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Regierung im Plastikzelt: Wagners Lustspiel „Die Kapitulation“ mit Musik Paul Leonard Schäffers beim Festival Junger Künstler Bayreuth. Foto: Festival Junger Künstler
Regierung im Plastikzelt: Wagners Lustspiel „Die Kapitulation“ mit Musik Paul Leonard Schäffers beim Festival Junger Künstler Bayreuth. Foto: Festival Junger Künstler
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Wagner-Lustspiel mit neuer Musik: „Eine Kapitulation“ beim Bayreuther Festival Junger Künstler

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Der letzte von Richard Wagner selbst herausgegebene, neunte Band seiner „Schriften und Dichtungen“ enthält auch das 1870 verfasste „Lustspiel in antiker Manier“, „Eine Kapitulation“, die der Dirigent Hans Richter in Wagners Auftrag vertonte. Da Richters Vertonung verschollen ist, adaptierte der Komponist Hans Peter Mohr für die Uraufführung im Jahre 1980 – wie von Wagner intendiert – Musiken von Offenbach, aber auch aus Wagners Vaudeville-Komposition „La Descente de la Courtille“. Beim Bayreuther Festival Junger Künstler erfolgte nun die Uraufführung einer weiteren Vertonung von Paul Leonard Schäffer.

Wagner siedelt sein Lustspiel zur Zeit des Deutsch-Französischen Krieges im besetzten Paris an. Daher wurde die dichterische Mixtur aus französischer und deutscher Sprache häufig als antifranzösische Farce gedeutet. Doch geht es in der von eigenwillig skurrilem Humor getragenen Posse nicht um die politische Kapitulation Frankreichs, sondern um die der Deutschen vor dem französischen Geschmack. Wagners Parodie auf deutschen und französischen Kulturbetrieb postuliert die Kunstform Oper als Rettung für den Staat.

Die Aufführung durch das von Sissy Thammer geleitete Festival Junger Künstler Bayreuth folgt der zwingenden Dramaturgie, durch junge Künstler Schlaglichter auf jene Werke Wagners zu werfen, die im Kanon der Aufführungen des Festspielhauses ausgeklammert sind. Georgios Kapoglou hat für das Festival Junger Künstler auch schon eine mit Popmusik versetzte Fassung von Wagners Komischer Oper „Das Liebesverbot“ und eine Aufführung von dessen „Roter Brieftasche“ inszeniert. Richard Wagners umstrittenes Lustspiel realisierte der Berliner Regisseur als eine Mischform aus Schauspiel, Oper und Revue. Sänger, Schauspieler und eine große Anzahl von Laien schaffen es viel Bewegung inmitten von Bauzäunen und verhüllten Kunstobjekten (Bühnenbild: Michaela Muchina).

Die Ratten, die in dieser Spielvorlage Wagners de facto auftreten, kriechen aus dem Orchestergraben, aber aktuell naheliegende Bezüge zum Rattenchor in Hans Neuenfels’ „Lohengrin“-Inszenierung werden vermieden. Dafür treibt es die Regierung im Plastikzelt ausgiebig „französisch“, Nadar steigt nicht in einen Fesselballon, sondern wird selbst als solcher aufgeblasen, um dann aus dem Rang – gemeinsam mit der in Hitler-Diktion artikulierenden Sängerdarstellerin des Gambetta – die Lage des besetzten Frankreich zu kommentieren. Der Dichter Victor Hugo, vom jungen Bariton Björn Bürger trefflich verkörpert, wird in der Bearbeitung des Regisseurs und seiner Dramaturgin Kristin Päckert am Ende der Handlung zu einem gegen Offenbach polemisierenden Richard Wagner. Dies gelingt jedoch nur durch textliche Eingriffe, indem beispielsweise Hugos „Als ächtes Génie de la France verlier' ich nie contenance“ verkürzt wird zu „Als echtes Genier verlier’ ich nie.“ Wenig überzeugend ist der Einfall, Offenbach mit dem Komponisten der Neufassung zu besetzen: allzu unbeholfen bewegt sich Paul Leonard Schäffer, im heutigen Abendanzug und ohne Offenbach-Maske, in dieser Rolle.

Im Vorwort zur Erstausgabe seines Lustspiels konstatiert Wagner: „Das größere Berliner Vorstadt-Theater, dem wir das Stück anonym anbieten ließen, wies es zurück; durch welche Wendung mein junger Freund sich von einer großen Angst befreit fühlte: denn nun gestand er mir, daß es ihm unmöglich gefallen sein würde, die hierfür wirklich nöthige Musik à la Offenbach zusammenzusetzen; woraus wir denn erkannten, daß zu Allem Genie und wahre Naturbestimmung gehöre, welches beides wir nun in diesem Falle Herrn Offenbach aus vollem Herzen zuerkannten.“
In Schäffers Partitur kommen Offenbach-Klänge erst spät zum Tragen, in Form einer von allen Beteiligten unisono gesummten Barcarole (die zum Zeitpunkt von Wagners Lustspiel erst in der Urfassung von Offenbachs „Rheinnixen“ existierte). Das von Fausto Nardi sicher geleitete Orchester aus Bläsern, Klavier und Schlagwerk sorgt für markante Akzente, die stellenweise an Schostakowitsch gemahnen. Einige stimmungsvoll gesetzte Volkslieder, Sprechgesang klassischer Moderne und Rap wechseln sich ab. Dazu erfolgen akustische Einblendungen eines zeitversetzten Echos als Störfaktor. Doch der mitreißende Schwung des von Offenbach als dramatis persona in Wagners Libretto intendierten „Gallop“ kommt in der neuen Partitur ebenso wenig zum Tragen, wie auch Victor Hugos Schlussverklärung „in bengalischem Feuer“ ausbleibt.

Mitwirkende und Premierenbesucher, darunter Wagners Enkelin Verena Lafferentz und die Urenkelin Eva Wagner-Pasquier, hielten sich im Europa-Saal des Jugendkulturzentrums anzahlmäßig die Waage. Der Applaus war kurz und heftig, aber – wie im Hinausgehen allenthalben kommentierend zu hören – vermochten jene Besucher, die Wagners Stück zuvor nicht gelesen hatten, weder die Worte, noch die ungewöhnliche Handlung zu verstehen.

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