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lberich (Jürgen Linn), Mime (Dan Karlström) & Fafner (Rúni Brattaberg). Foto: © Tom Schulze
lberich (Jürgen Linn), Mime (Dan Karlström) & Fafner (Rúni Brattaberg). Foto: © Tom Schulze
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Wo Siggi das Fürchten lernt: Oper Leipzig zeigt kindischen „Siegfried“

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Wagner-Opern und Tanz, das ist so ähnlich wie Meyerbeer ohne Ballett-Akt. Der teutonisch tönende Meister hat derartige Einlagen – vielleicht wegen des ungeliebten Vorbilds? – einfach nicht gemocht. Schon gar nicht im „Ring“. Leipzigs „Siegfried“ setzt konsequent auf Tanztheater. Man fragt nicht, warum.

In Leipzig wird weiter am „Ring des Nibelungen“ geschmiedet, am ersten seit dem vor gut vierzig Jahren von Joachim Herz verantworteten, der die Bayreuther Chereau-Deutung des „Jahrhundert-Rings“ vorwegnahm. In Richard Wagners Geburtsstadt liegt die Schmiedearbeit musikalisch in Händen von Intendant und Generalmusikdirektor Ulf Schirmer, die britische Künstlerin Rosamund Gilmore inszeniert und choreografiert die Tetralogie, die nächstes Jahr ihren Abschluss finden soll.

Nach „Rheingold“ (nmz-online 5.5.2013) und „Walküre“ (nmz-online 9.12.2013) könnte er sich nun formen, der neuen „Ring“, könnte sich runden und seiner Vollendung entgegen(götter)dämmern. Allein, er scheint zu zerbröseln. In seine Bestandteile: Zum Vorabend und am Ersten Tag biografische Wagner-Bezüge, der „Siegfried“ davon nun völlig losgelöst. In seine musikalischen sowie seine inszenatorischen Seiten, die zunehmend auseinanderklaffen. In Ernsthaftigkeit und Klamauk.

Bekanntlich ist bei Wagner alles schon irgendwie da: Im Vorspiel klingen die Themen an, brandet auch immer mal wieder das zerstörerisch erlösende „Götterdämmern“ vom Finale auf. Wie eine unfreiwillige Vorwegnahme schieben sich aber hier ins zarteste Paukenwirbeln schnaufend erschrockene Fagotte hinein, als wollten sie sagen, dass dieser Abend noch richtig laut wird. Eine in Erfüllung gegangene Drohung. Auch auf der Bühne ist schon alles da: Amboss und jede Menge Schwerterschrott, dazu allerlei Gerümpel bis hin zum Stuhlrudimenten und einem Fahrrad.

Rosamund Gilmore hat ihren Bühnenbildner Carl Friedrich Oberle wieder architektonische Hingucker bauen lassen, im ersten Bild um ein zentrales Rasenstück herum, in dem lemurenhaft ein Dutzend Tänzer wabern darf. Dasselbe Ensemble wird später zu Versatzstücken von Schwert Nothung choreografiert und überreicht Siegfried die hier einmal nicht selbstgeschmiedete Wunderwaffe, orakelt lurchhaft als Erdmutter Erdas Wurmfortsatz und hinterlässt doch eher den Eindruck eines sinn- und sinnenfreien Tanztheaters. Wagner hat derartige Einlagen bekanntlich nicht gemocht, schon gar nicht im „Ring“. Man mag auch gar nicht fragen, warum diese Produktion so konsequent darauf setzt, denn die Choreografie ist in keiner Weise erhellend und nur begrenzt dekorativ.

Ansonsten ist das „Siegfried“-Personal kundig gewählt: Mime mit Hämmerchen gibt sich fleißig bewegt, wird nicht desavouiert, sondern ist ein fideler Schmied mit giftigen Hintergedanken. Um zu Fafners Höhle zu gelangen, wo er Siegfried mit einem auf dem Gaskocher zubereiteten Trunk umbringen will – es geht schließlich, fast hätte man es vergessen, um Habgier und Weltherrschaft mittels Ring – setzt sich der Zwerg auf ein Fahrrad. Bitte nicht fragen, warum. Denn lustig ist's nicht. Ensemblemitglied Dan Karlström gibt dieser Figur szenisch und stimmlich gewinnende Eigenart. Überzeugend ist auch der schwedische Bass John Lundgren als wandernder Wotan. Metallisch starke Stimme, figürlich eher stolz-moderat, ganz der in seiner Macht gescheiterte Göttervater. Von Urmutter Erda kann er keinen Rat mehr erwarten, mit schlängelnder Ballettschleppe kraucht sie aus den Bühnentiefen hervor und verschwindet dort wieder zum ewigen Schlaf. Nicole Piccolomini gelingt, nach zunächst gehörigem Vibrato, ein ebenso kurzer wie betörend starker Auftritt, mit dem sie an ihren „Rheingold“-Erfolg anknüpft. Ein Wiedersehen gibt es auch mit Jürgen Linn als Alberich, hier als Verwalter-Typ, der es faustdick hinter den Ohren und donnernd gepflegt in seinem tiefschwarzen Bariton hat.

Fafner ist ein gigantisch überzeichneter Riese, der auf einem riesenroten Sofa thront, und um den eine Handvoll ähnlich gekleideter Industriekapitäne in menschlicher Echtgröße wie Maden in seinem Speck herumwimmeln. Skurril winden die sich im Todeskampf, nachdem der finnische Bass Rúni Bratterberg seinen Part längst in nobler Tiefe ausgehaucht hat.

In die gegenteilige Welt entführt zauberhaft rein der Sopran von Ensemblemitglied Eun Yee You als Stimme des Waldvogels, der die Titelfigur letztlich durch die Szenerie von der Neidhöhle zum Brünnhildenstein führt.

Und der furchtlos mordende Dramenheld selbst? Kein dämlich dicker Siggi Pop, sondern ein rundlicher Siggi Inzest als tumber T(en)or. Christian Franz, mehrfacher Bayreuth-Siegfried, ist dazu in eine hochwassertaugliche Latzhose gesteckt worden (Kostüme von Nicola Reichert), auf der an Stelle eines „S“ auch ein Teddybär hätte prangen können. Die Regie geht sehr unentschieden mit dieser Figur um, lässt vom Schmieden des Schwertes zwar singen, es aber nicht spielen. Irgendeinen Zweck muss die Tanztruppe ja haben. Statt kindlich umherzutapsen, hätte Siegfried den radelnden Mime wohl ebenso furchtlos auf einem Tretroller begleiten können, alberner wäre das auch nicht gewesen.

Heldenhaft allerdings sein Gesang, der hat nichts Draufgängerisches, sondern ist von gepflegter Strahlkraft und ausdauernd stark. Das muss er allerdings auch, denn das mit einem reichen Klangspektrum bestens begleitende Gewandhausorchester wird manchmal zu sehr von der Leine gelassen und macht es den – ansonsten durchweg sehr textverständlichen Sänger-Darstellern – unnötig schwer, gegen die Wogen aus dem Graben anzukommen.

Besonders im betörenden Schlussgesang, nachdem Siegfried Brünnhilde erweckt hat und triebhaft die Liebe entdeckt. Obwohl sich die Schwedin Elisabeth Strid mit überraschend schlanker Stimme verzehrt und ihre mörderische Partie geradezu lyrisch angeht, muss sie sich mehrfach nicht nur dem brünstigen Helden, sondern auch dem lautstark Wort haltenden Orchester gegenüber zur Wehr setzen. Wagners krudes Frauenbild wird in diesen Schlussszenen so richtig bedient: Siggi Furchtlos spannt verklemmt am Lager der schlafenden Walküre und lässt sich gleich darauf heldisch bewundern. Beim „Heil Dir, Sonne“ wirft Brünnhilde den Arm nach rechts, beim „Heil Dir, Licht“ geht das Ganze nach links. Dankbarerweise geschieht das unter Hinweglassung weiterer eurythmischer Ablenkungsversuche.

Die „Götterdämmerung“ ist übrigens zur Walpurgisnacht 2016 angekündigt. Da darf getanzt werden.

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