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Foto: Thomas Aurin
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Wirbelnde Leichenteile – Uraufführung von „Frankenstein“ an der Deutschen Oper Berlin

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Ihre jüngst bei „Carmen“ auf wenig Zuspruch gestoßene Beschäftigung mit „Ersatz-Körperersatzteilen“ setzt die Deutsche Oper Berlin mit der Uraufführung ihrer Auftragsproduktion „Frankenstein“ fort. Der komischen, aber nicht hintergrundlos eingespielten Warnung des Intendanten Dietmar Schwarz, die nachfolgende Produktion könne manche Besucher zu sehr belasten, folgten in der Tat rasch nach Beginn der Aufführung und auch später noch einige Besucher_innen.

Zeugungsversuche auf dem Schreibtisch, das ausgiebige Spiel mit einem blutigen Tampon an langer Schnur, den sich die Hauptheldin unter ihrem Rock hervorzieht, das Werfen mit Leichenteilen oder die quer gelagerte Vulva auf dem Bauch eines gebärenden Mannes sorgten gezielt für partielle Überforderung mancher Zuschauer.

Das „Musiktheater nach Mary Shelley u. a. von Gordon Kampe, Maximilian von Mayenburg und Paul Hübner“ ist eine Collage mit deutlichen „M.A.S.H“-Zitaten. Sie beginnt mit den Schreien einer Gebärenden und den auf die halb transparenten Wände eines Operationszelts spritzenden Blutsalven. Mutter des Neugeborenen ist die „Frankenstein“-Autorin Mary Shelley (Anna Rot), die in der Musiktheaterhandlung mit Tagebucheinträgen zum Stillen und zum frühen Tod ihres Säuglings zu Worte kommt. Ihr zeugungswütiger und nachkommengeiler Ehemann wird als Dr. Frankenstein zum Schöpfer des Monsters, das dann als niedliche Kindergruppe geführt wird.

In der Schreinerei der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin wird die rechteckige Spielfläche auf drei Seiten von Zuschauertribünen umgeben, den Abschluss der vierten Seite bildet ein Podest für den Dirigenten Jens Holzkamp und drei Instrumentalisten in grünen Operationskitteln (Ausstattung: Sophie du Vinage). Auf einem externen Turm werden Geräusche, wie auch Herzklopfen, sichtbar erzeugt und Elektronik zugespielt. Schon vor Beginn der Aufführung sorgen tonale Tonfetzen für Atmosphäre. Bei seiner Suche nach dem besten Teilen macht Dr. Frankenstein, der Mann auf dem gynäkologischen Stuhl, auch vor Besuchern nicht halt.

Seine Idee, „Ich werde Leben schaffen“ ist ein nachvollziehbarer Musikauslöser. Wie bekanntlich abgetrennte Froschschenkel bei Stromeinsatz, so sorgt hier die Tuba mit ihren Tonstößen für Muskelnschwingungen eines alten, bereits monsterartig transformierten Leichenteils.

Gordon Kampes Begleitmusik adaptiert „Mutter“ von Rammstein und „Creep“ von Radiohead, aber auch eine Arie aus Rameaus „Pygmalion“. Schuberts „Doppelgänger“ hat Kampe originell dramatisch instrumentiert. Als eigenständiger, ebenfalls tonaler Komponist bewährt er sich mit gesungenen Texten aus Miltons „Paradise Lost“ und von Goethes „Prometheus“.

Gegen Ende der Musiktheater-Novität (Puppenbau: Claudia Six) kommt auch noch eine große, deformierte Prometheus-Puppe ins Spiel, atmosphärisch begleitet von der singenden Säge. Zu der als Epilog angekündigten „Prometheus“-Vertonung stürzt ein Stoffadler auf den Bühnenboden, den der vielseitig witzige Schauspieler Christopher Nell belebt, besungen von der dramatischen Sopranistin Sandra Hamoui und Tenor Andrew Dinckinson sowie von einem um drei weitere Schalltrichter angereicherten Tenorhorn von Paul Hübner.

Die vom Autor Maximilian von Mayenburg selbst inszenierte Handlung wirkt allerdings zusehends gekleistert, in ihrer szenischen Umsetzung häufig wie ein Studentenulk aus dem vergangenen Jahrhundert.

Das Premierenpublikum goutierte das ungewöhnliche Musik-Spektakel und spendete nach 1 Stunde und 20 Minuten dankschuldigen Premieren-Applaus.

  • Weitere Aufführungen: 02., 03., 04., 23., 24. und 25. Februar 2018.

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