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Helga Pogatschar "moonphases", Foto: Michaela Wechselberger
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Warten aufs Wachrütteln: Das Festival der freien Münchner Musikszene „lautwechsel“ bot nur wenige Lichtblicke

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Die freie Musikszene braucht Festivals, keine Frage. Nicht nur zur Orientierung und zum Austausch, sondern auch als Plattform, neue Ideen und Ansätze wagen zu können. Derart motiviert war nun zum zweiten Mal in München das Festival „lautwechsel“ im Einstein (MUG) über die Bühne gegangen. Wer sich aber unter freier Musikszene frische, freche, jung-avantgardistische Projekte und einen dynamischen Blick in die Zukunft erhofft hatte, war sicher schwer enttäuscht.

1950er bis 1970er Jahrgänge dominierten das Szenario. Aufregende Lichtblicke waren rar. So bot das diesjährige Festival weniger euphorisierende Erlebnisse als vielmehr definierte Defizite. Aber auch Potenziale, zu deren Bergung „lautwechsel“ künftig beitragen könnte.

Einige aufschlussreiche Erkenntnisse brachten die drei Festivaltage auf alle Fälle ein, wenn auch die Frage des Initiators Karl Wallowsky schwierig zu beantworten bleibt: Gibt es DIE freie Münchner Musikszene überhaupt? Das von Aufführung zur Aufführung wechselnde Publikum und geringes Interesse der Protagonisten an der Arbeit der Kollegen – zumindest was die Komponisten – betrifft wiesen eher auf ein deutlich heterogenes Nebeneinander von Einzelkämpfern hin, die in Konkurrenz darin, unter den abstrusen Spielarten doch noch ein neues Quietschen und Knarzen aus den Instrumenten rauszuholen, häufig ihr Komponisten-Knowhow gegen inhaltsanämische Spielereien eingetauscht haben.

Das Auseinanderdriften von Komponisten, Interpreten, Generationen, Publikum etc. wurde deutlich. Die jüngeren Interpreten zeigten eine Hinwendung zum allgemeinen Publikumsgeschmack, orientiert an der Popkultur. Wie schon früher in der Geschichte, klingen Tendenzen der Bildenden Kunst in der Musik mit Verzögerung nach. Daniel Bürkner und Laura Konjetzky hatten zwar in der Musik wenig gemeinsam, doch die Tendenz zur Selbstdarstellung und Ausrichtung der musikalischen Erfindung an dieser Rolle verbanden sie doch. Während sich der Doktorand in Kunstgeschichte Bürkner an der Tradition der ausdrucksstarken Singer-Songwriter und an minimalistischen Experimenten orientierte, trat Laura Konjetzky als furiose Klavierdiva auf. Ihre Show (Choreografie Chantal Gagnebin) beeindruckte ihr Publikum, vor allem mit virtuosen Ausbrüchen à la Liszt, die von großartiger Spieltechnik zeugten. Klangspiele, elektronische Zuspielung, exponierte Dissonanzen sowie Bewegungen und Gestik illustrierten das Thema „Räume.Strukturen.Wandel“. Die künstlerische Auseinandersetzung fiel indes dürftig aus.

Wer sich heute als Komponist dem breiten Publikum zuwendet, kann sich offenbar den Luxus komplexer Inhalte in geistvoller Tiefe und der Missachtung ästhetischer sowie emotionaler Eingängigkeit nicht mehr leisten. Aber auch Interpreten, die bereit sind, am Instrument all das zu tun, was sie im jahrelangen Studium zu verhindern suchten, werden rar. Marije Grevink, Nicolaus Richter de Vroe, Klaus Peter Werani und Hanno Simons, allesamt Mitglieder des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, gehören zu diesen Experimentierfreudigen, die sich auf Streichquartette von Volker Nickel, Christoph Reiserer, Richter de Vroe und Alexander Strauch einließen. Bezeichnend dabei, dass gerade die Komposition des Geigers Richter de Vroe die größte Intensität, Klangsinnlichkeit und Formgeschlossenheit aufwies. Einmal mehr bestätigte sich im Vergleich: Die Motivation zu komponieren entfernt sich immer weiter von der zu interpretieren. Es sei denn, Komponist trifft auf Instrumentalist in einer Person.

Herausragend unter den Münchner Ausführenden ist auch das Ensemble Zeitsprung unter der Leitung von Markus Elsner. Mit Werken von Toru Takemitsu, Arash Safaian und Peter Kiesewetter brachte das Oktett nicht nur erfrischende Farbigkeit ins Spiel, sondern stemmte sich auch mit älteren Kompositionen gegen die reine Uraufführungskultur. Nachdem unsere Konzertlandschaft nur selten zeitgenössische Musik einbezieht, können diese Werke sonst kaum noch gehört und – sehr wichtig für die Weiterentwicklung – reflektiert werden. Eine solche Gelegenheit boten auch Elisabeth Weinzierl und Edmund Wächter mit dem Münchner Flötenensemble, das mit Werken von Max Beckschäfer, Enjott Schneider, Johannes X. Schachtner, Gloria Coates und Robert Delanoff neben einer Uraufführung von Roland Leistner-Mayer auch sonst nicht scheut, solide, an tradierten Kompositionstechniken angelehnte Ensemblewerke weiterhin zu interpretieren.

Die Erweiterung des Musikbegriffs war beim lautwechsel-Festival sicher eines der zentralen Themen, insbesondere im Beitrag des Vereins Echtzeithalle unter der Leitung des Physikers und Künstlers Dieter Trüstedt, der an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft eine Versuchsanordnung mit Elektronik und Projektionen verband.

Einen eher technisch-nostalgischen Hintergrund hatte indes das Thema des Beitrags der Komponistin Helga Pogatschar zum Mond-Video von Clea T. Waite. „moonphases“ vertrat hier in musikalischer Hinsicht den im Festival am überzeugendsten besetzen klangsinnlichen Aspekt, der hier mit Akkordeon (Harald Pröckl), Zither (Martin Malaun) und Violine (Barbara Lüneburg) sowie aus diesen Instrumenten gewonnenem Zuspielmaterial zu lyrischen, auch sphärischen Klängen von elektrisierender Wirkung fand. Cornelia Melián ging mit ihrer Micro Oper München einen Schritt in Richtung Magie weiter. Ausgangsmaterial bot mittelalterliche Musik aus Orient und Okzident, dem zwei großartige Gesang-Cello-Paarungen – Nihan Devecioglu und Anil Eraslan aus Istanbul sowie Melián und Mathis Mayr aus München – improvisierend neue Gestalt gaben.

Stimmliches Vermögen kam insgesamt wenig zum Einsatz, gemessen an den Möglichkeiten. Martin Wistinghausen setzte im Beitrag der Komponistenverschwörung mit seinem Bass innerhalb der instrumentalen Übermacht auch deutliche Akzente. Zusammen mit seinen Komponistenkollegen Evgeni Orkin, Erich Hermann, Stefan Schulzki, Stephan Marc Schneider und Ernst Bechert erreicht das Ensemble leichter eine deutschlandweiten Wirkungskreis, als es den anderen Münchner Komponisten gelingt.

Größere Aufmerksamkeit fiel der Improvisation zu. Eher konventionell, dem Freejazz nah, arbeitete der Saxophonist Norbert R. Stammberger mit seinem Ensemble – mit Sprachstimme und Soundpoetry – sein Werk aus der Stille heraus, um schließlich mit einer mächtig lärmenden Klangfülle zu beeindrucken. Das Münchner Urgestein der freien Szene Limpe Fuchs ging feinsinniger vor und stellte sich mit ihrem bisweilen abenteuerlichen Instrumentarium dem klanglichen Dialog mit dem belgischen Klarinettisten und Kurzwellenradio-Künstler Jacques Foschia. Eine auch optisch reizvolle Improvisation, zumal mit Performance-Elementen aus der reinen Konzertsituation gehievt.

Eine gänzlich anders geartete Improvisation war vom Bratschisten des BR-Symphonieorchesters Gunter Pretzel alias peltzer-pv zu hören. „Grenzfluß“ nennt er seine nur schwer steuerbare Obertonimprovisation, die mittels extremer Verstärkung hörbar gemacht wird. Ein in der Regel verborgener Mikrokosmos an Klängen von fremdartiger Anmutung, die sonst die Farbigkeit der Musik ausmachen.
Es bleibt zu hoffen, dass es im „lautwechsel“ nicht bei der Bestandsaufnahme bleibt. Ob das biennale Festival es allerdings vermag, die freie Münchner Musikszene aus der Erstarrung wachzurütteln, scheint eher unwahrscheinlich.

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