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Gefälschte Wahrheit. Nach einem Foto von Joseph Albert: Franz Liszt.
Gefälschte Wahrheit. Nach einem Foto von Joseph Albert: Franz Liszt.
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Zauberisch lebendige Musik-Geister – Uraufführung von Thomas Luz’ „When I die“ im Münchner Carl-Orff-Saal

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Die Ausgangslage: der helle Wahnsinn! Da lebt Rosemary Brown (1916–2001) ein gediegenes Familienleben in London, bis 1961 ihr Mann stirbt. Sie bringt mühsam zwei Kinder durch. 1964 erscheint ihr der Geist von Franz Liszt und bittet sie, ihr Musikstücke diktieren zu dürfen, die er selbst nicht mehr schreiben konnte. Dann melden sich auch Bach, Brahms, Rachmaninoff, Grieg, Debussy, Schumann und Schubert – bis schließlich Beethoven sie anschnauzt, jetzt endlich ihre rudimentäre musikalische Bildung zu erweitern und besser Noten schreiben zu lernen, da alles sonst ja eine Ewigkeit dauere…

Was sich wie ein Sketch von Monty Python liest, hört sich musikalisch staunenswert seriös an: eine neue, vierzigseitige Sonata und zwölf Lieder von Schubert, ein Phantasie-Impromptu in drei Sätzen und zwei Sonaten von Chopin, eine zehnte und elfte Symphonie von Beethoven, ein Larghetto von Mozart, eine „Grübelei“ von Liszt undundund… Stoff für einen Dokumentarfilm der BBC, Experten-Urteile von „elaborierte Fälschungen“ bis „seriös und echt“, ein musikwissenschaftliches Sachbuch, drei Bücher von Rosemary Brown selbst – das letzte mit dem Titel „Look beyond today – Schau über den Tag hinaus“, denn der Tod ist nichts. Genau das hat das Schweizer Off-Theater-Multitalent Thomas Luz zum Ausgangspunkt seiner 80-minütigen Musik-Theater-Collage genommen.

Auf offener Bühne sitzt Suly Röthlisberger als Rosemary Brown am Klavier. Irgendwo tickt eine Uhr und zum leisen Rauschen einer alten Schallplatte oder Radioübertragung dunkelt der Raum etwas ein, dazu Stimmengewirr aus dem Off – Rosemary bringt all das durch das Zerdeppern einer Reihe von Teetassen immer wieder zum Schweigen. Doch große Reisekoffer beginnen sich zu bewegen, schwenken mit einer offenen Seite nach vorne, ein Klarinettist, ein Geiger, ein Solist an der elektrischen Glasharfe beginnen zu spielen: Debussys „Le Paon“ von 1967(!), Schuberts „Sonate 1 in f-moll“ von 1982(!)… zwölf weitere Brown-Niederschriften von Bach bis Webern folgen in Ausschnitten. Klarinettist Jack McNeill, Daniele Pintaudi und Samuel Streiff an elektrischen und analogen Klavieren mit Violinist Mathias Weibel im Zentrum gelingt es dabei, als Musiker-Performer von A-capella-Gesang über Soli bis zum Trio und Simultanszenen mit Musik zu spielen, zu zaubern und zu bezaubern.

Dabei steht Rosemary immer wieder als ungläubiges, dann durch Teetassen-Zerdeppern Realität beschwörendes, schließlich auch wieder demütiges Medium mal in der Mitte, mal am Rande – Wirklichkeit, Leben und Tod und Weiterleben durch Kunst schweben assoziativ durch den leicht vernebelten Raum, auch mal mit schwarzem britischen Humor in nur einem Satz konterkariert. So merkt eine kritische Stimme via Lautsprecher an, dass die „neuen“ Werke „mehr das Parfüm als den Geist der Komponisten“ verstrahlten. Doch dominierend stellt der Zauber des Leisen, des träumerisch Wahren und realen Traums all unsere rationale Erfahrungswelt mal theatralisch amüsant, mal fast kunst-philosophisch in Frage.

Eine „Spiel-Art“-Produktion, deren phantasievoll luftige Mobilität nicht nur begeisterten Beifall auslöste, sondern die Einladung auf viele Bühnen verdient.

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