULS-Merkmal sind Jugendprojekte, nämlich die Einbeziehung von bereits bestehenden jungen Ensembles wie auch von Jugendlichen, die dabei erstmals auf einer Bühne agieren. Während 2009 in Magdeburg jugendlichen Akteuren mit und ohne Vorlaufpraxis das „Odyssee“-Musical zum furiosen Finale geriet, 2010 mehrere Jugendorchester dem Festival mit Aufführungen u.a. in Halle und Blankenburg-Michaelstein Glanzlichter aufsetzten und außerdem in Dessau gleich zehn Komponisten im Schüleralter ein Podium geboten wurde, startete IMPULS 2011 im Thalia Theater Halle mit einem Crossover aus Neuer Musik, Tanz und Schauspiel, bei dem – an Simon Rattles Projekt „Rhythm is it!“ erinnernd – 20 Jugendliche erstmals die Bühne eroberten, gestützt von einem hochrangigen Orchester: In sechs Monaten intensiver Arbeit hatten die ganz überwiegend weiblichen Theater-Novizen mit der Choreografin Maria Walser und dem Regisseur Michael Uhl ein Konzept zum Festival-Thema „Zwischen Nacht & Traum“ entwickelt, das sie nun in Partnerschaft mit Streichern und einem Schlagzeuger der Staatskapelle Halle unter Hans Rotmans zuverlässiger und inspirierender Leitung umsetzten.

Faszinierend war daran die individuelle wie zugleich geschlossene Tanz-, Spiel- und Sprechleistung der Jugendlichen, sicher und prägnant geboten vor und zu einer Musikkulisse aus durchaus kontrastierenden, dennoch unmittelbar aufeinander folgenden Werken von John Adams, Iannis Xenakis, Marc Antony Turnage, Thomas Buchholz und Philip Glas. Der außerordentliche Erfolg sprach sich in und um Halle schnell genug herum, sodass die beiden dann folgenden Aufführungen nahezu ausverkauft waren.

Als jüngster Komponist, der im Vorjahr mit dem IMPULS-Preis ausgezeichnet worden war, konnte sich der 13-jährige Carl-Frederik Zeh darüber freuen, dass seine aparte „Kleine Nachtmusik“ für Bläser-Oktett, Kontrabass, Klavier und Schlagzeug als eine von sechs Uraufführungen des Festivals gleich in drei Programmen verschiedener Orchester – Halberstadt/Quedlinburg, Halle und Dessau – auftauchte. Nur wenigen Komponisten, und seien sie hochbetagt, mag derartiges je widerfahren sein.

Überhaupt zeichnet sich das IMPULS-Festival durch Vielfalt aller Arten aus: In diesem Jahr gab es 14 verschiedene Programme, aufgeführt von 10 Orchestern, erstmals auch unter Mitwirkung des MDR Rundfunkchors, in 6 Städten aber 13 Lokalitäten, davon allein 5 in Halle (Saale). Fährt man in der alten Universitätsstadt mit der Straßenbahn, dann wird man bei der Ansage zur Haltestelle Steintor darauf hingewiesen, dass es sich bei dem dort befindlichen „Steintor Varieté“ um „das älteste Varieté Deutschlands“ handelt. Tatsächlich lohnt bereits die im Krieg unzerstört gebliebene Räumlichkeit den Besuch: ein hoher, von zwei Rängen umfasster Saal, an der Decke ein gemalter Sternenhimmel, mit variablem Podium, auf dem u.a. bereits vor ca. 85 Jahren das Gesangssextett der „Comedian Harmonists“ auftrat, wo aber ein Klangkörper wie das MDR Sinfonieorchester nur bei engster Bestuhlung unterkommt. Hier findet die international besetzte „Traumwerkstatt“ unter der Leitung von Peter Ruzicka ihren Abschluss, vor zahlreichen Besuchern und vom Mitteldeutschen Rundfunk live übertragen.

Ruzicka, selbst als Komponist, Dirigent sowie Intendant prominenter Orchester und Festivals erfahren, stellt im ersten Teil des Abends Werke des Kanadiers Samy Moussa und der Deutschen Iris ter Schiphorst in kurzen Gesprächen mit den Komponisten vor sowie seine eigene Komposition „Ins Offene“. Auch hier überzeugt die Zusammenstellung dreier Werke ganz unterschiedlicher Handschriften, sämtlich von Streichern dominiert, mit je spezifischem Charakter – flirrenden Polarlicht-Effekten bei Moussa, Elementen von Minimal Music bei Schiphorst, Kontrast zwischen Aufgeregtheit und Ersterben bei Ruzicka. Während Moussa und Ruzicka ihre Partituren selbst dirigieren, tritt für „Broken oder Why don’t you say a word“ der begabte junge Amerikaner Michael Ellis Ingram ans Pult des bestens disponierten MDR-Orchesters.

Schließlich ist von einer weiteren Besonderheit des diesjährigen IMPULS Festivals zu berichten: In fünf ganz unterschiedlichen Programmen wirkten Sprecher mit, teils in von den Komponisten vorgegebenen Texten – so im zweiten Teil der „Traumwerkstatt“ der Schauspieler Dominique Horwitz in Viktor Ullmanns „Weise von Liebe und Tod“ nach Rainer Maria Rilke, wenige Tage später bei den „Macht-Träumen“ in der Händelhalle – der Kontrast könnte größer nicht sein – der Comedian Olaf Schubert (selbstverständlich im schwarz-gelben Rautenpullunder) in Maurizio Kagels „Der Tribun oder 10 Märsche um den Sieg zu verfehlen“, einem Part, der für ihn geschrieben schien bis hin zum finalen Marsch, für den er sich am Drum-Set dem sehr kompetenten Jugendjazzorchester Sachsen-Anhalt unter Ansgar Striepens anschloss. Für mehrere Programme aber hatte die Dramaturgin Almut Fischer Texte ausgewählt, die geschickt eine Musik mit der nächsten verbanden, gar in sie hineinführten. So fügte der Schauspieler Stefan Reck in den „Nachtlichtern“ im Neuen Theater Halle einfühlsam Passagen aus Dostojewskis Erzählung „Weiße Nächte“ zwischen Werke von L. Andriessen, H.K. Gruber und E. Rautavaara ein.

Bei der Abschlussveranstaltung in Dessau, in der großartig wiederaufgebauten und nun als Konzerthaus genutzten Marienkirche, wo beim mittlerweile schon traditionellen „Dirigentengipfel“ der Taktstock unter den IMPULS-bewährten Kapellmeistern nach jedem Stück weitergereicht wird, war der Dessauer Ehrenbürger Dieter Hallervorden mit Texten von E.A. Poe wohl nicht optimal bedient, wurde aber schließlich gemeinsam mit den fünf Gipfeldirigenten und der entsprechend flexibel aufgelegten Anhaltischen Philharmonie herzlich gefeiert. Zu Ende ging ein geist- und liebevoll konzipiertes, enorm vielfarbiges, kurzweiliges, von allen Mitwirkenden mit großem Engagement ausgeführtes Festival, dem auch nicht zufällig von Jahr zu Jahr größerer Zulauf beschieden ist.

Vom 8. bis 24. November 2012 veranstaltet der Landesmusikrat Sachsen-Anhalt die nächste Runde, auf die ich mich offengestanden jetzt schon freue.

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