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Foto: Thomas Aurin
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Wenn Politik auf Oper trifft - oder: eine halbe Sache mit dem ganzen Herzen

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An der Oper Stuttgart führen bei Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ diesmal andere Leute Regie, als die, die eigentlich dafür engagiert waren. Wenn Politik auf Oper trifft, dann macht es manchmal Bumm. Meistens gerät dann ein Teil des Publikums aus der Fassung und brüllt ein kräftiges Buh in Richtung Bühne. Oder verlässt den Saal und knallt mit den Türen. Hierzulande gehört das zum gutbürgerlichen Gefühlshaushalt. Es passiert immer dann, wenn auf der Bühne etwas verhandelt wird, was in Libretto und Partitur so nicht vorgesehen ist. Meist werden ja die gut abgehangenen Schinken präsentiert. Obwohl die sich, bei entsprechender Zubereitung, oft als vorzügliche Delikatessen und Anreger fürs Nachdenken über das Hier und Heute herausstellen. Oder bei Novitäten so fern der unmittelbaren Lebenserfahrung bleiben, dass der Konsens beim Publikum quasi ausgemachte Sache ist.

Dass sich die Politik selbst einmischt, kommt eher selten vor. Gilt geradezu als Tabu. Würde auf den, der es versucht, zurückfallen. Zumindest im westlichen Mitteleuropa ist das (noch) so. Der opernaffine grüne baden-württembergische Landesvater Winfried Kretschmann hat die Freiheit der unbequemen Kunst bei der Premierenfeier in Stuttgart denn auch unter heftigsten Beifall (Lupenreine Demokraten müssen keine Angst vor Kunst haben!) geradezu beschworen.

Im Falle der jüngsten Stuttgarter Opernproduktion ist das (Nochnicht-)Zustandekommen der vorgesehenen „Händel und Gretel“-Inszenierung des Russen Kirill Serebrennikov schon das Entscheidende.

Intendant Jossi Wieler hatte nach dem Erfolg, den Serebrennikov mit seiner „Salome“ 2015/16 für Stuttgart eingefahren hat, das getan, was jeder gescheite Intendant macht, wenn er einen erfolgreichen Regisseur an der Angel hat: er hat ihn wieder engagiert. Doch am 23. August wurde Serebrennikov in Moskau unter Hausarrest gestellt. Samt Fussfessel und Kommunikationsverbot. Über die Vorwürfe der Veruntreuung von staatlichen Fördergeldern für eine Opernproduktion, die angeblich nicht stattgefunden hat, die aber inzwischen reichlich von Zuschauern und Rezensenten bezeugt wurde, ist ja hinreichend berichtet worden. Die Hoffnung, dass der Hausarrest rechtzeitig aufgehoben oder wenigstens nicht verlängert werden würde, hat sich nicht erfüllt. Er wurde ein paar Tage vor dem Premierentermin in Deutschland um weitere drei Monate verlängert.

Offensichtlich ist in Moskau eine Art von Politik auf die Kunst getroffen, die mit deren Freiheit, Experimentierfreude, der Möglichkeit des Scheiterns, auch mit dem Erbe der Narren-Frechheit vor Königsthronen ein Problem hat. Nun ist es sicher nicht die „Hänsel und Gretel“ Inszenierung im fernen Stuttgart, die in Moskau irgendwen so auf die Palme bringt, dass sie den Regisseur aus dem Verkehr zieht. So wichtig ist selbst die renommierte Stuttgarter Oper für den Kreml nicht. Da kämen eher schon diverse Inszenierungen von Serebrennikov in Moskau in Frage, von denen man in einer Ausstellung im Foyer einen optischen Eindruck gewinnt. Wobei auch das, was da beim Goldenen Hahn als bissige Parodie auf den Kreml über die Bühne gegangen zu sein scheint, hierzulande niemanden aus der Fassung bringen würde.

Aber in Russland ist eine Art von Obskurantismus am Werk, der schon beängstigend ist. Da darf beispielsweise kein National-Komponist oder Startänzer schwul gewesen sein. Weil das gegen ein absurdes einschlägiges Gesetz verstößt. Da soll der gerade dekretierte Heiligenschein eines Zaren eben nicht durch einen Film in Frage gestellt werden, der davon handelt, dass der auch nur ein Mensch war und eine Geliebte hatte.

Gegen all diesen Spuk der Geister der Vergangenheit mitten in der russischen Wirklichkeit ist jedes Hexenhaus und jeder Märchenwald ein Klacks. Allerdings auch die Entsorgung der Hexe und das Happyend voller Gottvertrauen. 

In Stuttgart haben Wieler und seine Truppe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Serebrennikov aus seinem Käfig zu holen. Kretschmann sagt, dass auch die Kanzlerin beteilig war – aber es hat nichts genützt. Vielleicht hätten sie ja deren Vorgänger einspannen sollen, der hat ja eh dauernd in Moskau zu tun.

Also wurde gezeigt, was schon fertig war, die Ausstattung eingelagert und verabredet, diese Märchenoper fertig zu inszenieren, wenn der Regisseur wieder frei ist. Was jetzt gleichwohl über die Bühne ging, war der Film, den er im April dieses Jahres in Ruanda und in Stuttgart gedreht hat. Dazu gab es die Musik mit dem Orchester auf der Bühne und die quasi die Situation des Zwischenstandes resümierenden Sänger. „Ein Märchen von Hoffnung und Not erzählt von Kirill Serebrennikov“ steht oben drüber und: „Musiktheater gestaltet vom Ensemble der Oper Stuttgart“. Und ungefähr das ist es auch, was da als Zusammenspiel von Film und Musik zu sehen ist.

Wobei man sich fragt, was da noch dazu kommen könnte, denn der Film begleitet zwei Kinder in Afrika, die immer in etwa passenden zur jeweiligen Musik dicht an der bekannten Geschichte entlang in ihrem Alltag begleitet werden. Durch Armut ja, aber auch mit dem Lachen, derer die nichts anderes kennen. Das Anrührende daran ist, mit welcher natürlichen Unbefangenheit die beiden sich vor der Kamera bewegen. Dass es eher so aussieht, als begleitet die Kamera die Kinder, ist der Hauptvorzug der Machart dieses Films. Der Moment, wenn die beiden dann im Film in der Loge des Theaters auftauchen und genau das auf der Bühne sehen, was wir dort auch sehen, hat natürlich etwas Berührendes. Nur, warum die Beiden plötzlich auf dem Stuttgarter Flughafen mitten in unserer Alltagswelt landen und dort über alles Staunen, was sie sehen, das ist dann doch ein sehr bemühter Kommentar zur Lage der Welt, wo die dritte und die erste einander weit weniger staunend begegnen.

Und es kommt, trotz allem erkennbar demonstrierten guten Willens, dem bösen Kern, der in der Geschichte steckt, nicht wirklich nahe. Dass es für die beiden im Film (David Niyomugabo und Ariane Gatesi machen das wirklich toll) gut ausgeht, ahnt man. Von dem, was in ihrer Heimat alles andere als gut läuft, kaum etwas. 

Gleichwohl. Auch die Protagonisten auf der Bühne sind mit dem Herzen dabei. Von Diana Haller und Esther Dierkes in den beiden Titelpartien, über Michael Ebbecke und Irmgard Vilsmaier als Eltern, Daniel Kluge als (außer Rand und Band geratende) Hexe, Aoife Gibney als Sandmännchen und Taumännchen, sowie dem Kinderchor, bis hin zum Dirigent Georg Fritzsch am Pult des Staatsorchester Stuttgart, bei denen Humperdinck fein spätromantisch leuchtet und auch der Hexenritt vehement hingelegt wird, sind alle mit dem Herzen bei der halben Sache. Die Oper hat eine ganze Veranstaltungsreihe um den Fall Serebrennikov herum gebaut und verkauft T-Shirts mit seinem Konterfei (zu schwäbisch sparsamen 5 Euro das Stück). „to be continued“ ist auf dem Filmabspann zu lesen. Oper vor allem als Statement und als Teil eines politischen Diskurse. Wenn es sein muss, dann auch das!

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