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Foto: Gestellt vom Veranstalter.
Foto: Peter van Heesen.
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Wagner im Strandbad – Musik(-), Theater und Performance am Berliner Plötzensee

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„Berlin is not Bregenz“ lautete das Motto des kleinen Sommerfestivals, organisiert vom Musiktheaterkollektiv Glanz&Krawall und abgehalten im Berliner Wedding – Strandbad Plötzensee. Das Bad kam jüngst in anderem Zusammenhang in die Schlagzeilen, doch dazu später noch. Schon am Anfang des Wegesrands erscheinen Paare von Schüler*innen, die im Schlagabtausch Beziehungskonflikte mimen. Vor ihnen Schilder mit der Aufschrift: „Handlung Tristan“ und „Handlung Lohengrin“ – themengebende Werke des Programms.

Neben der 10e der Peter-Ustinov-Schule und der Seebrücke Berlin mit einem Workshop zu Flucht und Migration war eine ganze Reihe künstlerischer Gruppen und Einzelpersonen vertreten. Eigentlich hätten die Formationen eigenständige Rahmen innerhalb des Festivals bekommen sollen. Doch aufgrund der Auflagen, die ein ständig zwischen den Spielorten fluktuierendes Publikum implizit untersagen, wurde der Großteil in einer Abendvorstellung zusammengefasst, statt überlappend und parallel an verschiedenen Orten gleichzeitig zu spielen.

Mehrere einzelne Veranstaltungspunkte, die als großes Ganzes zusammengesetzt eine multidimensionale Reflexion über ausgewählte Werke liefern: So war das Vorgänger-Projekt „Berlin is not Bayreuth“ letztes Jahr noch aufgebaut. Thematisiert wurde der Tannhäuser. Daran erinnert nun ein in der Zwischenzeit entstandener Film, der vor der Abendvorstellung in separatem Rahmen gezeigt wird: „Bayreuth sehen und sterben“ porträtiert das Trio Landgraf, Elisabeth, Tannhäuser auf ihrer Wohnmobil-Reise in die sagenumwobene Festspielstadt. In der biederen Alltagstristesse außerhalb der Festspielzeit dort angekommen erfreut sich Tannhäuser an der nach ihm benannten Straße, während Elisabeth die ihre vergebens sucht und der Landgraf enttäuscht vom Festspielhaus dessen Architektur mit der eines Gymnasiums um 1900 oder gar eines Sägewerks vergleicht. Bittere Ernüchterung, die – wenn auch aus ganz anderem Kontext geschöpft – an das Absagechaos der letzten Monate erinnert.

Draußen im Freien

Diesen Sommer wird also Bregenz aufs Korn genommen, denn – Zitat Landgraf aus erwähntem Film: Alles was mit B anfängt ist sinnlich! Zur Abend- und Hauptvorstellung, eines Mashups von „Tristan und Isolde vs. Lohengrin“, findet sich das Publikum schließlich am Strand verteilt, kauert im Sand, sitzt auf Stühlen und Liegen, während der Bäderbetrieb auf der anderen Strandhälfte regulär weiterläuft. Dass die Umgebung belebt ist führt mitunter zu so ungeplanten Skurrilitäten wie einem Duett zwischen Musik und der Trillerpfeife des benachbarten Wasserballspiels oder einem nahtlosen Übergang von Sounddesign in Helikopterwummern eines Patrouillenflugs über dem gegenüberliegenden Parkbereich. In der Totenstille einer Wagner-Aufführung undenkbar verstärkt es hier eher noch den Widerstreit der aufeinanderprallenden Welten. Denn wie schon angedeutet bildet dieses Verhältnis zur Vorlage nicht nur den absoluten Gegenpol zu jeglichem Konzept von Werktreue, sondern tritt auch offen als Opposition gegen die oft penibel betuliche Wagner-Rezeption ein.

Hörnerschall tönt so hold, des Bäderstrands rieselnde Welle rauscht so wonnig daher

Aber natürlich sind da auch Anspielungen und Referenzen: Erhebend erklingt eine eröffnende Fanfare! Das Bläserquartett aus Mitgliedern des Omniversalearkestra – aufgelistet als Königlich Preußisches Staatsgrubenorchester – bannt mit balancierter Linienführung, während die Musizierenden seelenruhig bis über die Knöchel im Wasser am Ufer verweilen. So gar nicht das, was man von königlich oder staatlich erwartet! Den Anschluss macht die Technik: von den Seitenstegen breiten sich brodelnd die surrenden Sounds der Function-One-Anlage über die Oberfläche des Sees aus. Tief ins musikalische Gewebe des „Tristan”-Vorspiels dringt die Klangverarbeitung von ZENTRALMUSTER vor, um dort am Kern das Material zu dekonstruieren und aus der gewonnenen Essenz ihren eigenen Sound zu schöpfen, stets der Wurzel vergegenwärtigt. Leitmotivtechnik weicht dem minutiösen Transformationsprinzip sich überlagernder Pattern und verweist dabei beiläufig auf zugrundeliegende Gemeinsamkeiten musikalischer Konstruktionsweisen.

Ostwärts schweift der Blick; westwärts streicht das Schiff

Wasserscheu darf niemand der Mitwirkenden von Glanz&Krawall sein: Angepaddelt kommen sie auf Schlauchboot und Luftfloß über den See. Vera Maria Kremers als Isolde watet gar meterweit bis ans Ufer und schickt noch bis über die Knie im Wasser bereits die ersten gewaltigen Töne gen Publikum. Doch neben großer Oper die Kremers durch ihre Stimmgewalt zu verkörpern weiß gelingt ihr auch der Witz, denn an solchem spart die Inszenierung von Marielle Sterra nicht. Humoristische Brechung ist sogar zentrales Element. Ohne dass sich dabei jedoch über den Stoff banalisierend lustig gemacht würde. Wenn etwa Tristan, energiegeladen von Kara Schröder gegeben, frenetisch schluchzend um die richtigen Worte ringt und dabei der Satz fällt: Du gibst mir das Gefühl allein zu sein und deshalb werde ich süchtig nach dir; so steckt darin durchaus der süßlich-gefährliche Geist jenes tragischen Dilemmas, jener Unvereinbarkeit, die in der Vorlage letztlich die gemeinsame Auslöschung zum einzigen Ausweg verklärt.

Nie sollst du mich befragen, woher ich floh der Fahrt, noch wie mein Nam‘ und Art!

Als einer der zusätzlichen Acts hat sich die Gruppe Tripletrips die Bearbeitung der Fragen aus Lohengrin vorgenommen. In eingestreuten Meditationen beleuchten die Performerinnen und Performer das Verhältnis zu Identität und Herkunft und legen durch eine Körpersprache tänzerischer Kaskaden eine Verbindung zu aktuellen Fluchterfahrungen. Das Namensgeheimnis Lohengrins wird dabei gedeutet als unbändiger Wunsch neu anzufangen, befreit von allem was bisher war. Hingegen sorgt für weitere groteske Komik mit Tiefgang in Marielle Sterras Inszenierung Felix Witzlau, der dem Lohengrin unermüdlichen Elan verleiht, wenn er um seine Elsa wirbt – ebenfalls Vera Maria Kremers. Dass Witzlau als Schauspieler einen ganz anderen Gesangsstil anschlägt stört nicht. Die Stimmung vagiert ohnehin – auch durch das ungewöhnliche Ambiente bedingt – stetig zwischen Deutschpop-Konzert, Performancekunst, Ballermann und Hochkultur. Einen Einschlag Kabarett bringt zudem der Auftritt von Ortrud, gespielt von Monika Freinberger, ein. Nachdem bereits Tristan, sich als König Marke ausgebend, stückübergreifend die Hochzeit stört und so für ordentlich Verwirrung sorgt, interveniert Ortrud durch feministische Agitation. Sie rügt Elsa für die naive Leichtgläubigkeit, sich dem „Saufkumpanen des Kapitalismus“ zu unterwerfen – dem Patriarchat – und auf den Fremden Lohengrin einzulassen, der seinen Namen natürlich nur aus einem triftigen Grund nicht nennt: Weil er ein Polizist ist! Die unlösbare Eskalation mündet schließlich in das verschlungene Tönen des Liebesduetts: O sink‘ hernieder Nacht der Liebe. Die Verklärung bleibt bewusst aus, während die letzten Einzelszenen in der Dämmerung am Ufer die Handlung des Verschränkungswerks versickern lassen.

Nachtrag aus gegebenem Anlass

Eher einer Guckkastenbühne gleichend ließ die Zuschaueranordnung je nach Platz und je nach Szene mehr oder weniger des Geschehens erkennen und erfahren. Eine pandemiefreie Situation hätte so einiges mehr an Konstellationen ermöglicht, wie Mitorganisator und Dramaturg Dennis Depta im Anschluss an die Vorstellung zu verstehen gibt. Viel wichtiger aber ist, dass hier bewiesen wurde: Auch größere Veranstaltungen sind in der aktuellen Lage verantwortungsbewusst umsetzbar. Nicht zuletzt weil die Betreiber des Strandbads Plötzensee künstlerische Arbeit auf ihrem Gelände zulassen und an Veranstaltungen sogar dezidiert interessiert zu sein scheinen. Durchaus liegt hier Potenzial, sich für Kunstfreiheit zu positionieren, so wie sich nun auch für ein freies Miteinander positioniert wurde und gegen Antisemitismus. Der rechte Video-Blogger und sogenannte „Volkslehrer“ Nicolai Nerling wurde bei einem Besuch viele Tage später nach antisemitischen Äußerungen des Platzes verwiesen. Das Bad hat so wiederholt unter Beweis gestellt, dass es selbst an einem Ort der Freizeit und Erholung um mehr gehen kann, als einfach nur den Kopf abzuschalten.

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