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2021|2022 Santa Chiara: Lena Kutzer (Charlotte), im Hintergund: Marianna Schechtel (Bertha), Johannes Mooser (Alexej), Lisa Reimschüssel (Mätresse Alexejs) und Gerlinde Buchheim (Alexejs Mutter). © Christina Iberl.
2021|2022 Santa Chiara: Lena Kutzer (Charlotte), im Hintergund: Marianna Schechtel (Bertha), Johannes Mooser (Alexej), Lisa Reimschüssel (Mätresse Alexejs) und Gerlinde Buchheim (Alexejs Mutter). © Christina Iberl.
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Vom Mordopfer zur Heiligen – Das Staatstheater Meiningen erweckt die Oper „Santa Chiara“ von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha zu neuem Leben

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Dass die Thüringer Theaterlandschaft geradezu sprichwörtlich ist, gehört zum bessere Erbteil der deutschen Kleinstaaterei. Dabei gab es Fürsten, deren persönlicher Beitrag deutlich über dem üblichen Standard lag, sich um diverse Theaterbauten zu kümmern und für die Orchester und Künstler, die sie mit Leben erfüllen. Georg II. von Meiningen hat sich den Ehrentitel eines Theaterherzogs redlich verdient. Er hat zwar das Musiktheater abgeschafft, dafür aber sein Schauspiel auf Weltniveau gehoben, mit dem er über Jahrzehnte in ganz Europa Maßstäbe setzt. Nicht nur durch „sein“ Theater ist dieser Kleinstaatfürst auch heute noch in Meiningen beinahe allgegenwärtig. Sein fürstlicher Nachbar in Sachsen-Coburg und Gotha, Ernst II. (1818-1893), hat nicht nur für die Theater in Coburg und Gotha gesorgt, sondern sogar selbst komponiert.

Der ältere Bruder von Prinz Albert (der als Ehemann von Queen Victoria von London aus weltberühmt wurde!) „musste“ mit 26 Jahren die Herrschaft übernehmen, brachte es aber dennoch, quasi nebenbei, als Komponist u.a. auf fünf Opern! Mit seiner vierten unter Franz Liszt 1854 in Gotha uraufgeführten „Santa Chiara“ hatte sogar einen europaweiten Erfolg, der die damals von allen heiß begehrte Opernmetropole Paris einschloss.   

Die Story ist allerdings selbst für Opernverhältnisse ziemlich sonderbar. Da wird die junge deutsche Prinzessin Charlotte Christine aus politischem Kalkül an den Zarenhof nach Russland verschachert, um den Sohn von Peter dem Großen zu heiraten. Dem fehlt aber nicht nur jede Größe des Vaters, ihm kommt auch sein Verstand abhanden. Für eine Mätresse reicht es aber noch und so wird Charlotte Christine nicht nur öffentlich gedemütigt, sondern sogar vergiftet! 

Ihr gelingt auf wundersame Weise die Flucht aus dem Sarg ins Exil. In der Meininger Inszenierung von Hendrik Müller greift sogar Jesus persönlich ein, um sich nach diesem Wunder zwischendurch eine Zigarette danach zu genehmigen. So kann die Prinzessin, jetzt mit neuer Identität versorgt, nach der Pause einer zweiten Karriere widmen. Sie wird als Heilige Chiara zum Zentrum einer religiösen Sekte. Dafür hat ihr Marc Weeger jetzt eine Zirkusmanege mit Zuschauertribünen gebaut, die im offenen Kontrast zu der Zimmerflucht im Zarenpalast steht, der im ersten Teil auf der Drehbühne rotierte. Zwischen tableau vivant und blumenüberladener Aufbahrung der Toten samt Flucht mit übernatürlicher Hilfe. Als Heilige schwebt sie effektvoll aus dem Schnürboden ein. Spätestens, wenn ihre allesamt als (weiblichen und männlichen) Bräute gekleideten Anhänger dazu „Welch ein Anblick singen“ gibt es Lacher im Publikum, die wohl von der Regie einkalkuliert sind und etwas befreiendes haben. Ihr Verehrer Victor de St. Auban (schon aus den Tagen in Deutschland und dann auch in Moskau suchte er ihre Nähe) ist bass erstaunt, als er die Totgeglaubte in voller Schönheit erblickt. Fürs große Finale findet sich auch noch der mittlerweile gänzlich dem Wahnsinn verfallene Czarowitsch (so bezeichnen die Meininger Übertitel der Zarewitsch Alex). Aber nur, um den wütenden Anhängern Santa Chiaras zum Opfer zu fallen und das Personal fürs bombastische Finale zu vervollständigen.

Was die fürstliche Oper heute zu einer echten Herausforderung macht, ist vor allem das blumige Libretto von Charlotte Birch-Pfeiffer, das schon zur Uraufführung als seltsam überzogen wahrgenommen wurde. Heute wirkt es unfreiwillig einigermaßen komisch. Zur Entlastung der dichtenden Dame sei daran erinnert, dass das beim allseits geliebten „Freischütz“ nicht viel anders aussieht?

So weit das möglich ist, bewältigen Müller, Marc Weeger (Bühne) und Katharina Heistinger (Kostüme) diese Klippe mit gut dosierter Ironie. Dadurch schwebt, was todernst gemeint war, eine Handbreit über dem Boden. Und was trotz allem bleibt, ist ja immer noch die selbstbewusst, ehrgeizige Frau mit einer abenteuerlichen Karriere, ein übergeschnappter Zarensohn, ein Tenor als schmachtender Liebhaber und große Chornummern – also Opernzutaten für eine Melange, bei der man sich nicht langweilt. Selbst wenn man sich nur über die Absurditäten amüsiert, die man bei anderen Werken gewohnheitsmäßig übersieht.

Musikalisch wirkt das heute Unbekannte dennoch vertraut. Kein Wunder, lauert doch oft der „Freischütz“ hinterm Baum des deutschen Waldes (vom Harz samt Bären ist mal die Rede). Dann schmettert wieder Belcanto über die Rampe. Auch mal früher Wagner. Avantgarde wollte der komponierende Herzog nicht sein. Ein gewisser Grand-opera-Ehrgeiz aber, der blitzt schon immer mal in den Chorpassagen oder den Finali auf. Und den Anspruch, sein Publikum zu unterhalten. 

Um diesen Anspruch auch für heute so gut es geht zu erfüllen, dafür macht die Hofkapelle ihrem fürstennahen Namen unter GMD Philippe Bach alle Ehre. Bei den Protagonisten führen die wunderbare Lena Kutzner als Charlotte Christine, Patrick Vogel als ihr stets sicher mit Tenorschmelz und -schmettern aufwartender Verehrer Victor de St. Auban an. Aber auch Johannes Mooser als irrer Zarewitsch (mit Wahnsinnsarie) und Marianne Schechtel als Charlottes taffe Vertraute Gräfin Bertha von Blankensee oder Rafael Helbig-Kostka als quirliger Leibarzt des Zarewitschs machen, wie alle anderen und der von Manuel Bethe einstudierte Chor bella figura bei dieser Entdeckungsreise in die musikalische Vergangenheit der Region, in der es Thüringens Fürsten nicht nur wie der Landgraf Hermann in Wagners Tannhäuser zur Opernfigur gebracht haben, sondern auch ihrem eigenen Komponistenehrgeiz freien Lauf ließen.

Die Meininger Inszenierung macht die Story verträglich und das durchweg tolle Protagonistenensemble und die Hofkapelle sorgen für musikalisches Vergnügen! Wer Lust auf etwas neues Altes hat, wird hier gut bedient.

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