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Von Macht und Freiheitssehnsucht – Die Performancekompanie „Oblivia“ entfaltet mit „Obsessions“ am Theater Bremen. Foto: Jörg Landsberg.
Von Macht und Freiheitssehnsucht – Die Performancekompanie „Oblivia“ entfaltet mit „Obsessions“ am Theater Bremen. Foto: Jörg Landsberg.
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Von Macht und Freiheitssehnsucht – Die Performancekompanie „Oblivia“ mit „Obsessions“ am Theater Bremen

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Zeitgenössisches Musiktheater am Theater Bremen: jahrzehntelang gab es – oft als Kompositionsauftrag – pro Spielzeit eine Aufführung. Aber immer mit dem Wermutstropfen, dass es sich ästhetisch eher selten um neue Musik handelte. Von daher kommt dem Projekt, das jetzt uraufgeführt wurde, herausragende Bedeutung zu: man wagte ein ästhetisches Experiment, man wagte sich, den Begriff „Oper“ anders zu denken, ihn infrage zu stellen.

Mit der finnischen Künstlergruppe „Oblivia“ wurde ein Abend gezaubert, der nicht nur an die Rezeption der traditionellen Oper Fragen stellte, sondern der darüber hinaus durchaus Menschen erreichte, die sonst mit zeitgenössischer Ästhetik jeder Art – egal, ob es sich um Fragen an die Inszenierung oder auch an die Komposition handelt – ihre Probleme haben.

„Oblivia“ wurde 2000 unter anderem von der Tänzerin Annika Tudeer in Helsinki gegründet. Mit minimalistisch performativen Mitteln sucht die Gruppe nach emotionalen und politischen Grundbefindlichkeiten des Menschen. Zuletzt hat sie mit „Verdrängen Verdrängen Verdrängen“ in Stuttgart 2020 einen sensationellen Erfolg gehabt und nun entstand erstmalig in Zusammenarbeit mit einem Stadttheater die Produktion „Obsessions“, von der die in Berlin lebende chinesische Komponistin Yiran Zhao sagte: „Obsessions ist eine Oper mit zeitgenössischer instrumentaler elektronischer Musik und Stimmkunst in unterschiedlichen Formen. Weil Teile der Musik, die auf der Bühne zu hören sein wird, aus kollaborativen Arbeitsprozessen und Improvisationen von Oblivia enstanden sind, besteht die besondere Herausforderung für mich darin, mit Klangmaterialien aus verschiedenen Quellen zu arbeiten“. 

Sieben Perfomancekünstler stehen auf der Bühne, vom Theater Bremen der Schauspieler Matthieu Svetchine und die Sängerin Nerita Pokvytyté, die Chorsängerin Maríam Murgulía, die Schauspielerin Karin Enzler, von „Oblivia“ Annika Tudeer, Timo Fredericksson und als Gast der Bass-Bariton Timotheus Maas. Dazu Hélène Freyburger, Gregor Daul, Anatoli Jagodin, Rose Eickelberg, Reinhold Heise und Marie Daniels von den Bremer Philharmonikern, die von Yu Sugimoto (Japan) geleitet werden. Die Idee der nicht-hierarchischen Zusammenarbeit aller gebiert sozusagen einen gemeinsamen Klang- und Aktionskörper; die zunächst minimalen Äußerungen der Kompanie, den Bremer InstrumentalistInnen und DarstellerInnen werden von anderen aufgenommen, weitergeführt, überlagert und endlich zusammengebunden zu einem einzigen „Körper“, in dem am Ende auch die MusikerInnen tanzen, die SchauspielerInnen singen, die SängerInnen sprechen und tanzen und vieles mehr.

Der reich mit Ovationen bejubelte Abend beginnt mit dem Aufmarsch von fantastischen Kostümen in allen Farben: irgendwas zwischen Königs- und Diktaturkleidern wie aus alten Märchen, Bademänteln und Partyklamotten. Die schreitenden Gänge einer wie auch immer gearteten Macht, innerhalb denen das Publikum ebenso ironisch wie intensiv angeschaut wird, landen in gemäldeartigen Standbildern: „tief, tragisch, Horror“ steht auf einer Tafel an der Seite. Zum frei erfundenen „Operngesang“ gesellen sich die vagabundierenden minimalistisch geheimnisvollen Klänge von Yian Zhao, dann – erstarrt zu Säulen – schleichen sich die Protagonisten weg und erscheinen wieder zu einer Party, musikalisch und tänzerisch strukturiert durch ein ellenlanges und absichtlich nervtötendes „Bum, Schidi Bumschi“ und leeres Geplapper. Im letzten Bild bäumen sich alle in einer fulminanten Stretta in ihrer sinnlosen Sinnsuche und ihrer Freiheitssehnsucht auf und verfallen dann in einen „post-obsessiven, destillierten“ Zustand, wie Tudeer das genannt hat. Das Zusammenspiel aller Elemente – Licht , Ton, Bewegung, Sprache, Kostüm – taugt gut dazu, Wahrnehmung zu hinterfragen und zu verändern. Und der Abend hat viel Humor: die Selbstreflexion ist immer auch Selbstironie – das allerdings hätte etwas kraftvoller ausgearbeitet sein können, man konnte nur schmunzeln, nicht lachen. Das Projekt „NOperas“, gefördert der Initiative des Fonds Experimentelles Musiktheater (feXm) und dem NRW KULTURsekretariat und Kunststiftung NRW, realisiert mit der Oper Wuppertal und dem Theater Bremen, umfasst fünf Produktionen; die nächste mit der Oper „Kitesh“ von Alexander Chernyshkov nach Motiven Nicolai Rimsky-Korssakow hat am 7.7. 2022 im Theater Bremen Premiere. Und „Obsessions“ wandert am 3.12.22 an die Oper Wuppertal.

  • Weitere Aufführungen: 22.2. 20 Uhr und 27.2. 18:30.

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