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Sylvia Rena Ziegler (Octavian), Michael Tews (Baron Ochs). Foto: © Claudia Heysel
Sylvia Rena Ziegler (Octavian), Michael Tews (Baron Ochs). Foto: © Claudia Heysel
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Von der Kunstfigur zum Bel Ami: „Der Rosenkavalier“ in Dessau

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Am Anhaltischen Theater Dessau huldigte der Wiener Regisseur Michael Schachermaier seiner Heimatstadt mit Richard Strauss' und Hugo von Hofmannsthals „Der Rosenkavalier“. Aus dem Mohrenknaben Mohammed wurde ein Arlecchino, der das Publikum vom 18. Jahrhundert in die 1980er Jahre begleitet. Nach musikalisch sehr korrektem Beginn mündete der Abend in delikate Opulenz mit interessanten Einblicken in das österreichische Sittenleben am Ende des 20. Jahrhunderts.

Bereits fünf Inszenierungen des „Rosenkavalier“ gab es am Anhaltischen Theater und fast eine Viertelstunde Schlussapplaus bei der jüngsten Premiere im gut gefüllten Haus, nachdem der Harlekin (Pjotr Kajdanski) zum letzten Mal hinter dem Vorhang verschwunden war. Dieser zupft herum, mimt den Postillon d'Amour und macht vor allem mit artistischer Virtuosität klar: Alles ist nur Theater – und Spaß.

Passt, weil vieles am Kolorit dieser Oper kreativer Fake ist. Die in Wien nach 1740 angesiedelte Handlung vertonte Richard Strauss nicht mit zeittypischen Menuetten, sondern mit anachronistischen Walzern. Die Rosenüberreichung hat es nie als gelebtes Brauchtum gegeben. Sophie und der Graf Octavian Rofrano singen von einem „Traum, kann nicht wirklich sein“. Das ist Realitätsflucht mit moderner Psychologie. Einige Stellen, die in der Dessauer Neuinszenierung erklingen, strich man wegen ihrer erotischen Drastik seit der Dresdner Uraufführung 1911 sogar in den Strauss-Hochburgen Wien und München. Als pikant galt auch, dass die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg und Octavian, den sie in intimen Momenten Quinquin nennt, nach ihrem in der Musik recht plastisch ausgedrückten Geschlechtsverkehr mindestens zehn Minuten miteinander im (Bühnen-)Bett verbringen. Diesen Grafen singt immer eine Frau.

Der Wiener Regisseur Michael Schachermaier entdeckt in allen Figuren dieser Oper Typen, wie sie in der Donaumetropole damals und heute herumschwirren. Ein Wiener Strizzi also, der das Herz der stolzesten und der naivsten Frauen bricht. Ein grober Patron, der seine klamme Vermögenslage durch eine ertragreiche Zweckheirat korrigieren möchte. Seine naive Braut und deren stinkreicher Vater, der in den besten Kreisen mitmischen will. Und schließlich eine steile Lady, die ihr fades Gesellschaftsleben mit Amouren zu jungen Männern aufpeppt.

So setzen Kai Fehringer und Judith Leikauf auf der Bühne des Anhaltischen Theaters drei Zeiten: Das Schlafzimmer der Marschallin wird auf die Hinterbühne eines Theaters im 18. Jahrhundert versetzt. Ein Lüster am Boden und die Stoffe zeigen wie ein Stillleben, wie vergänglich alles ist. Der zweite Akt spielt zur Entstehungszeit der Oper. Die Sezession beeinflusst bereits die Moden (fesche, charakterisierende Kostüme durch die Zeiten von Jessica Rockstroh). Um Sophie vor der Heirat mit dem toxischen Vermögensjäger Ochs von Lerchenau zu retten, lockt Octavian diesen in ein zwielichtiges Lokal und setzt ihn dort – verkleidet als Zofe Mariandl – dem öffentlichen Spott aus. Diese Szenen versetzt Schachermaier in einen Travestie-Schuppen im Wien der 1980er Jahre, wo Männer in schulterfreien Kleidern und Bärten ein exklusiver Hit waren. Ein Polizeikommissar nach dem Vorbild Falcos ermittelt in diesem Miljö, wo es auch viele Knabendarsteller mit Karohemden gibt. Das kurze Seelendilemma Octavians zwischen seiner noblen Geliebten und Sophie, dem Wiener Mädel im fliederfarbenen Discodress, löst sich im Wiener Prater. Erst gehen dort die Lichter aus, dann die Sterne auf und schließlich findet sich das junge Glück unter einer Diskokugel, das Zeichen für vergänglichem Spaß schlechthin.

Das spannende durch die Zeiten und Akte ist, dass dieser Octavian neben dem galanten Faun mit Silbermantel und Allongeperücke hier ein vielleicht sogar etwas nachlässiger junger Mann ist, der sein filouhaftes Leben sogar noch mehr liebt als die Frauen. Sylvia Rena Ziegler singt klar und hat eine unaufgesetzte Burschikosität. Die Frauen und Männer um sie geraten zu mindestens ebenbürtigen und stellenweise subtilen Charaktermarken.

Die Anhaltische Philharmonie brauchte etwas, um mit Generalmusikdirektor Markus L. Frank von qualitätvoller Korrektheit in den leichten und auch leicht schlampigen Ton zu finden, wie er zu dieser Oper gehört. Das Finale des ersten Aktes und alles danach passte genau. Sylvia Rena Ziegler findet sich als Mezzo mit fast sopranhaftem Klang bestens zu den beiden anderen Königinnen des Abends. Ania Vegry nimmt die zuerst bescheidene, dann zunehmend selbstbewusste Sophie nicht so zerbrechlich wie die Paradebesetzungen früherer Jahrzehnte. Kay Stiefermann ist ein rauer, gegen Ende eleganter Faninal. Michael Tews geht seinen Part als Ochs chevaleresk und grob an. Wie es sich Hofmannsthal wünschte, hat Tews’ Ochs in Finanz- und Frauenaffären auch eine gewinnende, nur für dieses eine Mal wenig erfolgreiche Seite. Er singt die, wenn man das als Sänger zulässt, vielschichtige Partie mit blitzschnellen Wechseln zwischen Gewaltmensch und Galan, strahlt dabei auch eine die Glaubwürdigkeit steigernde Lässigkeit aus. Geheimes Zentrum des „Rosenkavalier“-Kosmos ist die Marschallin – früher oft missverstanden als nach dem Ende ihrer Liaison mit Octavian in Depressionen verfallende Heroine. Aber vor allem ist sie eine Wissende und Spielerin, die sich keinerlei Illusionen über Männer hingibt und im richtigen Moment die Bremse zieht. Iordanka Derilova setzt Weisheiten mit souveräner Klarheit: „Leicht muss man sein...“. Ihr verstehendes „Ja, ja“ am Ende hört man kaum. Bereits im ersten Akt nimmt sie Hofmannsthals Prosa und Strauss’ Parlando so ernst, dass sie sich vom Orchester nicht in melodramatische Drücker drängen lässt. Wenn dann im dritten Akt die Rubintöne kommen, ist das glaubwürdig. Denn eine echte Wienerin zeigt dann noch einmal großes Herz, wenn „eine Sach ein End hat“. In Dessau ist diese „Wiener Maskerad“ mit ihren jauchzenden und schmachtenden Walzern ein Abend der feinen Halbheiten. Von diesen gab es schöne und viele.

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