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2021|2022 Lohengrin: Magnus Vigilius (Lohengrin). Foto: © arifoto Michael Reichel
2021|2022 Lohengrin: Magnus Vigilius (Lohengrin). Foto: © arifoto Michael Reichel
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Vokaler Glanz vor romantischer Kulisse – In Meiningen inszeniert der Ex-Intendant „Lohengrin“

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Was Richard Wagners „Lohengrin“ betrifft, so liegt Meiningen nicht nur geographisch ungefähr auf dem Weg zwischen Weimar und Bayreuth. In Weimar sorgte Franz Liszt 1850 für die Uraufführung der romantischen Nie-sollst-du-mich-befragen-Oper. Da war Wagner den Obrigkeiten noch verdächtig und quasi auf der Flucht vor der sächsischen Polizei. Als ein Vierteljahrhundert später mit des bayrischen Königs und des Reichskanzlers Hilfe sein Festspielhaus auf dem Grünen Hügel in Bayreuth stand, er zum Überkomponisten seines ganzen Jahrhunderts aufgestiegen war, gehörte „Lohengrin“ natürlich zu den Stücke, die der Meister sich selbst durchgehen ließ und für den Werkekanon der Festspiele vorsah.

Einem Wagnerianer muss man nicht erklären, warum „Lohengrin“ zu den Favoriten seiner Gunst zählt. Der liebt das Vorspiel in seinem silbrigen Glanz, lauscht nach den aufblitzenden Momenten der Romantik, wenn sich Elsa einen Ritter „in lichter Waffen Scheine“ herbei schwärmt, staunt über die abgründige Boshaftigkeit des finsteren Paares Ortrud und Telramund, freut sich auf eine Wunschkonzertnummer wie den populären Hochzeitsmarsch und hält den Atem an, wenn Lohengrin in der geschickt ans Ende platzierten Gralserzählung sein inkognito aufgibt und das einzige Mal an einem langen Abend seinen Namen nennt.

Eigentlich ist „Lohengrin“ ein pures Märchen. Wie gemacht für eine romantische Kulisse, wie sie jetzt Dieter Richter in Ansgar Haags Meininger Inszenierung auf den Rundhorizont und einen Zwischenvorhang hinter und vor den zwei riesigen, wunderbar verfallenen Wandsegmente malerisch hingezaubert hat. Und doch: blinde Gefolgschaft einer ganzen Gesellschaft für einen Blender, der aus dem Nichts kommt und sich jede Nachfrage verbittet? Ein König, der Truppen für die Abwehr eines Angriffs aus dem Osten rekrutieren will? Der Kampf um den Thron und das Land zwischen einem (ja doch) rechtschaffenen Verwalter der Macht, nebst Gattin mit Migrationshintergrund, und der blutjungen Erbin? Obendrein eine, die sich erst auf blinden Gehorsam einlässt und sich dann spätestens im Brautgemach emanzipiert? Und dann auch noch als Lösung nach der finalen Katastrophe ein aus dem Hut gezauberter Thronerbe als ein „Führer“, weiß Gott wohin?

Die Regie hat hier eigentlich nur zwei Optionen – all das hinterfragen und damit womöglich die Gemeinde, die das Stück aus dem FF kennt, verärgern. Oder es einfach in seiner romantischen Einbettung nacherzählen und wirken lassen. In Meiningen wird jetzt zwar aus dem „Reich“ plötzlich das netter klingende „Land“ und aus den bösen Ungarn der Osten. Aber das ist minimal. Beim „deutschen Schwert“ bleibt es ebenso wie am Ende beim „Führer“ für Brabant. Immerhin bei der Chorregie (Einstudierung: Manuel Bethe) ist subtile Selbstentlarvung am Werke. Erst versammeln sie sich wie ein braver Gesangsverein oder marschieren vor der Hochzeit folgsam im Kreis. Aber wenn es darum geht, Partei für oder gegen Friedrich Telramund oder den Wunderritter aus der Fremde zu ergreifen, dann überschlagen sie sich in übereifrigem Opportunismus; wechseln ohne Probleme vom „Wir streiten nur für dich“ zum „Fluch ihm“. Ungefähr so funktioniert das immer noch.

Bei den Salzburger Osterfestspielen hat Jossi Wieler (der in der kommenden Spielzeit auch in Weimar als Regisseur auf der Agenda steht) das Ganze so radikal gegen jede Rezeptionstradition hinterfragt, dass es krachte. Bei ihm hat Elsa ihren Bruder tatsächlich umgebracht und fantasiert sich den Ritter als eine Art Selbstsuggestion herbei. Dass alle anderen diese Imagination teilen, bleibt aber die offene Flanke in der Binnenlogik, die auch jede Überschreibung braucht. Kurz davor, hat man sich in Leipzig – ohne solchen Kollateralschaden – auf ein psychologisches Kammerspiel beschränkt. In Meiningen erzählt der Ex-Intendant des Hauses die Geschichte gradlinig. Das ist nicht nur legitim, sondern auch mal ganz schön.

Was diesen Meininger „Lohengrin“ aber außergewöhnlich macht, ist eine musikalische Qualität, die keinen Vergleich scheuen muss. Zwar hatte Leipzig den Schwanenritter vom Dienst, Klaus Florian Vogt, auf dem Besetzungszettel, aber die vokale Strahlkraft und optische Lichtgestalt, die Magnus Vigilius in Meiningen bot, kann da gut mithalten. Mehr ist bei dieser Rolle im Moment kaum drin! Zwar sind der in Salzburg zu erlebende Klangzauber der Sächsischen Staatskapelle unter Wagners Statthalter auf Erden, Christian Thielemann, derzeit nicht zu überbieten, aber mit dem Silberglanz des Vorspiels, dem königlichen Blech aus den Logen und dem immer geerdeten Drive gehen die Hofkapelle und ihr GMD Philippe Bach bei diesem kleinen „Lohengrin“-Wettbewerb keineswegs als letzte durchs Ziel! Natürlich ist es immer auch Geschmacksache und das Haus in Meiningen ist kleiner als die anderen beiden, aber so eine kraftvoll strahlende Elsa wie Lena Kutzner, so eine fulminante Ortrud wie Sabine Hogrefe, ein so nobel vehementer Friedrich Telramund wie Shin Taniguchi – alle würden auch an größeren Häusern jede Produktion adeln! In diesem Protagonistenensemble, das Tomasz Wija als Heerrufer und Selcuk Hakan Tıraşoğlu als dessen königlicher Chef komplettieren, singen alle auf einem erstaunlich hohen Niveau.

Die Mär, dass es keine Wagnersänger mehr gäbe wird in Meiningen grandios widerlegt! Auch, dass Wagner zum lebendigen Erbe der Hofkapelle gehört und Philippe Bach genau das auf beglückende Weise abzurufen versteht, ist ein Erfahrungswert, der sich aufs schönste bestätigt.

Die neue Flexibilität, die diverse Coronaquerschläge bei der Premierenplanung im ganzen Land auch dem Kritiker abverlangt, erforderte diesmal den Besuch der Generalprobe. Wenn die Premiere auch nur annähernd so gelingt, dann wäre alles andere als stürmischer Jubel in der Premiere ein seltsam Wunder!

  • (Premiere am 22. April 2022, besuchte Vorstellung, Generalprobe am 20. April 2022)

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